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# taz.de -- UN-Megastadtkonferenz „Habitat III“: Der Stellvertretergipfel
> Wie kann die globale Urbanisierung sozial und ökologisch gestaltet
> werden? Die Antwort des Treffens in Quito ist leider sehr vage gehalten.
Bild: Wie sehen die Städte von morgen aus? Und wie umweltverträglich sind sie?
Quito taz | Wenn Sie diesen Text zu Ende gelesen haben, ist die globale
Stadtbevölkerung um ungefähr 2.000 Menschen gewachsen – durch Geburten und
Landflucht. 1.800 dieser Menschen leben in Afrika und Asien.
Bis 2050 wird es mehr als 2 Milliarden neue Stadtbewohner geben. Allein der
Beton für ihre Häuser würde, wenn diese nach westlichem Standard gebaut
werden, gigantische CO2-Mengen freisetzen. Es sei denn, die Städte werden
ökologisch effektiv geplant. Und zwar nicht nur in Freiburg, sondern in
Delhi, Kinshasa und Lima.
Wie das zu schaffen sein kann, darüber wurde von Montag bis Donnerstag in
Ecuadors Hauptstadt Quito geredet. Auf der UN-Siedlungskonferenz Habitat
III, einem Megaereignis mit mehr als 40.000 Politikern, Stadtplanern und
Beamten, NGO-Vertretern und UN-Funktionären, Diplomaten und Aktivisten.
Doch wie wurde geredet? Ungefähr so: Es ist Dienstag, und am Pult der
„Agora“, eines halbrunden großen Saals in der Casa de la Cultura, steht der
paraguayische Staatssekretär für Naturschutz. Er sagt, dass „Habitat III
ein Ereignis von großer Bedeutung für eine nachhaltige Entwicklung ist“.
Danach hofft der koreanische Vizeminister für Transport, dass Habitat ein
Meilenstein wird. Die Vizeministerin für Umwelt und Transport der
Fidschiinseln zählt die beeindruckenden Erfolge ihrer Regierung im Kampf
gegen Armut und für nachhaltige Entwicklung auf. Der Applaus ist schütter,
die Reihen sind dünn besetzt.
## Ungestörte Routine bis zum Schluss
Am Dienstag, dem zweiten Tag der Habitat-Konferenz, ist bereits klar, dass
der Reigen der vierminütigen Staatssekretärs- und Vizeministerreferate bis
zum Ende in ungestörter Routine weitergehen wird. Die vorab formulierte
Erklärung „New Urban Agenda“ wird schließlich am Donnerstag ohne
Kontroverse angenommen. Darin sind sehr viele Forderungen und Interessen
berücksichtigt, bis an den Rand des Unscharfen.
Es ist möglich, ein Buch über Bundestagsdebatten zu schreiben, weil diese,
trotz aller Ritualisierung, dem Prinzip von Rede und Widerrede folgen. Der
amtliche Teil dieser UN-Konferenz ist indes kaum erzählbar. Es wirkt wie
ein Theaterstück, das sich selbst genügt. Es braucht kein Publikum.
Um 17.30 Uhr ist der vierzigste Redner an diesem Dienstag an der Reihe.
Gunther Adler, SPD-Staatssekretär im Umweltministerium. Wenn wir mit
business as usual weitermachen, steuere die Welt auf ein ökologisches und
soziales Desaster zu, mahnt Adler. Habitat sei ein „Schritt in die richtige
Richtung“, um eine „nachhaltige Entwicklung zu implementieren.“
„Implementieren“ ist das Zauberwort der Konferenz. Aus dem Technokratischen
übersetzt, heißt „implementieren“: Wir wissen nicht, ob die New Urban
Agenda in Schubladen verstauben oder ob Staaten künftig ökologische und
soziale Städte bauen werden. Ob die 2 Milliarden zusätzlichen Stadtbewohner
in energiearm gebauten Häusern leben werden. Wie viele von ihnen überhaupt
in Häusern leben werden und wie viele in Slums. Ob sie mit Elektrobussen
und E-Bikes kurze Wege zur Arbeit fahren oder mit SUVs die Straßen
wuchernder Megacitys verstopfen. Derzeit gibt es ungefähr 1 Milliarde Autos
auf der Welt. 2050 werden es, wenn es so weitergeht, 3 Milliarden sein. Ob
das so kommt, hängt auch von der ominösen Implementierung von Habitat III
ab.
## Die Bürgermeister sind mit dabei
Ein Pluspunkt von Quito ist, dass – gegen den zähen Widerstand der UN –
auch die Bürgermeister präsent sind. In Quito konnte C40, ein Netzwerk von
fast 100 globalen Städten, immerhin die Forderung zu Gehör bringen, dass
Städte Kredite von öffentlichen Banken für nachhaltige Projekte bekommen.
