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# taz.de -- Neuer Kinofilm über Finanzkapital: Wo alles am Arsch vorbeigeht
> Johannes Nabers zweiter Spielfilm „Zeit der Kannibalen“ will eine
> groteske Affirmation der Spiele des Finanzkapitals sein. Doch der
> Anspruch ist zu groß.
Bild: Ohne Geld im Bett: Devid Striesow als Geschäftsmann Öllers, Katharina S…
Das Bewegtbildmedium Film tut sich schwer damit, die Bewegungen an den
globalen Finanzmärkten anschaulich zu beschreiben. Statt plausible Bilder
zu finden, delegieren Erklärfilme wie „Der große Crash – Margin Call“ d…
ästhetische Vermittlung sicherheitshalber in die Domäne des Wortes.
Aber auch das Bild des durch verschiedene Hände wandernden Geldscheins aus
Robert Bressons Film „Das Geld“ ist heute nicht mehr als ein schöner
Anachronismus, ein ähnlich überkommenes Symbol wie Michael Douglas’
klobiges Mobiltelefon in „Wall Street“.
Eine der genauesten Beschreibungen des Finanzkapitalismus findet sich in
Christian Petzolds „Yella“; genau nicht zuletzt deshalb, weil sie
ursprünglich aus einem Dokumentarfilm, Harun Farockis „Nicht ohne Risiko“,
stammt. In „Yella“ wird der Zuschauer Zeuge einer Investorenverhandlung,
und die Sprache, die diesem Prozess eine äußere Form verleiht, ist so kalt
und so funktionsorientiert faktisch, dass sich niemand wundern muss, wenn
sie nichts Schönes und Nachhaltiges hervorbringt.
Womit wir bei Johannes Nabers zweitem Spielfilm, „Zeit der Kannibalen“,
wären, der mit „Yella“ außer seinem Thema noch eine zweite Überschneidung
aufweist: Devid Striesow in der Rolle eines skrupellosen
Unternehmensberaters. Die Beträge, die in „Zeit der Kannibalen“ bewegt
werden, rangieren allerdings in einem anderen Kostensegment als in „Yella“.
Produktionsmittel im Wert von 120 Millionen Dollar sollen über Nacht von
Indien nach Pakistan verschoben werden – alles nur, um einen Großkunden zu
beeindrucken.
## Das Geld kommt nicht ins Bild
Eigentlich aber geht es um reine Selbstlegitimation, das Kapital muss sich
ständig behaupten. Öllers (Striesow) und sein Kollege Niederländer
(Sebastian Blomberg) sitzen in anonymen Hotelzimmern irgendwo auf der Welt
(Indien, Nigeria, egal) und spielen Herr über dieses Kapital.
Die Außenwelt existiert nur in Schemen: stilisierte Pappkartons als
Stadtsilhouette, Milchglasfenster, stellvertretend für den ätzenden Smog
der Megalopolis. Doch obwohl in „Zeit der Kannibalen“ unentwegt geredet
wird, bleibt das Setting abstrakt. Die Präzision der Sprache verlagert sich
von genauen Beobachtungen auf verbalisierte Affekte. Die Dialoge des
ehemaligen Werbetexters Stefan Weigl legen nicht das System offen, nur die
Temperamente der Figuren.
Niederländer ist ein pedantischer Neurotiker, der seinen Koffer in
Rekordgeschwindigkeit packen kann (am Ende wird ihm auch das nichts nutzen)
und die immaterielle Qualität seines Lebenswandels mit dem unbedingten
Willen zu körperlicher Fitness kompensiert. Auch Öllers hat sich in seinem
zynischen Leben eingerichtet: Er versteht sich als Teil einer Welt, die ihm
herzlich am Arsch vorbeigeht. Den Blow-Job des nigerianischen
Zimmermädchens nennt er „Entwicklungshilfe“, den Kapitalismus die letzte
Rettung für den afrikanischen Kontinent („Afrikaner auf dem Mond! Das
Wunder der Globalisierung!“).
Nur wenn er am Telefon seinen Sohn schlafen hört, wird er weich. Als ihr
dritter Teamkollege überraschend zum Partner der ’Company‘ gemacht wird und
durch die ehrgeizige Bianca (Katharina Schüttler) – mit NGO-Vergangenheit,
versteht sich – ersetzt wird, liegen plötzlich die Nerven blank.
## Satire der knappen Schlagworte
Es liegt nahe, die groteske Affirmation dieses brutalistischen Weltbilds
als Antwort des deutschen Kinos auf „Wolf of Wall Street“ zu verstehen.
Doch Naber – anders als Scorsese, der seinem hypertrophen Stil wenigstens
über drei Stunden treu bleibt – verzettelt sich zu sehr in seinen eigenen
Ansprüchen. Seinem Film fehlen für eine Farce die exzessiven Momente, für
eine schwarze Komödie Einsichten in die Figuren und für eine ernsthafte
Kritik am Finanzkapitalismus schlichtweg die Begriffe.
Drehbuchautor Weigl reduziert die Satire lieber auf knappe Schlagworte
(„People, Profit, Planet“). Vor diesem Widerspruch aus formaler Abstraktion
(das anonyme Hotelzimmer hat den Charme einer Theaterbühne) und
demonstrativer Überdetermination (die Selbstgeilheit der Figuren fällt
immer auch ein wenig auf die Darsteller zurück) muss „Zeit der Kannibalen“
letztlich kapitulieren.
22 May 2014
## AUTOREN
Andreas Busche
## TAGS
Devid Striesow
Remake
Arbeit
Golden Globes
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