| # taz.de -- Rhetorik im US-Wahlkampf: Das ewige Klagelied | |
| > Glanz und Größe der Nation sind seit Langem Thema in Reden von | |
| > US-Politikern – auch demokratischen. Trump weiß das zu nutzen. | |
| Bild: Die USA waren von ihren Gründern und Vätern immer als Utopie gedacht �… | |
| Donald Trump hat keine gute Woche hinter sich. Kein Wunder, dass sich der | |
| windige Bauunternehmer nach einer verpatzten Debatte und Enthüllungen über | |
| seine kreative Steuerbuchhaltung erst einmal auf vermeintlich sicheres | |
| Terrain zurückzog. Mitte der Woche versprach Trump bei einer | |
| Veteranenvereinigung in Virginia, dem amerikanischen Militär wieder zu | |
| jenem Glanz und jener Macht zu verhelfen, die ihm gebührten. | |
| Unter Barack Obama, so der Unterton von Trumps Ausführungen, sei die | |
| Regierung schändlich ihren Streitkräften in den Rücken gefallen und habe | |
| damit die beklagenswerte Demontage amerikanischer Größe weiter | |
| vorangetrieben, welche die Ära Obama ohnehin kennzeichne. Unter ihm werde | |
| das alles besser, behauptet Trump gebetsmühlenhaft, er werde dem Land | |
| wieder zu seiner angestammten Stellung als unangefochtene Nummer eins in | |
| der Welt verhelfen. | |
| Er will, wie auf seiner Baseballkappe zu lesen ist, Amerika wieder „great“ | |
| machen. Trump geriert sich in diesem Wahlkampf als Fürsprecher des wahren | |
| Amerikas, das er als zutiefst bedroht sieht; von politischer Korrektheit, | |
| von mexikanischen Einwanderern, von den urbanen Eliten, von der | |
| Black-Lives-Matter-Bewegung und vor allem von Obama und Hillary Clinton. | |
| Die Spitzen der demokratischen Partei weisen derlei freilich entschieden | |
| von sich. Amerika müsse nicht von Trump gerettet werden. Der sei weder | |
| Fürsprecher einer geknebelten Mehrheit noch der Ideale von Amerika. In | |
| seiner Rede auf dem Wahlparteitag von Philadelphia bezeichnete Obama Trumps | |
| „pessimistische Vision“ unverhohlen als unamerikanisch. Das Amerika, das | |
| er, Obama, kenne, stecke in keiner Krise, sondern sei voller Tatendrang, | |
| Erfindergeist und Mitgefühl. | |
| ## Nationale Selbstzweifel | |
| Der Kontrast zwischen dem apokalyptischen Ton des Trump-Lagers und dem | |
| unbeugsamen Optimismus der Demokraten ist bemerkenswert. Zur Wahl steht in | |
| diesem Jahr eine finstere Fantasie amerikanischen Niedergangs einerseits – | |
| und andererseits eine Geschichtsschreibung, derzufolge Amerikas Größe und | |
| Glanz ungetrübt sind. | |
| Beides klingt für europäische Ohren zunächst einmal seltsam. In politischen | |
| Auseinandersetzungen in Europa geht es zumeist um Sachfragen und bisweilen | |
| auch um ideologische Grundsätze. Zur Debatte steht aber niemals, ob die | |
| Größe der Nation gefährdet ist. | |
| In den USA hingegen schleicht sich bereits seit Beginn der 80er Jahre die | |
| Rhetorik des Niedergangs in den politischen Diskurs. Damals warb Ronald | |
| Reagan damit, dass unter seiner Regierung in Amerika die Sonne wieder | |
| aufgehen werde. Die Implikation des „wieder“ war, dass dunkle Wolken über | |
| dem amerikanischen Imperium aufgezogen waren. | |
| Ausgesprochen hat es in dieser Form damals niemand, aber die dunklen Wolken | |
| waren die Schande von Vietnam sowie die Bürgerrechts- und | |
| Antikriegsbewegung der 60er und 70er Jahre. Den nationalen Selbstzweifeln | |
| wollte Reagan die alte amerikanische Selbstgewissheit entgegensetzen, die | |
| das Land seit dem Zweiten Weltkrieg beseelte. | |