Denn die Großstädte in Asien und Afrika sind oft finanziell komplett von
den Regierungen abhängig und damit handlungsunfähig.
Dafür wird etwa das Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) im
nächsten Jahr in nachhaltige Verkehrsprojekte investieren. „Es geht um 1,2
Milliarden“, sagt Tanja Rödiger-Vorwerk, Unterabteilungsleiterin im BMZ.
1,2 Milliarden Euro, das klingt nach sehr viel. Allerdings muss man aufs
Kleingedruckte schauen. Genau genommen wird Deutschland
1,2-Milliarden-Euro-Kredite vergeben. Faktisch kostet das einen
zweistelligen Millionenbetrag, für Sicherheiten und Beratungen der
Kreditnehmer. Und der wird sich rechnen, weil deutsche Firmen gute Karten
haben, in Namibia Radwege oder in Indien Straßenbahnen zu bauen.
Habitat III sieht Rödiger-Vorwerk pragmatisch, als Ensemble von kleinen
Schritten, die irgendwann zum großen Wechsel führen. Aber sie sagt auch:
„Die Staaten haben noch 15 Jahre Zeit, die Art zu verändern, wie wir bauen
und uns bewegen.“ Die Fallhöhe zwischen dem, was nötig wäre, und dem, was
möglich ist, hat etwas Schwindelerregendes.
Enrique Ortiz trägt ein weißes Hemd, Cordjacke. Er ist 79 Jahre alt,
Mexikaner, Architekt. Er zählt zu den wenigen, die alle Habitat-Konferenzen
miterlebt haben. 1976 Vancouver, 1996 Istanbul, jetzt Quito. In den 70er
Jahren hat Ortiz das erste Wohnungsbauprogramm in Mexiko entwickelt.
Früher, sagt Ortiz, war Habitat offener, vitaler, weniger auf Regierungen
fixiert. In Istanbul wurde während der Konferenz noch um den Text gerungen.
Dass die New Urban Agenda schon vorher komplett ausgehandelt war, findet
Ortiz „lächerlich“.
## Wo sind die Präsidenten?
Ist Habitat nur Show? Die Frage ist naheliegend, aber falsch.
UN-Konferenzen verfügen über keine faktische administrative Macht. Was sie
können, ist Aufmerksamkeit erzeugen, Prozesse anstoßen. Habitat III ist
nicht zu viel, sondern zu wenig Show – die Hauptdarsteller fehlen. 1996
reisten noch ein Dutzend Staats- und Regierungschefs nach Istanbul. Nach
Quito kam nur der Präsident von Venezuela. Eigentlich wollten auch zwei
deutsche Minister teilnehmen, doch daraus wurde nichts.
Habitat III ist ein Symbol – dafür, dass sich die Regierungen für die
rasende Urbanisierung des Planeten nicht interessieren.
Das tun dafür die 150 Aktivisten, die von der Universidad Central von Quito
aus losmarschieren. Es ist ein bunter Haufen: Ökoaktivisten, Feministinnen,
Grassroots-Bewegungen. Eine Handvoll Indigene aus dem Amazonas sind in
Trachten dabei, Schwarze aus Esmeraldas, dem armen Norden Ecuadors, die
einem Luxushotel weichen sollen. „Keine Polizei, keine Minen!“, skandieren
die Demonstranten. Nach ein paar Hundert Metern stehen sie vor einer
Phalanx aus Polizisten mit Helm, Schlagstock und Schildern. Die
linksnationale Regierung in Ecuador reagiert auf Protestbewegungen
allergisch.
Dabei ist „Frente a Habitat“, die Front gegen Habitat, trotz des
martialischen Namens keine klassische Gegenveranstaltung. Die Grenzen
zwischen UN-Event und Demonstranten sind durchlässiger, als es auf den
ersten Blick scheint. So redet etwa Leilani Farhi,
UN-Sonderberichterstatterin in Sachen Wohnen für den Hohen Kommissar für
Menschenrechte, mit jener Dringlichkeit, die Aktivisten eigen ist: „Wir
müssen begreifen, dass Wohnen ein Menschenrecht und keine
Kapitalinvestition ist.“
In der New Urban Agenda steht, dass die Bürger ein Recht auf brauchbare
Häuser und sauberes Wasser, auf Bildung und Mobilität haben. „Das ist zwar
nur Papier“, sagt Leilani Farhi, „aber nicht, wenn die sozialen Bewegungen
es nutzen“. Immerhin haben Regierungen dieses Dokument ja gerade
unterschrieben. So können die Engagierten in Verwaltungen und Bewegungen
die Agenda verwenden: als Argument, Referenz, Druckmittel von unten.
Das ist nicht die schlechteste Art, „implementieren“ zu übersetzen.
21 Oct 2016
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Megacity
Urbanisierung
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