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# taz.de -- Regisseur über Kinofilm „Das kalte Herz“: „Ich wollte, dass …
> Es gibt bereits eine brillante DEFA-Verfilmung des Hauff-Märchens „Das
> Kalte Herz“ – wozu das Ganze also noch mal? Johannes Naber über die
> Faszination des Stoffes.
Bild: Peter (Frederick Lau) bekommt ein Herz aus Stein
taz: Johannes Naber, [1][1950 entstand eine Defa-Version von „Das kalte
Herz“], dem Hauff-Märchen über den Holländer-Michel und das Glasmännchen,
die damals enorm erfolgreich war. Hat Sie der Film beeinflusst?
Johannes Naber: Die Defa-Adaption habe ich mir bewusst nicht noch mal
angeschaut, weil ich vermeiden wollte, dass man sich daran abarbeitet. Ich
wollte wirklich Hauffs Märchen als Grundlage nehmen. Erstaunlich war, dass
sich aber manche Entscheidungen dennoch ähneln, wie zum Beispiel, die
Motivation für Peter Munks Handeln in Lisbeth zu personifizieren.
Lisbeth selbst ist in Ihrer Version eine viel stärkere Figur, als im
Originalmärchen und in der Defa-Adaption …
Ja, im Originalmärchen kommt sie sogar erst im letzten Drittel ins Spiel,
als Peter Munk als reicher Mann zurückkommt. Der Holländer-Michel schlägt
ihm vor, sich gegen die Langeweile eine Frau zu suchen, „das sittsamste
Mädchen“. Lisbeth hat also eine Staffagenrolle, ist eine reine
Funktionsfigur. Und das wollte ich nicht. Ich wollte eine, die aktiv
handelt, ihren eigenen Kopf hat, ich wollte vor allem gegen das klassische
Märchen-Frauenbild arbeiten, ohne krampfhaft zu modernisieren.
Stammt die Idee der Gilde-Tattoos, welche die Köhler, Glasbläser und
anderen Zünfte im Gesicht tragen, von Ihnen, oder gab es sie wirklich?
Das ist alles erfunden. Ich wollte keinen historisch korrekten Film machen,
sondern eine eigene Märchenwelt kreieren. Und die muss mit Fremdheit
spielen, mit Skurrilität, muss fantastisch sein. Dazu gehörte etwas, das
auch schon im Märchen angelegt war, nämlich die Relevanz der Stände in
dieser Gesellschaft. Wir haben überlegt, welche äußeren Merkmale diese
Stände ausdrücken, und kamen auf die Tattoos. Die Kaste sollte einem ein
Leben lang ins Gesicht gemalt sein, als Zeichen für die Unausweichlichkeit
des Schicksals.
Wofür steht das wild aufgemachte Glasmännchen, bei dem Peter Munk seine
Wünsche erbittet?
Das Glasmännchen und seine Waldgeister – im Originalmärchen ist das ja eher
ein kleines Zwerglein – haben sich in unserer Konstruktion der Figuren aus
dem Kampf des Menschen gegen die Natur ergeben. Wir haben uns von
Naturvölkern, von Regenwaldstämmen, von Stämmen aus Papua-Neuguinea
inspirieren lassen. Das Spannende war, aus all diesen Elementen eine neue
Welt zu machen.
Und der soziopolitische Kern des Märchens, der von den Folgen des Raubbaus
in den Wäldern erzählt?
Das Thema haben wir modernisiert: Als Hauff das Märchen geschrieben hat, um
1820, waren die Folgen des Raubbaus noch nicht so stark spürbar – etwas
später, um 1900, war der Schwarzwald allerdings dann fast kahl! Alle Tannen
waren gefällt und verkauft worden, genau wie es das Märchen beschreibt. Der
Holzhunger durch die Kriege kam später noch dazu. Und noch etwas haben wir
geändert: Bei der Lektüre seiner Schriften fiel mir auf, dass sich bei
Hauff, der ja auch der Autor von Jud Süss ist, ein zeittypischer
Antisemitismus durch das Werk zieht. Damit musste man unbedingt umgehen.
