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# taz.de -- Autobiografie einer Kommunistin: Gnadenlos ehrlich
> „Die kollektive Dimension liegt außerhalb des eigenen Horizonts“ – üb…
> die Kommunistin Luciana Castellina und ihre „Entdeckung der Welt“.
Bild: Luciana Castellina (Archivbild aus dem Jahr 2011)
Noch vor ein paar Jahren hätte man ein Buch, das mit der Sehnsucht nach
einer kommunistischen Partei ausklingt, wohl links liegengelassen.
Insofern ist es gut, dass in Europa zwar Waren und Dienstleistungen just in
time ausgetauscht werden, Gedanken jedoch – widerständige zumal – sich gern
ein paar Jahre Zeit lassen: Luciana Castellinas Memoir „Die Entdeckung der
Welt“ – das an den mythischen PCI, die Kommunistische Partei Italiens,
erinnert – ist im Original bereits 2011 erschienen. Damit teilt es das
Schicksal eines anderen Buchs der Stunde, [1][Didier Erbons „Rückkehr nach
Reims“], das für die tausend Kilometer von Paris nach Berlin mehr als sechs
Jahre brauchte.
Und es ist ebenjener Eribon, der im Interview mit der Zeit kürzlich ganz
zaghaft von einer neuen linken Partei [2][zu reden wagte], die „für die
Rechte der Arbeiterklasse genauso einstehen würde wie für die Rechte der
LGBT-Community, der ethnischen Minderheiten und all der anderen“, einer
sozial radikalen Partei, die die Sorgen der Zurückgelassenen ernstnimmt,
ohne die Errungenschaften individueller Emanzipation der letzten Jahrzehnte
auch nur ansatzweise auf dem Altar der Anbiederung an ebenjene, teils
rassistischen und homophoben, Zurückgelassenen zu opfern.
Für die 1929 in Rom mit einem großbürgerlich-jüdischen Familienhintergrund
geborene Luciana Castellina fiel alles in einem großen historischen Moment
zusammen: Erwachsenwerden, Niederlage des Faschismus, Eintritt in die
Kommunistische Partei, und zwar eine sehr römische Abteilung, die dem
strikt arbeiterklassenorientierten PCI Norditaliens reserviert begegnete.
## Aus den Vorstädten Roms
In Rom agitiert die Jurastudentin dort, wo Pier Paolo Pasolini später seine
literarischen und filmischen Entdeckungsreisen startet: In den „borgate“
des Proletariats, den slumartigen Vorstädten Roms, wo der Pfarrer die
weiblichen Schäflein in die Kirche läutet, damit sie nicht mit jungen
Kommunistinnen diskutieren.
Luciana Castellina ist eine gnadenlos ehrliche Beobachterin ihrer selbst
wie all des Neuen, das sie so begeistert, wie es sie manchmal überwältigt.
Über die Gleichaltrigen aus der Peripherie schreibt sie: „Sie sind so
anders als wir, dass es uns peinlich ist.“
An anderer Stelle erwähnt sie, wie schwer es nach 20 Jahren Faschismus auch
den Gutwilligen fällt, sich zu organisieren, „die kollektive Dimension –
das Politische – liegt außerhalb des eigenen Horizonts“.
Vom Anfang vom Ende des Faschismus erfährt das 13-jährige Mädchen Luciana
bei einer Tennispartie mit einer Schulkameradin: Ihr Name ist Anna Maria
Mussolini, sie muss das Spiel abbrechen, weil ihr Vater verhaftet worden
ist, am 25. Juli 1943. Die Kommunistin Luciana Castellina schämt sich ihrer
bürgerlichen Herkunft und versucht dieses Bewusstsein über linientreue
Militanz auszugleichen, so lange, bis sie die Haltung ihrer Partei zum
Prager Frühling nicht mehr mittragen kann – und ausgeschlossen wird.
13 Sep 2016
## LINKS
[1] /!5321235/
[2] http://www.zeit.de/kultur/2016-07/didier-eribon-linke-angela-merkel-brexit-…
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Didier Eribon
Kommunistische Partei
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