# taz.de -- Kolumne Leuchten der Menschheit: Klassenkampf der Alphatiere | |
> Der Zoo im Westen und der Tierpark im Osten Berlins waren Statussymbol | |
> ihres Systems. Ein Buch erklärt, warum ein Adler Willy Brandt hieß. | |
Bild: Tierischer Systemkonflikt: Pumanachwuchs im Tierpark Berlin | |
Willy Brandt sitzt hinter Gittern und verspeist gern tote Ratten. Solche | |
Schlagzeilen entstehen, wenn der Kalte Krieg nicht nur in der Politik oder | |
beim Kampf um Goldmedaillen tobt. „Der Zoo der Anderen“ lautet der Titel | |
des Buchs des Journalisten Jan Mohnhaupt (Hanser, 2017) über den | |
Zoologischen Garten in Westberlin und den Tierpark in Ostberlin. Dass Willy | |
Brandt hinter Gittern saß und am liebsten tote Ratten aß, lag daran, dass | |
der ehemalige US-Justizminister Robert Kennedy 1962 dem Westberliner Zoo | |
einen Weißkopfseeadler vermachte, den er nach dem Regierenden Bürgermeister | |
Westberlins benannte. Das Tier war aber schon betagt, fraß am liebsten tote | |
Ratten und konnte nicht fliegen – ein gefundenes Fressen für die Presse im | |
Osten. | |
Der Zoo im Westen und der Tierpark im Osten waren Statussymbole | |
unterschiedlicher Systeme, und ihre Direktoren waren sich spinnefeind: | |
Heinz-Georg Klös, Direktor des Westberliner Zoos, dem ältesten des Landes, | |
1870 gegründet, und dem artenreichsten der Welt, und Heinrich Dathe, | |
Direktor des Tierparks, dessen Bau 1954 mit rund 90 Hektar der größte der | |
Welt wurde. | |
Der Klassenkampf machte aus den Männern Alphatiere, obwohl beide ihre | |
Doktorarbeit über Meerschweinchen geschrieben haben. „Die Mauer war der | |
Schutz zwischen ihren Revieren, in denen sie konkurrenzlos herrschten“, | |
schreibt Mohnhaupt. Als Dathe einmal seinen Westkollegen zum Essen einlud, | |
gab es Klößchen für Klös. Und Klös sagte einmal: „Wenn ich mit einem | |
Lastwagen anreise, kommt Dathe mit einem ganzen Waggon.“ | |
Das Buch ist eine amüsante Lektüre über zwei Zoos und ihre Direktoren im | |
Spannungsfeld der Politik. Es geht um Tierspenden von Ostbetrieben – | |
Strauße von der Stadt Straußberg oder Brillenbären vom Wachregiment der | |
Stasi –, um illegale Tiertauschaktionen, um geflüchtete Tierpfleger und | |
eine Vereinbarung, dass der Westzoo diese nicht einstellt. Einen | |
Prestigeerfolg errang der Osten, als er 1958 die Pandabärin Chi Chi holte. | |
Dem Zoologischen Garten gelang das erst 1980, als Bundeskanzler Helmut | |
Schmidt zwei Pandas als Staatsgeschenke aus China brachte. | |
Klös versuchte, seinen Konkurrenten mit dem Bau eines Menschaffenhauses | |
auszustechen, weil „Affen ohne Devisen kaum zu bekommen sind“ und man | |
Eisenstangen für die Gitterkäfige benötigte. „Die dürften drüben noch | |
schwerer zu beschaffen sein als Devisen.“ | |
Noch heute verläuft eine unsichtbare Grenze durch die ehemals geteilte | |
Stadt. Westberliner gehen in den Zoo, Ostberliner in den Tierpark. Das | |
einzige noch lebende Tier aus der Zeit, als Dathe Direktor im Tierpark war, | |
ist der China-Alligator Mao, ein Geschenk aus Peking zur Eröffnung. | |
Unsterblich hingegen ist der Pandabär Chi Chi. Nachdem er nach London | |
verkauft worden war, diente er als Vorbild für das Wappentier des World | |
Wildlife Fund. | |
26 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Barbara Bollwahn | |
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