| # taz.de -- US-Staatssekretärin über Flüchtlinge: „Sie wollen, dass wir me… | |
| > Die Republikaner im Kongress unterstützen die Flüchtlinge. Allerdings | |
| > sehr leise, sagt Anne Richard, Staatsekretärin im US-Außenminsterium. | |
| Bild: Syrische Flüchtlingsfamilie in den USA beim Einkauf in einem Supermarkt | |
| taz.am wochenende: Frau Richard, Ihre Aufgabe ist es, Flüchtlingen in den | |
| USA Schutz zu bieten. Der Wahlkampf ist von Rassismus und Angst vor | |
| Einwanderung geprägt. Was empfinden Sie dabei? | |
| Anne Richard: Jahrzehntelang haben beide US-Parteien die Aufnahme von | |
| Flüchtlingen unterstützt, das war sehr wichtig. Jetzt ist das Thema | |
| politisch hochgradig aufgeladen, es wird wie ein politischer Fußball | |
| benutzt. Es tut weh zu hören, dass ein republikanischer | |
| Präsidentschaftskandidat sagt, es sei nicht im Interesse der USA und nicht | |
| sicher, Flüchtlinge aufzunehmen. | |
| Die USA werden immer gelobt, weil sie mehr Aufnahmeplätze anbieten als | |
| jedes andere Land. Tatsächlich haben Sie aber gerade mal 12.000 SyrerInnen | |
| einreisen lassen. | |
| Insgesamt haben wir für das jetzt endende Fiskaljahr die Aufnahme von | |
| 85.000 Flüchtlingen aus der ganzen Welt geplant, mehr als je zuvor. Heute | |
| landet in den USA das Flugzeug mit der letzten Gruppe dieses Zeitraums. | |
| Damit sind wir bei 84.995, so nah am Plan waren wir noch nie. Viele | |
| Menschen wollen, dass wir mehr nehmen – auch viele Amerikaner. Und für | |
| einige Amerikaner sind das schon zu viele. | |
| Kommen so wenige SyrerInnen in die USA, weil der Sicherheitscheck für | |
| Muslime länger dauert? | |
| Der Prozess ist derselbe für fast alle Länder. Es gibt allerdings eine | |
| zusätzliche Prüfstufe für SyrerInnen. Unser Auswahlverfahren dauert | |
| normalerweise 18 bis 24 Monate. Wir werden oft gefragt: Geht das nicht | |
| schneller? Aber wir können nicht dasselbe machen, wie zu den Zeiten des | |
| Vietnamkriegs: ein Frachtflugzeug schicken, es mit Leuten voll laden und | |
| herbringen. Das geht nach 9/11 nicht mehr. Es muss klar sein, dass niemand | |
| kommt, der eine Gefahr sein könnte. | |
| Gelten Muslime als Gefahr? | |
| Teils, teils. Es gibt in den Medien Stimmen, die anzweifeln, ob es klug | |
| ist, Muslime in die USA zu bringen. Sie geben wieder, was sie von einigen | |
| Politikern hören. Aber auf lokaler Ebene stören sich die Leute überhaupt | |
| nicht daran. Nach Berlin etwa sind die Bürgermeister von Detroit, Baltimore | |
| und St. Louis gekommen. Sie haben kein Problem damit, Menschen aus dem | |
| Nahen Osten zu holen. Ebenso wenig die muslimischen Amerikaner, die wollen, | |
| dass wir mehr tun. Unser Aufnahmeprogramm wächst. | |
| Die Genfer Konvention verpflichtet die Staaten, Flüchtlingen Schutz zu | |
| gewähren. Nun planen Sie privates Sponsoring der Aufnahme. Darf man | |
| Flüchtlingsrechte privater Fürsorglichkeit überlassen? | |
| Es gibt bereits jetzt bei uns eine Public-private-Partnership für die | |
| Flüchtlingsaufnahme. Die Regierung trägt einen Teil der Kosten, die | |
| Ausgaben für drei Monate. In dieser Zeit wird viel getan, damit gesunde | |
| Erwachsene eine Arbeit finden. So sind sie nicht lange von Sozialleistungen | |
| abhängig. Und sie haben einen Platz in unserer Gesellschaft, Arbeit, | |
| Kollegen, einen Grund, rauszugehen. | |
| Und für die übrigen Kosten kommen Privatleute auf? | |
