# taz.de -- Außenpolitik auf Bayerisch: In unverbrüchlicher Freundschaft | |
> Sie verstehen sich: der bayerische und der ungarische Ministerpräsident. | |
> Viktor Orbán sprach am Montag im Bayerischen Landtag. | |
Bild: „Die EU ist abgedriftet“: Viktor Orbán am 17. Oktober in München | |
MÜNCHEN taz | Nein, das mit dem Sarg war natürlich ein Zufall. Wenige | |
Stunden vor dem großen Festakt zum 60. Jahrestag des Ungarn-Aufstands im | |
Bayerischen Landtag werden dort Mitarbeiter der Grünen-Fraktion mit einem | |
schwarzen Sarg gesichtet. Im Landtagsamt soll einen Augenblick lang | |
ziemliche Aufregung geherrscht haben. Sieht das Ganze doch verdächtig nach | |
einer illegalen Demonstration aus. Dann sagt auch noch einer etwas von der | |
Demokratie, die am heutigen Tage zu Grabe getragen würde. Plant da etwa | |
jemand, die Bannmeile des Landtags zu missachten? Nein, nein, wiegeln die | |
Grünen-Mitarbeiter ab, man räume das gute Teil doch nur weg. Der Sarg war | |
bei einer Protestaktion am Rande der Alpenkonferenz am Chiemsee zum Einsatz | |
gekommen. Dass die Sargträger nun auf dem Weg in die Fraktionsbüros | |
besonders lange auf den Gängen des Maximilianeums unterwegs waren – ein | |
Zufall, natürlich. | |
In der Tat geht der Festakt dann sarglos über die Bühne. Gefeiert wird vor | |
allem die Fortsetzung einer wundervollen Freundschaft. Der Freundschaft des | |
ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán mit dem bayerischen | |
Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Die beiden ließen es sich dann auch | |
nicht nehmen, bei der Beschwörung der bayerisch-ungarischen Beziehungen | |
sehr weit auszuholen: Damals, vor tausend Jahren sei das schon losgegangen, | |
mit der Gisela und dem Stephan. Die bayerische Herzogstochter und der | |
ungarische Kronprinz. Eine Traumhochzeit muss das gewesen sein, und wenn | |
die beiden Herren jetzt erzählen würden, sie seien höchstpersönlich dabei | |
gewesen, man würde es ihnen sofort abnehmen. | |
Stattdessen reden sie über Europa, dessen wichtigsten Mitglieder, so klingt | |
es fast, Ungarn und Bayern sind. Bayern sei noch nicht selbstständig, | |
bedauert Seehofer einmal, wohl im Scherz – deshalb sei er selbst bei den | |
EU-Gipfeln nicht dabei. Dafür sei Bayern, schmeichelt Orbán seinem Freund, | |
„eine der stärksten Regionen der Welt“ und „der Motor Europas“. | |
Beide Politiker geben sich als glühende Europäer, die nur die Sorge um den | |
Kontinent umtreibt. „Meine Generation hat immer von der Wiedervereinigung | |
Europas geträumt. Der Beitritt zur Europäischen Union war für uns | |
natürlich“, sagt Orbán. „Wir gehören hierher.“ Und Seehofer spricht vo… | |
Gründungsidee der EU als der „genialsten Idee der Nachkriegsgeschichte“. | |
## Die Opposition mosert | |
Gut anderthalb Stunden zuvor ist der ungarische Premier an der | |
Staatskanzlei eingetroffen. Der bayerische Ministerpräsident hat die | |
ungarische Flagge hissen lassen, empfängt den Gast an der Tür und zieht | |
sich mit ihm zum privaten Tête-à-Tête zurück. „Ich möchte die Treffen mit | |
dir nicht missen“, sagt der Bayer später im Landtag, bevor er sich | |
herunterbeugt und den kleinen Mann in die Arme schließt. | |
Klingt mehr nach Männerfreundschaft als nach kritischem Dialog. Gerade in | |
der gegenwärtigen Lage sei es doch wichtig, mit allen europäischen | |
Regierungen im Gespräch zu bleiben, hatte sich Seehofer zuvor gegen den | |
Vorwurf mangelnder Distanz gewehrt. „Ich spreche ja auch mit Renzi und | |
Hollande oder dem Spanier.“ | |
„Kumpanei durch Anbiederung“ nennt es dagegen SPD-Fraktionschef Markus | |
Rinderspacher. Es sind noch ein paar Stunden bis zum Festakt. Während | |
