| # taz.de -- Prozessauftakt gegen Werner Mauss: Agent Schildkröte | |
| > Der Ex-Undercoveragent Werner Mauss soll mehr als 15,2 Millionen Euro | |
| > Steuern hinterzogen haben. Er selbst schweigt. Der Fall wird kompliziert. | |
| Bild: Werner Mauss (links) mit seinem Verteidiger Rainer Hamm bei Prozessbeginn… | |
| Bochum taz | Nach dem ersten Halbsatz ist klar: Dieser Prozess wird | |
| speziell. Wer einen Geheimagenten ins Gefängnis bringen will, muss einige | |
| Besonderheiten beachten. Und das fängt beim ersten Halbsatz der Anklage an. | |
| Staatsanwalt Timo Dörfer sagt nicht: „Werner Mauss wird angeklagt, sich | |
| durch zwölf selbstständige Handlungen der Steuerhinterziehung schuldig | |
| gemacht zu haben.“ | |
| Er sagt: „Werner Mauss alias Claus Möllner alias Dieter Koch alias Richard | |
| Nelson wird angeklagt, sich durch zwölf selbstständige Handlungen der | |
| Steuerhinterziehung schuldig gemacht zu haben.“ | |
| Montagvormittag in Saal C240 des Landgerichts Bochum, Prozessauftakt gegen | |
| einen 76-Jährigen mit mindestens drei Tarnidentitäten, tatsächlicher | |
| Geburtsname Mauss. Der Angeklagte gehört zu den legendärsten Gestalten der | |
| deutschen Kriminalgeschichte, als freier Mitarbeiter war er über Jahrzehnte | |
| für verschiedene Sicherheitsbehörden tätig. Ob in seinem Berufsleben alles | |
| legal zuging, stand immer wieder im Zweifel. Vor einem deutschen Gericht | |
| landete er trotzdem nie, und dabei wäre es auch geblieben, hätten | |
| nordrhein-westfälische Behörden im Jahr 2012 nicht eine Steuer-CD aus der | |
| Schweiz gekauft. | |
| ## Eine Steuer-CD aus NRW | |
| In Bochum rattert Staatsanwalt Dörfer die Steuerschuld des Angeklagten | |
| herunter. „Jahr 2003: 920.526 Euro Einkommenssteuer, 50.628 Euro | |
| Solidaritätszuschlag, gesamt 971.154 Euro.“ Auf der Schweizer CD befanden | |
| sich geklaute Daten der Züricher UBS-Bank, vor allem Namen reicher Kunden | |
| aus Deutschland, die mutmaßlich Steuern hinterzogen haben. Einer der Namen: | |
| Claus Möllner. | |
| „Jahr 2009: 1.000.068 Euro Einkommenssteuer, 55.003 Euro | |
| Solidaritätszuschlag gesamt 1.055.071 Euro.“ Mit der Auswertung der CD wird | |
| die Staatsanwaltschaft Bochum beauftragt. Die Ermittler finden heraus, dass | |
| der Deckname zu Mauss gehört. Der wohnt im Hunsrück, wird aber unter einem | |
| weiteren falschen Namen beim Finanzamt Essen-Süd geführt – eine | |
| Ausnahmeregelung mit Rücksicht auf die besondere Gefährdungslage des | |
| Privatermittlers. | |
| „Jahr 2013 geschätzt: 1.138.080 Euro Einkommenssteuer, 62.472 Euro | |
| Solidaritätszuschlag, gesamt 1.200.552 Euro.“ Vier Jahre lang ermittelt die | |
| Staatsanwaltschaft, bis sie das Finanzgeflecht des Angeklagten durchdrungen | |
| hat. Sie ist überzeugt, dass Mauss dem Finanzamt über Jahre Finanzanlagen | |
| auf den Bahamas und anderswo verschwiegen hat. Staatsanwalt Dörfer braucht | |
| im Bochumer Gerichtssaal Minuten, um seine Zahlenreihe aufzusagen. | |
| „Gesamtsumme: 15.247.981 Euro“, heißt es am Ende. | |
| „Drei der fünf Richter müssen ihre Köpfe da schon mit den Händen abstütz… | |
| Steuerprozesse können dröge sein, auch wenn die Angeklagten schillernde | |
| Persönlichkeiten sind. | |
| ## Im Auftrag der Regierung | |
| Bekannt wurde Mauss einst durch seine Tätigkeit als freischaffender | |
| Geheimagent – wobei das Wörtchen „geheim“ in seinem Fall relativ zu | |
| verstehen ist. Er empfängt Journalisten zu Interviews, er war auf dem | |
