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# taz.de -- Flamingo überrascht mit neuem Image: Zickig, aber hübsch anzusehen
> Die jüngste Karriere des Flamingos verwundert. Lange galten die Biester
> als zänkisch. Heute ist der rosa Vogel für viele ein Sehnsuchtstier. Wie
> kommt's?
Bild: Widerspruch? Flamingos gelten als feinfühlige Liebesvögel, sind unterei…
„Flamingos gehören zu den beliebtesten Pfleglingen in Tiergärten“, teilt
der Verband der Zoodirektoren mit. Diese Wasservögel sind wegen ihres rosa-
bis purpurroten Gefieders und ihres eigentümlichen Schnabels auch die am
häufigsten fotografierten Zootiere.
An ihren natürlichen Standorten, in Indien und Florida zum Beispiel, finden
seit vielen Jahren schon Pink Flamingo Festivals statt. Auf Musikfestivals
erfreuen sich Pink Flamingo Rave Outfits (mit vielen rosa Puscheln) großer
Beliebtheit, in den USA stellt man sich statt Gartenzwerge leuchtende
Flamingos in den Garten, auch in den dortigen Schwulenbars sind sie
beliebt. Hierzulande sieht man sie jetzt als „Trendmotiv“ auf T-Shirts,
Tapeten und Möbeln. Als sie auch noch auf der Berliner Fashion Werk
erschienen, fragte der Spiegel das Deutsche Modeinstitut, was das zu
bedeuten habe. „Jedes Tier in der Mode ist eine Anspielung auf
gesellschaftliche Zustände“, wurde ihm geantwortet, und der Flamingo sei
ein „Sehnsuchtstier“.
In Berlin gibt es inzwischen etliche Lokale mit Namen wie Pink Flamingo
(unter anderem eine „Bio-Pizzeria“). Hier hat man jedoch noch keine wild
lebenden Flamingos gesichtet, wohl aber in Frankreich, Spanien, auf
Sizilien und seltsamerweise in einem Moor bei Münster. Wahrscheinlich sind
es Zooflamingos, denen mit quasi heimlich nachgewachsenen Flügeln die
Flucht gelang, Flamingos sind nicht besonders kälteempfindlich, obwohl sie
aus den warmen und sogar heißen Zonen stammen. „Tatsächlich bevölkern sie
eines der rauhesten Habitate der Erde – seichte hypersaline Seen. Nur
wenige Lebewesen vermögen die ungünstigen Bedingungen in der Nähe von
Salzwüsten zu ertragen. Da Konkurrenten fehlen, können diejenigen, die hier
gedeihen, unglaublich große Populationen aufbauen“, schreibt der
amerikanische Wissenshistoriker Stephen Jay Gould in seinem Buch „Das
Lächeln des Flamingos“.
Im Charlottenburger Zoologischen Garten lebt ein Flamingo, der 68 Jahre alt
ist, eines der ältesten Zootiere Deutschlands, er wurde 1948 in Freiheit
geboren, dann eingefangen und über Kairo nach Berlin gebracht, was man erst
vor einiger Zeit anhand seines Fußringes herausfand.
## Wahre Schönheit entfalten sie im Schwarmflug
In dem 1955 eröffneten Tierpark Friedrichsfelde, wo es (wie zuvor auch im
Charlottenburger Zoo) eine Flamingo-Bar für Sommernachtsevents gibt, wurde
1967 eine Lagune am Kamelgehege für die Flamingos geschaffen. Sie bauten
sich darin schon bald Schlammkegel, auf denen sie dann auch brüteten. In
diesem Jahr schlüpften dort bereits neun Junge. Der Gründer und erste
Direktor des Tierparks, Heinrich Dathe, schrieb in einem seiner
Zootierbücher: „Flamingos führen alle Handlungen im Kollektiv aus, sie sind
ausgesprochen soziale Vögel.“
Schon ihre Jungen bilden sofort eine Art Kindergarten unter Aufsicht
einiger Erwachsener, während ihre Eltern auf Futtersuche sind. Dieser
Kollektivismus mag der Grund sein, weswegen die Flamingos in den Zoos, wo
viele Tiere Namen (wie Knut, Knautschke, Bobby) haben, quasi anonym
bleiben.
Der Zürcher Zoodirektor und Tierpsychologe Heini Hediger ist sich jedoch
sicher, dass sie „akustische Eigennamen“ haben, dass sie sich also –
ähnlich wie die ebenfalls in großen Kolonien lebenden Pinguine – auf Zuruf
angesprochen fühlen (die Eltern würden sonst ihr Junges im „riesigen
Kindergarten“, der bei den Zwergflamingos bis zu 300.000 Tiere umfassen
kann, gar nicht wiederfinden).
„So lieblich uns diese Vögel dünken, so gehässig und zänkisch verhalten s…
sich gegeneinander“, schrieb die erste Nachkriegsdirektorin des
Charlottenburger Zoos, Katharina Heinroth, im Tagesspiegel 1956. Auf einem
Youtube-Clip „Zickenkrieg unter den Flamingos“ – über die Brutkolonie im
Friedrichsfelder Tierpark – kann man sehen und hören, dass das noch immer
der Fall ist. Dessen ungeachtet bleiben sie stets im Schwarm zusammen. Auch
ihre Schönheit entfalten sie eigentlich erst im Schwarmflug, der ihnen
jedoch in den Zoos verwehrt wird.