nebenan die Vorbereitungen laufen, steht Rinderspacher mit seiner | |
Grünen-Kollegin Margarete Bause an einem Tisch vor dem Saal. Kurzfristig | |
haben sie eine Handvoll Journalisten zusammengetrommelt, um ihren Unmut ein | |
weiteres Mal kundzutun. Seehofer rolle einem „Europazerstörer“ den roten | |
Teppich aus, sagt Rinderspacher. Bause spricht von einem „schmutzigen Deal | |
zum jeweiligen innenpolitischen Nutzen“. Seehofer nutze erneut die | |
Gelegenheit für einen Affront gegen Angela Merkel, indem er sich mit einem | |
ihrer stärksten Widersacher in Europa treffe. Besonders stört die beiden, | |
dass die Veranstaltung ausgerechnet im bayerischen Parlament stattfindet. | |
## Der Landtag: ein offenes Haus | |
Es gibt schließlich Gründe, warum Orbán in der EU kritisch beäugt wird. Der | |
Rechtspopulist regiert mit seiner Fidesz-Partei zunehmend autokratisch. | |
Freiheitsrechte, insbesondere die Pressefreiheit, werden rigoros | |
eingeschränkt. Gerade erst wurde in Budapest die Oppositionszeitung | |
Népszabadság überraschend eingestellt. Offiziell eine rein wirtschaftliche | |
Entscheidung des Eigentümers. Kritiker dagegen sehen darin eine weitere | |
Maßnahme Orbáns gegen die Pressefreiheit. Luxemburgs Außenminister Jean | |
Asselborn forderte jüngst sogar einen Ausschluss Ungarns aus der EU. | |
Dass Orbán nun ausgerechnet im altehrwürdigen Münchner Maximilianeum | |
sprechen darf, geschieht jedoch nicht auf Einladung des Landtags. | |
Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) verfolgt ein Konzept des offenen | |
Hauses. Heißt: Räume des Landtags können gemietet werden. Ein Service, den | |
auch Generalkonsulate gern in Anspruch nehmen. So haben die Niederländer | |
hier schon ihren Nationalfeiertag gefeiert, die Amerikaner veranstalten in | |
wenigen Wochen hier ihre Wahlparty. | |
Die Ungarn wiederum haben sich schon vor einem Jahr für ihre | |
Gedenkveranstaltung zur Revolution von 1956 angemeldet. „Freedom First“ | |
steht auf der Einladungskarte. Von der Teilnahme Orbáns war damals keine | |
Rede. Jetzt habe man ihn schlecht ausladen können, heißt es. | |
Landtagspräsidentin Stamm ist an diesem Abend nicht im Haus, sie gibt | |
Termingründe an. | |
## Stoiber und Dschingis Khan | |
Stattdessen sind rund 200 ausgewählte Gäste der Einladung des | |
Generalkonsulats gefolgt. Standing Ovations für das | |
Ministerpräsidenten-Duo, ZDF-Historiker Guido Knopp und Orbán-Spezl und | |
Schlagersänger Leslie Mandoki (Dschinghis Khan) sind ebenso anwesend wie | |
Prinz Luitpold von Bayern. Und natürlich Edmund Stoiber. Der | |
CSU-Ehrenvorsitzende dient gern als Bindeglied zwischen Seehofer und | |
umstrittenen Machthabern im Osten. Er hatte auch den Besuch Seehofers bei | |
Putin zu Jahresbeginn eingefädelt. An den Türen stehen Herren mit finsteren | |
Gesichtern und Knopf im Ohr, die sich von Zeit zu Zeit etwas auf Ungarisch | |
zuraunen. Auf dem Podium sorgen István Pál Szalonna und seine Band für | |
musikalische Folklore. | |
Im Senatssaal hat früher die zweite Länderkammer getagt, die zum | |
Jahrhundertwechsel per Volksentscheid abgeschafft worden ist. Jetzt steht | |
hier Viktor Orbán vor dem riesigen Wandteppich mit dem bayerischen | |
Staatswappen und sagt: „Wir sind ein nüchternes Volk. Wir kennen unsere | |
Kraft, wir suchen nicht nach Schwierigkeiten.“ | |
Aber alle 30 Jahre bescherten die Geschichte und die sensible geografische | |
Lage seinem Land eine besondere Aufgabe, meint Orbán. Die Grenzöffnung 1989 | |
und der Grenzschutz heute seien zwei Seiten derselben Medaille. „1989 | |
handelten wir für die Freiheit Europas – und jetzt schützen wir diese | |