| Titelbild des Spiegel, er betreibt unter werner-mauss.de sogar eine eigene | |
| Homepage. Er dokumentiert dort ausführlich, was andere über ihn schreiben; | |
| er listet auf, welche Kriminalfälle er im vergangenen halben Jahrhundert | |
| angeblich aufgeklärt hat. Wenn noch etwas geheim ist am Leben des Werner | |
| Mauss, dann sind es die Antworten auf zwei Fragen: Welche seiner | |
| Geschichten sind wahr, welche erfunden? Und war tatsächlich alles legal, | |
| was er und seine Auftraggeber in den Sicherheitsbehörden über Jahrzehnte | |
| getrieben haben? | |
| Mauss’ Karriere startete 1961. Mit gerade mal 21 Jahren machte er sich in | |
| Essen als Privatdetektiv selbstständig. Zunächst ermittelte er in | |
| Ehestreitigkeiten, später engagierten ihn Versicherungen für die Suche nach | |
| Betrügern, irgendwann in den 1960ern bekam er dann erste Aufträge | |
| staatlicher Behörden. | |
| Der Anfang einer Serie spektakulärer Einsätze. Nach eigenen Angaben spürte | |
| Mauss im Auftrag des BKA den europaweit gesuchten Polizistenmörder Alfred | |
| Lecki in Alicante auf. Den RAF-Terroristen Rolf Pohle ließ er in Athen | |
| auffliegen. In Nordfrankreich stöberte er 41 Giftmüllfässer auf, nach denen | |
| Polizeibehörden in halb Europa ein Jahr lang gesucht hatten. In Kolumbien | |
| verhandelte er im Auftrag der Bundesregierung mit ELN-Rebellen über die | |
| Freilassung von Geiseln. | |
| Auf seiner Homepage berichtet er ausführlich von seinen Abenteuern, etwa | |
| einer Schießerei auf dem Domplatz von Mailand im Jahr 1974. Seine | |
| Zielperson, ein italienischer Serienräuber, zog dort zwei Revolver. Mauss | |
| überlebte unverletzt – er „ließ sich blitzartig fallen und rollte sich | |
| zwischen Bordsteinkante und sein Fahrzeug“. | |
| Das klingt natürlich ein wenig irre. Man kennt solche Menschen ja: | |
| Verrückte aus der Fußgängerzone, die sich für eine verhinderte Version von | |
| 007 halten und es jedem erzählen, der nicht schnell genug in den H&M | |
| flüchtet. Wener Mauss ist aber nicht verrückt, er steht auch nicht in der | |
| Fußgängerzone, sondern lebt in einem beachtlichen Anwesen im Hunsrück. Ob | |
| jedes Detail seiner Geschichten stimmt, ist zweifelhaft. Dass seine | |
| Karriere aber zumindest in den Grundzügen so ablief, wie er es schildert, | |
| ist bestätigt. Zu seinen Auftraggebern gehörten das BKA, der BND und die | |
| Bundesregierung, für seine Tarnidentitäten erhielt er offizielle Dokumente. | |
| ## Mehr Freiheiten als jeder Beamte | |
| Unumstritten war diese Kooperation nie: Mauss ermittelte zwar im Auftrag | |
| der Sicherheitsbehörden, unterstand als freier Mitarbeiter aber nicht der | |
| gleichen Kontrolle wie ein Beamter. Engagierten ihn seine Auftraggeber | |
| gerade deswegen? Weil er sich Maßnahmen erlauben konnte, die | |
| Ermittlungsbehörden eigentlich verboten sind? Und wer stellte eigentlich | |
| sicher, dass die Interessen staatlicher und privater Mandaten nicht | |
| miteinander in Konflikt gerieten? | |
| In den 1980er Jahren ging diesen Fragen sogar ein Untersuchungsausschuss | |
| des niedersächsischen Landtags nach. Die Abgeordneten wollten unter anderem | |
| klären, ob Mauss gemeinsam mit Beamten bei Ermittlungen gegen Gesetze | |
| verstoßen hatte. Von Behörden geschützt entzog sich der Privatdetektiv aber | |
| lange einer Aussage, nachgewiesen wurde ihm nichts. | |
| Und jetzt? Wird Mauss nach all den Jahren doch noch zur Rechenschaft | |
| gezogen? Nicht wegen seiner Agentenabenteuer, sondern ausgerechnet wegen | |