| ## Die Idee vom historischen Sonderauftrag | |
| Doch auch Reagans Mahnung, Amerika wieder „great“ zu machen, war alles | |
| andere als neu. Die Rückbesinnung auf Amerikas selbst auferlegten | |
| historischen Sonderauftrag ist so alt wie Amerika selbst. Schon Ende der | |
| 70er Jahre beschrieb der Kulturwissenschaftler Sacvan Bercovitch diese Form | |
| der Mahnung, man möge sich doch daran erinnern, dass man die Speerspitze | |
| der Menschheitsgeschichte sei, als wiederkehrendes „Konsensritual“. | |
| Seit die Puritaner Amerika als den Ort bestimmten, an dem der Verfall | |
| Europas gerichtet werden soll, befindet sich das Land im nationalen | |
| Selbstbewusstsein auf einer Mission. Wann immer Amerika in der Geschichte | |
| von diesem Weg abzukommen drohte, traten Predigerfiguren auf den Plan, die | |
| das Land wieder zurechtrücken. Die Form ihrer Predigten bezeichnet | |
| Bercovitch als Jeremiade – frei nach dem biblischen Mahner Jeremia. | |
| Diese Predigten haben immer dieselbe Form: Die Gegenwart wird als verderbt | |
| dargestellt; man beklagt, dass die Menschheit vom Weg abgekommen sei. Dann | |
| erinnert man an ursprüngliche Werte und fordert die Rückkehr auf die | |
| richtige Tangente. | |
| Im Jahr 2012 bezeichnete Bercovitch auch Obama als klassischen Jeremias. | |
| Von Anfang an gebärdete Obama sich als wiedergeborener Abraham Lincoln – | |
| einer der großen Jeremiasse der amerikanischen Geschichte. Mit der | |
| Gettysburg Address während des Bürgerkriegs etwa, seiner berühmtesten Rede, | |
| schwor Lincoln die gespaltene Nation wieder auf den gemeinsamen Weg ein und | |
| appellierte dazu an die Ideale der Freiheit und Gleichheit. Das Gleiche | |
| versucht Obama seither unermüdlich – zuletzt beim Parteitag der Demokraten | |
| in Philadelphia: „Wir sind mit der Arbeit, unsere Union zu perfektionieren | |
| und unserem Glauben treu zu sein, dass alle Menschen gleich erschaffen | |
| sind, noch lange nicht fertig“, sagte er. | |
| ## Aus Utopie wird bei Trump zur Karikatur | |
| Kern von Obamas Jeremiade ist immer wieder dieser Ruf nach einer „more | |
| perfect union“ – ein Zitat wiederum eines anderen berühmten Jeremias’, d… | |
| Gründervaters Thomas Jefferson. Im Universum von Obama ist das Projekt | |
| Amerika eine zähe, aber stetige Annäherung der Wirklichkeit an die hehren | |
| Ideale der Gründerväter, die das Projekt Amerikas als große Utopie der | |
| Menschheit festschrieben. „In den Vereinigten Staaten“, schrieb Bercovitch, | |
| „ist das radikale Telos DIESE Nation, historisch und wortwörtlich das Land | |
| von morgen.“ | |
| Trump hat diese Geste der Jeremiade zutiefst verinnerlicht. Sein Slogan | |
| „Make America Great Again“ ist ein Destillat und gleichzeitig eine | |
| Karikatur der Jeremiade. Dass er die Wirkung dieser Geste auf die | |
| amerikanische Imagination versteht, kann man seiner unbestreitbaren | |
| politischen Cleverness zuschreiben. Allerdings bleibt bei Trump die Geste | |
| bewusst undeterminiert. | |
| Das Amerika, zu dem er das Land zurückführen will, ist eine reine | |
| Projektionsfläche – jeder seiner Anhänger kann sich nach Gusto ein | |
| Wunschamerika ausmalen, das er von Trump verwirklicht bekommen mag. Leider | |
| ist das meist kein hübsches Amerika, sondern ein verquerer Ursprungsmythos | |
| von der Suprematie des weißen Mannes. | |
| 9 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Sebastian Moll | |
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