# taz.de -- Kolumne Wirtschaftsweisen: Endlich zwischen den Gittern denken | |
> Es wird immer offenkundiger, dass der Ost-Berliner Tierpark schrittweise | |
> abgewickelt wird – natürlich zugunsten des Westberliner „Schauzoos“. | |
Bild: Kleine Show für die Presse: Zoo- und Tierparkdirektor Andreas Knieriem (… | |
„Heutzutage ist das Wildtier ein Kulturgut, auf welches die gesamte | |
Menschheit einen legitimen Anspruch hat“, schreibt der Züricher Zoodirektor | |
Heini Hediger in seiner Begründung einer „Zoobiologie“, die quasi „zwisc… | |
den Gittern“ denkt, welche Zootier und -besucher trennen. Dabei geht es | |
darum, für die inhaftierten Tiere ihre freie Lebensweise annähernd | |
nachzubilden und sie den Menschen nahezubringen. Die meisten Zoos müssen | |
sich deswegen ständig modernisieren, vergrößern und ihre Arten reduzieren, | |
viele müssen überdies aus dem Zentrum an den Stadtrand ziehen. | |
Der 33 Hektar kleine Westberliner Zoologische Garten ist zu alt und zu eng, | |
mit schönen Tierhäusern im maurischen und in anderen exotischen Stilen, die | |
jedoch nur für die Besucher gedacht sind, nicht für die Tiere. Der | |
Volkstierpark in Friedrichsfelde ist dagegen moderner, die Tierhäuser sind | |
schlichter, aber zum einen halfen Tausende Ostberliner mit Spaten und Hacke | |
beim Aufbau, und zum anderen spendeten alle möglichen Schülergruppen und | |
Betriebe Tiere, die Stasi etwa Stachelschweine. Mit seinen 160 Hektar war | |
er lange Zeit der größte Tierpark der Welt. | |
Mit der Wende 1989/90 wurde erst ihrem Gründer, dem Tierparkdirektor | |
Heinrich Dathe, Knall auf Fall wegen Regierungsnähe gekündigt, dann | |
überführte man die Menschenaffen in den Westzoo. Als auch noch die | |
„Schlangenfarm“ in den Westen sollte, kam es zu heftigen Protesten, sodass | |
der Plan fallen gelassen wurde. Zunächst hatte die Aktiengesellschaft Zoo, | |
die dem Finanzsenat untergeordnet ist, den beim Magistrat für Kultur | |
angesiedelten Tierpark in eine GmbH umwandeln lassen. Diese wurde dann | |
aufgelöst! | |
Später gründete Exbürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) eine Stiftung für | |
beide „Hauptstadtzoos“, denen ein Direktor vorstand. Im Osten gab es | |
stattdessen eine „Gemeinschaft der Förderer des Tierparks“, die, so sieht | |
es auf der Internetseite der Stiftung aus, ebenfalls von ihr geschluckt | |
werden soll. Die Anbindung beider Zoos an den Finanzsenat tut dem Tierpark | |
nicht gut: Im Aufsichtsrat sitzen Manager und Finanzbeamte. Sie können gut | |
mit Zahlen umgehen, aber rechnen ist nicht denken! | |
Dem Tierpark wurden die Löwen weggenommen, angeblich um ihr Gehege zu | |
vergrößern, Ähnliches geschah mit den Fischen, aber passiert ist bisher | |
noch nichts. Im Gegenteil, man versuchte einen Teil des Grundstücks zu | |
verkaufen, immer mehr Käfige, Volieren und Gehege stehen leer, und den | |
Tierparkführer will der neue Direktor der „Hauptstadtzoos“ nicht wieder | |
auflegen, obwohl er veraltet ist. Dafür ließ er zwei sündhaft teure | |
Kinderspielplätze errichten. „Der neue Direktor,“ so heißt es in der | |
Fördergemeinschaft, „das ist unser größtes Unglück.“ | |
All diese demotivierenden Entwicklungen verdichten sich zu dem Eindruck, | |
dass der Tierpark schleichend abgewickelt wird. Als Begleitmusik tönen die | |
den Westberliner Bauluden und Bankern sich andienenden Springer-Blätter | |
regelmäßig, wenn der Tierpark nicht mehr Besucher anlocke, drohe ihm die | |
Schließung. | |
Zahlende Besucher sind das Wichtigste bei den heutigen Zoos, aber alle | |
bisherigen Westberliner Pläne für die „Hauptstadtzoos“ laufen darauf | |
hinaus, sie bloß für den Amüsierpöbel attraktiv zu machen. Der Tierpark | |
muss dringend dem Kultursenat angeschlossen werden, bevor das eintritt, was | |
sein letzter Direktor, Heinrich Dathe, bereits kurz vor seinem Tod 1991 | |
befürchtete: dass die Westberliner Kamarilla ihren „Schauzoo“ auf Kosten | |
des Tierparks aufmöbelt und diesen zu einem bloßen „Hirschgarten“ | |
runterrechnet. | |
Gemäß allen zoobiologischen Erfahrungen und tierschützerischen Überlegungen | |
müssten jedoch eigentlich die Tiere des Westberliner Stadtmittezoos in den | |
Stadtrandtierpark umziehen, so wie es in New York (das sechs Zoos hat) und | |
in vielen anderen Städten vernünftigerweise geschieht. Analog zur | |
Volksbühnenbewegung braucht es dazu eine Tierparkbewegung – als | |
„Orientierungskonzept“. | |
9 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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