| Es sind Kirchen, NGOs, Freiwillige. Wenn die Flüchtlinge am Flughafen | |
| ankommen, erwarten sie sie. Sie bringen sie zu einer Wohnung, in der | |
| vielleicht gebrauchte Möbel stehen, die Privatleute gespendet haben. Nicht | |
| die Regierung hat die Möbel gekauft oder das Apartment gefunden, sondern | |
| lokale Helfer. Nun fordern NGOs, dass wir zusätzlich privates Sponsoring | |
| finden sollen. Meine Leute finden das gut. | |
| Das würde die Zahl der Plätze erhöhen? | |
| Idealerweise, ja. | |
| Die USA sind der größte Geber an die Hilfsorganisationen … | |
| Wir geben in diesem Jahr wohl über 7 Milliarden Dollar für humanitäre Hilfe | |
| aus | |
| … trotzdem fehlen laut dem World Food Program 2016 etwa 5 Milliarden Dollar | |
| zur Versorgung von Flüchtlingen. Müssten die USA angesichts ihrer extrem | |
| privilegierten geografischen Lage nicht wenigstens die Hilfsorganisationen | |
| ausreichend finanzieren? | |
| Am Montag hat Obama in New York einen Gipfel veranstaltet. Ein Ziel war, | |
| mehr Geld von den Regierungen zu sammeln. Es gab Zusagen von 4,5 Milliarden | |
| Dollar, dazu rund 1,7 Milliarden von amerikanischen Privatleuten und NGOs. | |
| Die Flüchtlingskrise hat globale Ausmaße. In fast jedem Winkel der Erde | |
| sind Flüchtlinge oder ArbeitsmigrantInnen unterwegs. Die Dimension dieser | |
| Krise ist so groß, dass wir nicht nur die üblichen Geldgeber brauchen. | |
| Also private Spenden? | |
| Ich meine Regierungen. Und zusätzlich brauchen wir private Institutionen. | |
| Die Öffentlichkeit muss mehr tun. Aber was ich aus Ihrer Frage heraushöre, | |
| ist doch: Sollten die USA, obwohl sie der führende Geldgeber sind, nicht | |
| noch mehr tun? Ich höre das immer wieder von Ländern, die zwar weniger | |
| Geld, aber einen höheren Anteil ihres Bruttosozialproduktes geben. Ich bin | |
| sehr glücklich, dass die USA in absoluten Zahlen am meisten gibt. Sie | |
| sollten auch das dazuzählen, was unsere privaten Institutionen beitragen. | |
| Der weit größte Teil der syrischen Flüchtlinge sind Binnenflüchtlinge, die | |
| das Land nicht verlassen können. Warum können die USA nicht Druck auf die | |
| Türkei ausüben, damit diese einen humanitären Korridor aus Nordsyrien | |
| öffnet? | |
| Sicherheitszonen, humanitäre Zonen – das klingt nach einer guten Idee. Wer | |
| könnte schon gegen Sicherheit sein? Aber die Wahrheit ist, dass das | |
| militärische Operationen sind. Humanitäre Korridore müssen militärisch | |
| geschützt werden. Derzeit passiert das Gegenteil, die Russen bombardieren | |
| Zivilisten. Die Frage, wer die Sicherheit garantieren würde, bleibt | |
| unbeantwortet. | |
| Die kurdischen Regionen im Norden Syriens sind de facto sichere Räume für | |
| viele Flüchtlinge. Hilfslieferungen kommen kaum dorthin, weil die Türkei | |
| dies nicht zulässt. Die USA kämpfen mit den Kurden gemeinsam gegen den IS. | |
| Warum nutzen Sie nicht Ihren Einfluss, um die Hilfslieferungen | |
| durchzusetzen. | |
| Ich bedauere, dass die türkisch-kurdischen Spannungen weitergehen, während | |
| die Welt eine Lösung für Syrien sucht. Als ich vor Kurzem im Süden der | |
| Türkei war, hörte ich einen Jet über mir. Mein Begleiter vom US-Konsulat | |
| sagte mir: „O ja, das ist ein Bomber.“ Ich fragte: „Fliegt er Richtung | |
| Syrien?“ „Nein“, sagte mein Begleiter, „er fliegt in Richtung der | |