Freiheit.“ Die Lage sei so, dass die Europäer nicht feige den Kopf | |
wegdrehen dürften. Die EU „ist abgedriftet in einen Bereich außerhalb des | |
Rechts“, sagt Orbán weiter. Es brauche Mut, die EU zu erneuern. Reformen | |
seien zu wenig. | |
## Waffenbrüderschaft | |
Wer taugte besser als Retter des „geliebten alten Kontinents“ als diese | |
beiden Premiers? Für den „lieben Viktor“, wie ihn Horst Seehofer nennt, ist | |
„die bayerisch-ungarische Freundschaft in Europa […] eine einzigartige | |
Waffenbrüderschaft“. | |
Pflichtbewusst streifen die beiden Redner auch das eigentliche Thema des | |
Abends, den Anlass ihrer Zusammenkunft. Bei dem Volksaufstand in Ungarn | |
(siehe Infokasten), der am 23. Oktober 1956 begann, hatten sich große Teile | |
der Bevölkerung unter der Führung von Imre Nagy gegen die Kommunisten und | |
die sowjetische Besatzungsmacht aufgelehnt. Ein Aufstand, der nach weniger | |
als zwei Wochen von den Sowjets niedergeschlagen wurde. | |
Sowohl Seehofer als auch Orbán nutzen 1956 als Klammer für ihren Vortrag | |
über das Hier und Jetzt, sprechen von den „Helden“ von damals. Ein gutes | |
Dutzend von ihnen sind anwesend, eben noch hatte sie der ungarische | |
Generalkonsul Gábor Tordai-Lejkó begrüßt. | |
Menschen, die 1956 dabei waren, vielleicht sogar ihr Leben riskiert haben | |
und dann ins Exil gehen mussten. In Bayern haben sie ein neues Leben | |
begonnen. Interessant wäre es gewesen, ihre Geschichte zu hören. Aber das | |
wäre dann eine andere Veranstaltung geworden. | |
18 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
## TAGS | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Viktor Orbán | |
Rechtspopulismus | |
Wladimir Putin | |
Russland | |
Kanzlerkandidatur | |
Ungarn | |
Ungarn | |
Ungarn | |
Viktor Orbán | |
Viktor Orbán | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Treffen zwischen Putin und Orban: Einigkeit in Budapest | |
Ungarns Premier und Russlands Präsident betonen ihre Gemeinsamkeiten. Putin | |
spendiert ein AKW und die ungarische Opposition protestiert. | |
Ungarn bestellt russischen Botschafter ein: „Entwürdigung“ von 1956 | |
Russische Medien haben den ungarischen Volksaufstand von 1956 angeblich in | |
schlechtem Licht dargestellt. Jetzt muss der russische Botschafter in | |
Budapest antreten. | |
Erneute Kandidatur Merkels: Unterstützung aus der CSU wächst | |
Die CSU-PolitikerInnen Hasselfeldt und Huber sprechen sich dafür aus, dass | |
Angela Merkel erneut als Kanzlerkandidatin bei der Bundestagswahl antritt. | |
Interview Leslie Mandoki: „Viktor Orbán ist ein Glücksfall“ | |
Ex-Dschinghis-Khan-Mitglied Leslie Mandoki floh 1975 von Ungarn nach | |
Deutschland. Heute verteidigt er die Politik des ungarischen | |
Ministerpräsidenten. | |
Demonstration in Ungarn: Tausende für Pressefreiheit | |
Gegen die Fidesz-Regierung auf der Straße: Eine Woche nach der Schließung | |
von Ungarns größter Oppositionszeitung protestieren in Budapest Tausende. | |
Pressefreiheit in Ungarn: Plötzliches Aus für „Népszabadság“ | |
In Ungarn ist am Samstag die größte noch unabhängige Tageszeitung | |
geschlossen worden. Erscheint sie bald neu, aber auf Regierungslinie? | |
Ungarischer Festakt in München: Empörung über Ankündigung Orbáns | |
Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán soll gemeinsam mit | |
Ministerpräsident Horst Seehofer auftreten. Kritik kommt auch aus der | |
Schwesterpartei. | |
Kommentar Referendum in Ungarn: Über die eigene Schwelle gestolpert | |
Orbáns Referendum ist an den hohen Hürden gescheitert, die er selbst | |
eingeführt hat. Für seine Politik war das Ergebnis ohnehin unerheblich. |