Ich habe darum zum Beispiel den bösen Holzhändler Ezekiel in Etzel
umbenannt. Damit wollte ich diese Konnotation verwischen.
Sie haben eine Tanzszene ohne Tanzmusik integriert, inszeniert als eine Art
aggressiven Schuhplattler …
Das war eine Riesenherausforderung – das erste Mal, dass ich Tanz
choreografieren musste! Freddie Lau, der Hauptdarsteller, bat mich, dafür
zu sorgen, dass es nicht peinlich aussieht, nicht lächerlich wird. Ich
wollte, dass die Szene Eier hat, dass sie maximal testosterongeladen ist.
Wir haben irischen Folkdance, Schuhplattler, neuseeländische Hakas, aber
auch den sogenannten „Zimmermannsklatsch“ zu einem Ritualkampf verbunden.
Freddie hat seine Schritte übrigens richtig gelernt – die beiden Jungen
hatten zwei Monate intensives Tanztraining.
Wie haben Sie die Figuren psychologisiert – nach der klassischen
psychologischen Märchenanalyse?
Nein, ich mache es immer so, dass ich mir die Ängste der Charaktere
überlege. Bei „Zeit der Kannibalen“ hatte ich richtige Angstprofile
erstellt. Hier war es ähnlich.
Wieso spricht in Ihrem Film niemand Dialekt?
Die historische lokale Verortung war nicht so entscheidend für mich – ich
erzähle schließlich eine Parabel. Der historische Charakter ist zwar
bedeutsam, aber die Universalität war mir wichtiger. Ich liebe
Dialektfilme, wie die frühen Geissendörfer-Werke, aber wenn man das macht,
muss es hundertprozentig stimmen. Dann müssen die Schauspieler ihren
Dialekt tatsächlich angemessen sprechen können. Ich wollte lieber die
Zuschauer so gut wie möglich erreichen. Ein seltener Dialekt wie
Alemannisch – was in dieser Gegend gesprochen wurde – hätte wie ein Filter
gewirkt.
Die Sprache klingt so aber ziemlich modern …
Das war eine bewusste Entscheidung – man hätte leicht etwas Altertümliches
in die Sprache implementieren können. Aber auch hier war meine Prämisse:
ich möchte maximale Verständlichkeit, ohne modische Ausdrücke.
Wollten Sie der Geschichte das Kindermärchenhafte austreiben?
Definitiv. Der Film geht erst ab 12, denke ich. Das ist ein Werk für
Fantasyfreunde, für Menschen, die Lust haben auf eine Art von Eskapismus,
auf diese Form von Lovestory, auf eine unkonventionelle
Literaturverfilmung, und auf ein bisschen Grusel.
Hat sich Ihr Verhältnis zu Märchen durch die Arbeit an „Das kalte Herz“
geändert?
Als Jugendlicher habe ich fantastische Rollenspiele gespielt, mit Papier
und Würfel, die alles mit ausgedachten Dialogen und Aufgaben aushandeln.
Als ich älter wurde, war mir das peinlich. Die Beschäftigung mit dem
Märchen vom kalten Herz war, als ob ich auf den Speicher gehe, und ein paar
alte Kisten aufmache. Das Thema fiel mir leicht, zumal das Märchen
Botschaften enthält, die mir sehr wichtig sind.
Und die waren noch mal …?
Das ist jetzt mein dritter Film über die zerstörerische Kraft des Geldes.
Wie destruktiv es auf die Menschen wirkt – besonders auf die, die es
besitzen. Was es in einer Gesellschaft kaputt machen kann. Das wollte ich
untersuchen.
20 Oct 2016
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=21H4GeEOIh4
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Remake
Märchen
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Neu im Kino
Schwerpunkt Berlinale
Film
Devid Striesow
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