| kurdischen Gebiete.“ Aus irgendeinem Grund lässt mich dieser Moment nicht | |
| los. | |
| US-Präsident Barack Obama hat die Doktrin des Rückzugs ausgegeben, nach der | |
| die USA nicht weiterhin als Weltpolizist fungieren sollen und | |
| Interventionen künftig nur mit den Partnern beschlossen werden. | |
| Funktioniert das? | |
| Nie zuvor in der Geschichte waren die USA in so vielen Ländern engagiert | |
| wie heute. Auch wenn das nicht überall sichtbar wird. Die Frage nach der | |
| spezifischen politischen Strategie möchte ich nicht kommentieren. | |
| Was würde eine Regierung von Trump für die Flüchtlingspolitik bedeuten? | |
| Donald Trump hat sich widersprechende Ansagen gemacht. Ich kann mir nicht | |
| vorstellen, was das in der Praxis bedeuten sollte. Im Moment ist das Budget | |
| für Flüchtlingspolitik das höchste, das es je gab. Und der Kongress ist | |
| republikanisch dominiert. Republikaner, die sich unserer internationalen | |
| Verantwortung bewusst sind, stellen sehr leise sicher, dass die | |
| US-Regierung im Libanon hilft, in Jordanien, den Unicef-Schulen in der | |
| Türkei. Aber die, die das unterstützen, sind nicht die führenden Stimmen im | |
| Wahlkampf. | |
| Sie sind gekommen, um an einem deutsch-amerikanischen Kongress zu | |
| Integrationsmodellen teilzunehmen. Was können Deutschland und die USA denn | |
| für die Integration von Flüchtlingen voneinander lernen? | |
| Ich hatte mal in Washington einen Handwerker, der mein Bad gefliest hat. | |
| Sein Name war Bernd. Er hatte sein Handwerk in Deutschland gelernt. Und | |
| jetzt ist er der Michelangelo der Fliesenleger in Washington. Aber in die | |
| andere Richtung ist es schwierig. Man kommt nur sehr schwer im deutschen | |
| Arbeitsmarkt unter. Wenn man die besten Standards will, dann sind es | |
| deutsche Standards. Aber wenn man einen Arbeitsmarkt will, der beweglich | |
| ist und in dem Menschen die Möglichkeit haben, sich mit der Zeit zu | |
| verbessern und zu verändern, dann ist der die USA. | |
| Und andersrum? | |
| Die Deutschen scheinen besser zu sein, was Sprachförderung angeht. Die USA | |
| geben dafür nicht viel aus. Aber wir geben den Menschen einen Platz in der | |
| Gesellschaft, der echt ist, nicht künstlich. Manche müssen vielleicht ganz | |
| unten auf der ökonomischem Leiter anfangen. Das frustriert manche, wie sie | |
| mir berichten. Auch Menschen, die qualifiziert sind, können nicht immer | |
| sofort die gleiche Arbeit machen, etwa Ärzte. | |
| Sind Sie überrascht, wie sehr die Flüchtlingskrise die politische | |
| Landschaft in Europa prägt? | |
| Ich war 1985/86 als Bosch-Fellow in Deutschland. Damals sagten die Leute: | |
| „Wir sind kein Einwanderungsland.“ Für mich ist es eine Überraschung, wie | |
| sich das hier seitdem verändert hat. Ich weiß, dass das ein sehr | |
| kontroverses Thema ist. Aber ich erlebe jetzt hier eine große Zahl an | |
| Menschen, die helfen und sich engagieren. Diese veränderte Haltung ist die | |
| gute Nachricht. Was mich überrascht und besorgt, ist etwas anders. Die USA | |
| und Europa haben so lange als Geber zusammengearbeitet. Und plötzlich | |
| finden wir unsere Partner in einer Krise vor, in der sich die europäischen | |
| Länder nicht auf eine gemeinsame Strategie einigen können. | |
| 2 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Junge | |
| Christian Jakob | |
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