# taz.de -- Verkehr in Berlin: Freie Fahrt für Radler | |
> Falschparker machen Radfahrern das Leben schwer. Einzelkämpfer Andreas S. | |
> ruft regelmäßig die Polizei und lässt die Autos abschleppen. | |
Bild: Keine reine Freude: Radfahren in Berlin | |
„Pokémon war gestern“, steht unter dem Foto. Es zeigt Passanten auf dem | |
Ku’damm, Touristen wohl, die mit ihren Smartphones draufhalten, als ein Pkw | |
der gehobenen Mittelklasse auf einen Lastwagen gehievt wird. Der, der die | |
Szene dokumentiert und auf Twitter veröffentlicht hat, nennt sich | |
„Polizeibeobachter“ oder einfach „[1][@poliauwei]“. Er hat die | |
Abschleppaktion selbst in die Wege geleitet – weil das Auto einen Radweg | |
blockierte. | |
Auf dem Twitteraccount, den er im Mai eröffnet hat, lassen sich viele | |
solcher Aktionen verfolgen. Tatsächlich aber kämpft Andreas S., der sich | |
hinter @poliauwei verbirgt, schon seit 15 Jahren gegen Autos, die auf | |
Radwegen parken, an Kreuzungen ein Überqueren im Rollstuhl unmöglich machen | |
oder Feuerwehrzufahrten verstellen. | |
Auf die Idee, solche Fälle anzuzeigen und nicht locker zu lassen, bis die | |
Polizei den Kranwagen ruft, kam der Stadtführer, weil er sich über | |
Pkw-Fahrer ärgerte, die den Reisebussen seiner Kunden unerlaubt die | |
Parkplätze klauten. Inzwischen ist das Anti-Falschparker-Engagement für ihn | |
eine Art Berufung geworden. „Tausende“ Autos seien auf seine Anzeigen hin | |
abgeräumt worden, sagt er. Ein Einzelkämpfer wäre S. dabei lieber nicht: | |
„Es müssten mehr sein, die aufstehen und was machen“, sagt er, „damit ich | |
nicht immer als der einzelne Störenfried gelte.“ | |
Der Ruf dürfte ihm bei der Polizei sicher sein. Schließlich praktiziert die | |
einen eher nachsichtigen Umgang mit Falschparkern. Bußgeldbewehrte | |
Verwarnungen werden zwar ausgestellt, aber das reicht @poliauwei nicht: | |
Viele Fahrer betrachteten das Knöllchen als spezielle Form der Parkgebühr, | |
glaubt Andreas S. “Dabei gibt es eine klare Dienstanweisung, die die | |
Regelfälle für eine Umsetzung aufzeigt“, vulgo: fürs Abschleppenlassen. | |
Zugeparkte Radwege gehörten dazu. | |
## Problemzone Ladezone | |
Auch Autos, die Ladezonen blockieren, müssten gemäß dieser Anweisung in | |
jedem Fall abgeschleppt werden. Was auch Sinn ergibt. Denn wenn die | |
Ladezone dicht ist, parkt der Lastwagenfahrer halt in zweiter Reihe – und | |
muss noch nicht mal ein Bußgeld fürchten. Die „Berliner Linie“ der Polizei | |
legitimiert das Augenzudrücken beim Lieferverkehr: Wenn „das Interesse des | |
Parkenden an der durchzuführenden Lieferung objektiv gegenüber dem | |
Interesse des Fließverkehrs überwiegt“ (und der Lkw keine Totalblockade | |
verursacht), werde „grundsätzlich nicht eingeschritten“, so | |
Innenstaatssekretär Bernd Krömer im Sommer 2015 auf eine Anfrage aus der | |
Piratenfraktion. | |
Zum polizeilichen Standardrepertoire gehört zudem, auf das Ordnungsamt zu | |
verweisen. Abgesehen davon, dass das nicht reicht, wenn Verkehrsteilnehmer | |
konkret behindert werden, sind auch die bezirklichen Ordnungshüter | |
personell sehr schwach auf der Brust. Die Fahrradlobby fordert deshalb | |
schon lange eine bessere Ausstattung beider Behörden: Jede | |
Polizeidirektion, so der ADFC, soll eine feste Fahrradstaffel aus | |
mindestens zehn Vollzeitkräften erhalten. Ebenfalls je zehn Mitarbeiter | |
sollen für die 12 Ordnungsämter die Einhaltung von Regeln kontrollieren. | |
Dasselbe, wenn auch nicht so konkret beziffert, fordert der Entwurf für ein | |
Radgesetz, den die Initiative Volksentscheid Fahrrad möglichst bald zum | |
Volksbegehren bringen will. Mitinitiator Heinrich Strößenreuther bringt das | |
Laisser-faire der Polizei auf die Palme, gerade erst wieder beim „Parking | |
Day“, einem Aktionstag, an dem Menschen Parkplätze in temporäre | |
Freizeitzonen verwandeln (und, wenn nötig, dafür einen Parkschein lösen). | |
Strößenreuther und seine MitstreiterInnen hatten sich in der Kreuzberger | |
Oranienstraße niedergelassen und nebenbei gezählt. | |
Resultat: „Zwischen Heinrichplatz und Skalitzer waren nur 4 von 46 Autos | |
rechtmäßig abgestellt.“ Manche blockierten eine Ladezone, andere | |
ignorierten ganz locker die Parkscheibenpflicht. Als Polizeibeamte | |
anrückten, weil sie die Parking-Day-Aktion für eine unangemeldete | |
Kundgebung hielten, wurden sie darauf aufmerksam gemacht. „Aber das hat die | |
gar nicht interessiert“, so Strößenreuther. | |
## Ahndung durch Bußgelder | |
Der Volksentscheidler, der sich seit Jahren als Ein-Mann-Agentur „Clevere | |
Städte“ für die Rechte Unmotorisierter einsetzt, verfolgt keine | |
Abschleppstrategie. Aus seiner Sicht wäre eine konsequente Ahndung durch | |
Bußgelder zielführend. „Die Erfahrung zeigt: Wenn Sie das in einer Straße | |
konsequent ein paar Wochen lang machen, geben auch die hartnäckigsten | |
Falschparker entnervt auf.“ | |
Auch Andreas S. setzt sich Schwerpunkte, die er konsequent beackert. | |
„Letztens habe ich an der Weidendammer Brücke über zwei Wochen hinweg 30 | |
Fahrzeuge umsetzen lassen“, berichtet er, „denn da waren die ausweichenden | |
Radfahrer gezwungen, die Straßenbahngleise zu kreuzen“. | |
9 Oct 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/poliauwei | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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