## Oh, oh: vor 2.000 Jahren fast ausgestorben
Die meisten Flamingos leben im flachen Brackwasser, wo sie sich – ebenso
wie in den Lagunen von Salzseen – von Kleinkrebsen ernähren, die sie
sozusagen auf dem Kopf stehend mit ihrem Schnabel aus dem flachen Wasser
seihen. Dazu haben sie eine fleischige Zunge, die wie eine Pumpe das Wasser
ansaugt und durch den gezahnten Schnabel, der wie ein Filter wirkt,
zurückdrückt, soddass die Krebschen und Larven hängen bleiben. Das Prinzip
ähnelt dem der Wale, die den Krill, ebenfalls Kleinkrebse, mit ihren
sogenannten Barten sammeln. Stephen Jay Gould weist darauf hin, dass bei
ihnen, anders als bei allen anderen Vögeln (und auch bei uns), der
Oberkiefer beweglich und der Unterkiefer festgewachsen ist, was jedoch, da
sie mit dem Kopf nach unten „fischen“, auf dasselbe rauskommt.
Vor 2.000 Jahren wären die Flamingos beinahe ausgestorben, weil die
römischen Oberschichten eine Vorliebe für frisch zubereitete Flamingozungen
entwickelten. Seit fast ebenso langer Zeit beschäftigt diese Zunge und der
Schnabel aber auch die Naturforscher. Während der Französischen Revolution
kam es darüber zu einem Streit zwischen dem Zoologen Etienne Geoffroy
Saint-Hilaire und dem „Biologie“-Begründer Jean Baptiste Lamarck. Es ging
dabei um die Frage: Folgt die Funktion der Form oder die Form der Funktion?
Diese Frage kann man sich auch heute noch stellen, die Darwinisten haben
sich für Letzteres entschieden. Die in Gefangenschaft gehaltenen Flamingos
(im Friedrichsfelder Tierpark zwar im Freien, aber mit gestutzten Flügeln)
wurden alle nach einiger Zeit weiß als Folge eines Ernährungsmangels, bis
der Schweizer Pharmakonzern Hoffmann-La Roche 1956 eine künstliche
Karotin-Variante entwickelte, die dann bei den Flamingos im Basler Zoo
ausprobiert wurde. Bereits 1958 schlüpfte der erste Chileflamingo, seit
1963 arbeitet dort eine Wissenschaftlerin, die ausschließlich Zooflamingos
und freie spanische Rosaflamingos erforscht. Es gibt wohl sechs
verschiedene Flamingoarten auf der Welt, alle sind einander ähnlich und
vertragen sich, verpaaren sich gelegentlich sogar.
Das flammendste Rot haben die Kubakraniche, von denen eine Kolonie im
Friedrichsfelder Tierpark lebt. Die Zoopresseschau meldet – aus dem
Tierpark von Almaty in Kasachstan: „,In einem der Naturreservate Kubas gibt
es eine Zuchtstation, wo Flamingos gezüchtet werden'“, erklärte die
Zootechnikerin, „,dort hat man sich bereit erklärt, speziell für unseren
Zoo eine neue Gruppe aufzuziehen. Doch die ausländischen Kollegen stellten
Bedingungen: Für die 20 ‚paradiesischen‘ Vögel sollten wir paradiesische
Bedingungen schaffen: Früher gab es hier nur drei Rosaflamingos, die keinen
Nachwuchs bekommen konnten, weil sie so wenige waren, außerdem ließen die
Haltungsbedingungen Besseres zu wünschen übrig.“
## Ihre Milch färbt sich rot
Eine weitere Zoomeldung kommt aus dem Tierpark von Ischewsk im Ural: Dort
werden gerade „von Einwohnern Udmurtiens gerettete Rosaflamingos gezeigt“.
Wahrscheinlich hatten die Vögel sich verflogen und drohten beim Übernachten
in flachen Gewässern im Eis einzufrieren (das droht ihnen mitunter auch in
den Freigehegen, mindestens der nordischen Zoos). Flamingos können
ausdauernd fliegen. Im März 2016 flog ein Zwergflamingo 2.350 Kilometer
weit von Madagaskar über den Indischen Ozean nach Südafrika.
Es gibt noch eine Besonderheit, die Flamingos teilen sie mit den Tauben:
Sie füttern ihre Jungen nicht mit zerkauten Kleinstlebewesen (oder
Pflanzenteilen), sondern mit „Kropfmilch“, die sie im Magen-Darm-Trakt
herstellen, hinzu kommen einige Blutzellen, die ihre „Milch“ rot färben.
Bei den Flamingos brüten und füttern Männchen und Weibchen.
In der Ankündigung eines Single-sucht-Single-Events im Hamburger Tierpark
Hagenbeck heißt es: „Flamingos gelten als ‚feinfühlige Liebesvögel‘, i…
leuchtend rosa Gefieder erhöht den Symbolwert. Klar, dass die Plakate zu
den ‚Romantik-Nächten‘ bei Hagenbeck immer ein Flamingopärchen ziert. Es
gibt drei Nächte mit klassischer Musik vor den Tiergehegen, kulinarische
Köstlichkeiten, zum Abschluss ein stimmungsvolles bengalisches Feuerwerk.“
Und die Flamingos können drei Nächte lang nicht schlafen, schreien die
ganze Nacht rum und nerven die anderen Tiere.
Im Tierpark Friedrichsfelde sind sie derzeit in ihrem Winterquartier
eingesperrt, nachdem der Fuchs einige gerissen hat.
3 Oct 2016
## AUTOREN
Helmut Höge
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