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# taz.de -- Wahlfreiheit für Weibchen: Tinder für Menschenaffen
> Tiere im Internet gehen immer, aber so? Die Orang Utans im Stuttgarter
> Zoo dürfen per Video-Dating auswählen, mit wem sie sich paaren wollen.
Bild: Na? Wie wäre es mit dem? Online-Dating im Stuttgarter Zoo
Berlin taz | Auf die Werbung einer Internet-Partnerbörse „Alle 11 Minuten
verliebt sich ein Single über Parship“ reagierte der „scienceblog“ mit
einer Wahrscheinlichkeitsrechnung: „Wenn sich bei geschätzten rund 5
Millionen Mitgliedern in Deutschland sogar alle 10 Minuten zwei davon
ineinander verlieben, damit aus dem Sucherpool ausscheiden und durch zwei
neue Singles ersetzt werden, beträgt für ein zufällig ausgewähltes Mitglied
die Wahrscheinlichkeit einer neuen Liebe pro Jahr kaum mehr als 2 Prozent.“
Dessen ungeachtet gibt es nun auch so etwas Ähnliches wie eine Partnerbörse
für Orang-Utans: Die Zoologin im Stuttgarter Tiergarten „Wilhelma“,
Marianne Holtkötter, hat damit bereits „erfolgreich zwei Orang-Utans
verkuppelt,“ wie Die Zeit berichtete. Auf der Internetseite des Tiergartens
heißt es: „Bei der Partnervermittlung halfen erstmals Videos, mit denen im
Vorfeld getestet wurde, ob sich das vorgesehene Zuchtpaar auch sympathisch
ist. Die Zeichen stehen gut: Sinta und Conny zeigten sich interessiert an
ihren ‚Zukünftigen‘, als die Tierpfleger ihnen beim ‚Video-Dating‘
Filmschnipsel der jeweils in Frage kommenden Orang-Utan-Männer zeigten.“
Bei den anvisierten „Zukünftigen“ handelt es sich um den in einem
belgischen Zoo lebenden Orang-Utan-Mann Gempa – für Sinta, und um den im
Hamburger Tierpark Hagenbeck lebenden Tuan – für Conny. Ihnen hatte man
umgekehrt Videoschnipsel der „Orang-Utan-Damen“ gezeigt. „Ob es vor Ort
dann Liebe auf den zweiten Blick wird, müssen wir abwarten“, meinte die
Kuratorin für Menschenaffen Marianne Holtkötter gegenüber den „Stuttgarter
Nachrichten“. „Für Orang-Utans spielt das Aussehen bei der Partnerwahl
offenbar wie bei uns Menschen eine wichtige Rolle. Das Europäische
Erhaltungszuchtprogramm (EEP) forscht dazu noch. Für uns ist es zumindest
ein zusätzlicher Anhaltspunkt, ob es etwas werden kann mit den jeweiligen
Zuchtpartnern.“
Der Frankfurter Neuen Presse sagte sie: „Worauf wir jetzt als nächstes
warten, ist ein positiver Schwangerschaftstest“. Die Zoologin hält speziell
die Orang-Utans für „sensibel und anders [als die anderen Menschenaffen]
beobachtend“. Auch für ihre Pfleger würden sie Sympathien oder Antipathien
entwickeln.
Dies hatte bereits der Gestaltpsychologe Wolfgang Köhler sozusagen am
eigenen Leib erfahren. Er leitete von 1914 bis 1920 die Anthropoidenstation
der Preußischen Akademie der Wissenschaften auf Teneriffa, wo er
Intelligenztests mit Schimpansen unternahm und sich außerdem mit einem
Orang-Utan-Weibchen namens „Catalina“ befasste, wobei er zu dem Schluss
kam: „Dies Wesen steht uns der ganzen Art nach viel näher als Schimpansen,
es ist weniger Tier' als sie.“ Dieser Eindruck resultiere nicht so sehr
„aus ihren intelligenten Leistungen‘ als durch das, was man Charakter,
Sinnesart o.dergl. nennt.“ Catalina hatte sich während der Experimente in
Köhler verliebt.
Für die Stuttgarter Zoologin folgt aus den bisherigen Ergebnissen der
Orang-Utan-Verhaltensforschung, dass es für die Zucht sinnvoll sein könne,
„sie ihre Partner selbst wählen zu lassen“ – über Video-Dating, was für
Sinta laut Stuttgarter Nachrichten heißt, „indem man sich vergewissert,
dass ihr ein Partner zugeteilt wird, der ihr optisch zusagt.“ Man erhofft
sich davon „noch höhere Nachwuchsraten, wenn Weibchen einen Partner haben,
den sie auch wirklich mögen.“ Und die vermehrten Anstrengungen zur Züchtung
in Zoos seien notwendig, weil die Orang-Utans auf Borneo und Sumatra stark
gefährdet sind, es gibt nur noch etwa 63.500.
Bei den frei lebenden Menschenaffen leben die Weibchen in kleinen Gruppen
mit ihren Töchtern, während die dominierenden Männchen weitgehend alleine
nomadisieren, „sie sind Einzelgänger, die sich lediglich zur Paarung
zusammenfinden, gelegentlich kommt es dabei zu einer Vergewaltigung,“ wie
die seit 1972 auf Borneo Orang-Utans erforschende Anthropologin Beirute
Galdikas beobachtete.
