# taz.de -- Kolumne Mittelalter: Arriba Aleppo | |
> Wegen Syrien bekommen sich alle in die Haare. Aber über den spanischen | |
> Bürgerkrieg, da sind wir uns doch wenigstens einig – oder? | |
Bild: Touristen vor einer Reproduktion des Bildes „Guernica“ von Pablo Pica… | |
Ah, die Vergangenheit! Wie ein glatter Spiegel liegt sie zur beschaulichen | |
Betrachtung ausgebreitet vor uns, eine von keinem Windchen des Zweifels | |
angekräuselte Oberfläche, wo die Guten ewig die Bösen bekämpfen und | |
besiegen; und wenn sie auch zunächst manchmal den Kürzeren ziehen, so | |
vergehen doch zumeist nur Tage oder Jahre, und eben halt nur ganz selten | |
auch mal ein ganzes Menschenleben oder Jahrhunderte, bis die Guten wieder | |
Oberwasser haben. | |
Da ich in den letzten Monaten Gelegenheit hatte, mich ein wenig mit dem | |
Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) zu beschäftigen, der in diesem Jahr 2016 | |
sein Jubiläum begeht, ist es allerdings schon frappant, wie sicher wir | |
Heutigen uns über Gut und Böse sind – und wie unentschlossen, ignorant und | |
hilflos die Zeitgenossen sich verhielten. | |
Dabei galt es in Spanien doch schlicht eine Republik zu verteidigen gegen | |
Putschisten, die unter Führung des Massenmörders Francisco Franco nichts | |
weniger als einen Vernichtungskrieg gegen als unwertes Leben definierte | |
Teile der eigenen Bevölkerung führten, dabei wesentlich unterstützt von den | |
faschistischen Mächten Deutschland und Italien. | |
## Durruti! | |
Das Problem war nur: Eine Fraktion des spanischen Antifaschismus waren | |
Anarchisten; und zwar nicht mehr oder weniger nette, schwarzgekleidete | |
Suffkis, die mal diesen Stein werfen oder jenes Auto anzünden, sondern | |
harte Typen wie der überaus charismatische Durruti, dessen 80. | |
Ermordungstag am 20. November gedenken kann, wer seinen 120. Geburtstag am | |
14. Juli verpasst hat. | |
Die spanischen Anarchisten waren rabiate Antiklerikale, zerstörten furios | |
jahrhundertealte Kulturgüter, schlitzten Pfarrer und Nonnen auf, begingen | |
schwerste Kriegsverbrechen. | |
Ihnen zur Seite standen die Stalinisten, die eher noch brutaler vorgingen, | |
nur eben halt nicht nur gegen die Putschisten, sondern auch – große | |
Tragödie des Spanischen Bürgerkriegs – mit zunehmender Intensität gegen die | |
mit ihnen doch eigentlich verbündeten Anarchisten. | |
Mit diesen beiden Kräften, zwischen denen ein Häuflein | |
linksliberal-demokratischer Kräfte auch militärisch eher wenig auffiel, | |
sich voll und ganz zu solidarisieren, ihnen im großen Stil Waffen zu | |
liefern oder wenigstens eine Flugverbotszone durchzusetzen – dazu mochte | |
sich außer der Sowjetunion (und Mexiko!) niemand durchringen. | |
Und doch ist bei uns Heutigen Konsens, dass alles hätte unternommen werden | |
müssen, um die faschistische Kriegsmaschine, die direkt anschließend die | |
halbe Welt verheerte, in Spanien zu stoppen und das Land vor mehr als drei | |
Jahrzehnten autoritär-klerikaler Diktatur zu bewahren. | |
Wenn aber Putins Legion Condor heute ungestört Aleppo in Schutt und Asche | |
legt wie einst die Naziluftwaffe die baskische Stadt Guernica – dann | |
erweist sich schon an den erwartbaren Reaktionen auf diese Formulierung, | |
dass wir heute der Lage in Syrien ebenso gespalten, hilflos, ignorant und | |
unentschlossen gegenüberstehen wie die Zeitgenossen Durrutis und Francos | |
der in Spanien. | |
6 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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