Vielleicht verhalten sich die Orang-Utans im Zoo anders. Dem
Südwestrundfunk erklärte Marianne Holtkötter: “‚Über Wohl und Wehe
entscheidet beim Anbandeln der Körperkontakt. Sie bilden ein Knäuel und
halten sich fest‘. Wie sich das anfühle, entscheide auch darüber, ob sich
beide am Ende gar nicht mehr loslassen wollen.“
Dass das Verpaaren per Video-Dating, „Tinder für Affen“ nennt es Die Welt,
bei Sinta-Gempa erfolgreich zu sein scheint und bei Conny-Tuan noch alles
offen ist, hält Marianne Holtkötter zwar bereits für ein Beispiel, dass es
„funktioniert, aber das ist nicht der Beweis.“ Sie versteht trotzdem nicht,
warum solch ein Dating-Verfahren mit Videos bzw. Fotos nicht längst
systematisch angewendet wird. Beim nächsten Treffen des Europäischen
Erhaltungszuchtprogramms (EEP) werde sie das zur Sprache bringen.
Kürzlich kamen die Stuttgarter Nachrichten mit einem Gegenbeweis: Im
niederländischen Zoo Apenheul hatte man dem Orang-Utan-Weibchen „Samboja“
auf einem Apple-Tablet Bilder von Orang-Utan-Männchen gezeigt. Erste
Ergebnisse nannte der Zoo „vielversprechend“. Zumindest ließen die Bilder
Samboja nicht kalt: „Womöglich frustriert davon, dass sie die Männchen –
stattliche Affenmänner – nur aus der Ferne anhimmeln konnte, zerstörte
Samboja das Tablet – und das, obwohl der Zoo das Gerät extra mit Stahl
verstärkt hatte.“
Es gibt einen Film von Nicolas Philibert über eine kleine Orang-Utan-Gruppe
im Pariser Jardin des Plantes: „Nenette“ – so heißt dort auch das ältes…
Tier, ein 40jähriges Weibchen. Vor ihrem Käfig die Kamera und Besucher,
einige kommen jeden Tag, erzählen ihr Wissen über Nenette, ebenso die
Affenpfleger, einer betreute sie 35 Jahre lang. Weil Nenette mit ihrem Sohn
Tubo zusammen lebt, bekommt sie die Antibabypille. Geboren wurde sie 1969
auf Borneo, 1972 kam sie in den Jardin des Plantes. Eine Zuschauerin fragt:
„Willst du mit mir reden?“ Eine Pflegerin meint: „So lange in
Gefangenschaft zu sein, ist natürlich schrecklich, wir fühlen uns hier alle
schuldig.“ Weil einige Besucher sich küssten, taten es ihnen irgendwann die
Orang-Utans nach. Bei rothaarigen Besucherinnen machen sie, die ebenfalls
rothaarig sind, Kussgesten zu ihnen hin.
Der Gründer und Direktor des „Wildlife Parks“ auf der Insel Jersey, Gerald
Durrell, schreibt in einem seiner Bücher, dass sein rothaariger Mitarbeiter
Simon eines Tages Ärger mit dem ausgewachsenen Orang-Utan namens Gambar
bekam, weil dieser sehr eifersüchtig auf seine Frau Gina war und Simon für
einen Nebenbuhler hielt. Wenn der den Gitterstäben nahe kam, schlug der
Orang-Utan derart wütend gegen einen alten Autoreifen in seinem Käfig, dass
es laut dröhnte. Anschließend packte er Gina und vergewaltigte sie. Simon
meinte, dass Gina ihn dabei mit einem anklagenden Blick ansah. Er war sich
sicher, dass sie ihm die Schuld dafür gab.
Die Nachrichtenagenturen meldeten unterdessen aus Borneo: Die Arbeiter auf
den Palmölplantagen „töten und essen Orang-Utan“. Und aus Sumatra: „Ein
blindes Orang-Utan-Weibchen konnte nach einer Augenoperation erstmals ihre
zwei Babies sehen.“ Die auf einer „Quarantänestation“ bei Batu Mbelin
lebende „Gober“ war 2008 wegen beidseitigem Grauen Star dort eingeliefert
worden. Der Vater ihrer Zwillinge, Leuser, ist ebenfalls blind: seine Augen
wurden durch Luftgewehrschüsse zerstört.
Im Kölner Zoo musste die „Orang-Utan-Dame ‚Tilda‘“ (50), das „ältes…
im Zoo“, wegen einer massiven Nierenerkrankung eingeschläfert werden. Und
im Wuppertaler Zoo wurde das 43jährige Orang-Utan-Männchen „Vedjar“ wegen
großer gesundheitlicher Probleme ebenfalls eingeschläfert. Im Kaliningrader
Zoo muss sich der aus Dänemark eingetroffene Orang-Utan Benjamin noch an
die neuen Lebensbedingungen gewöhnen – auch an die neue Sprache: Noch
versteht er seine Tierpfleger nicht, die sich in Russisch an ihn wenden.
Doch erste Ergebnisse des praktischen sprachlichen Verstehens machen
Hoffnung, sagte die Zoodirektorin Swetlana Sokolowa.
2 Mar 2017
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Orang-Utan
Online-Dating
Menschenaffen
Stuttgart
Tierpark
Tiere
Dating-App
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