| einer falschen Steuererklärung? | |
| Der Angeklagte betritt den Gerichtssaal verkleidet. Er trägt eine dicke, | |
| gefütterte Daunenjacke. Sie ist praktisch, Mauss kann sich darin | |
| verkriechen, als die Kameramänner vor Verhandlungsbeginn vor die | |
| Anklagebank stürmen. | |
| ## Er verkriecht sich in seine Kapuze | |
| Ausziehen wird er sie den gesamtenProzesstag über nicht, obwohl der Raum | |
| gut geheizt ist. Von hinten, aus dem Zuschauerraum, gibt er damit ein | |
| komisches Bild ab: Der Oberkörper ist leicht nach vorne gebeugt, der | |
| Hinterkopf mit der Halbglatze ragt nur halb über der wuchtigen Kapuze | |
| hervor. Der Angeklagte erinnert darin eher an eine Schildkröte im Panzer | |
| als an den legendärsten Geheimagenten der Nation. | |
| Obgleich seine Version der Geschichte weiterhin als Stoff für einen | |
| Geheimdienstthriller taugen würde: In zwei Vorbesprechungen mit den | |
| Richtern und der Staatsanwaltschaft hatten Mauss’ Anwälte den Vorwurf der | |
| Steuerhinterziehung abgestritten. Das Vermögen auf den Bahamas und anderswo | |
| gehörte ihrem Mandaten überhaupt nicht – er verwalte es nur treuhänderisch | |
| im Auftrag internationaler Organisationen. Die Süddeutsche Zeitung | |
| berichtete vor Prozessbeginn, wozu das Geld nach Angaben des Angeklagten | |
| diente. Demnach stellten westliche Geheimdienste das Geld zur Verfügung, | |
| bei Bedarf sollte Mauss damit etwaige neue, teure Missionen finanzieren. | |
| Das Problem des Angeklagten: Das Gericht hält diese Geschichte offenbar für | |
| großen Quatsch. „Auf Bitte der Beteiligten kam es am 24. Juni zu einem | |
| ersten Vorgespräch der Prozessbeteiligten“, gibt der Vorsitzende Richter | |
| Markus van den Hövel nach der Anklageverlesung zu Protokoll. „Die | |
| Verteidigung hat dabei ihre Auffassung vertieft, es handle sich um | |
| treuhändisch angelegtes Vermögen. Die Kammer hat Bedenken in Hinblick auf | |
| die Plausibilität des Vorbringens geäußert.“ | |
| Blickt Mauss von der Anklagebank geradeaus, sieht er hinter der Bank der | |
| Staatsanwaltschaft eine Fensterfront. Die untere Hälfte ist mit Folie | |
| beklebt, er kann nicht hindurchschauen. Blickt er nach oben, sieht er den | |
| Wipfel eines Kastanienbaums, darüber den Himmel. | |
| ## Auf Kaution draußen | |
| Mauss ist herumgekommen in seinem Agentenleben. Um mobil operieren zu | |
| können, machte er schon zu Beginn seiner Karriere einen Flugschein. Musste | |
| er spontan in den Einsatz, stieg er einfach in seine Cessna. | |
| Kann er das Gericht in den neun bis Weihnachten angesetzten Prozesstagen | |
| nicht überzeugen, wird er so schnell nicht mehr herumkommen. Derzeit ist | |
| Mauss gegen Kaution von einer Million Euro frei. Die Höchststrafe für | |
| Steuerhinterziehung liegt aber bei fünf Jahren Haft. Für einen 76-Jährigen | |
| ist das eine lange Zeit, selbst dann, wenn er vier Identitäten hat. Das ist | |
| das erste Problem des Angeklagten. | |
| Das zweite Problem: Die Geschichte vom Geheimdienstfonds würde er dem | |
| Gericht vielleicht gerne auftischen, er kann es aber nicht. Zumindest | |
| behauptet er das. „Unser Mandant wird sich heute nicht zur Sache einlassen, | |
| unabhängig davon, ob er sich einlassen dürfte, wenn er wollte“, sagt sein | |
| Anwalt Rainer Hamm. Um sich zur Sache zu äußern, benötige Mauss eine | |
| Aussagegenehmigung von seinen alten Auftraggebern. Die sei beantragt, aber | |
| noch nicht erteilt. Also bleibe Mauss nichts anderes übrig, als zu | |
| schweigen. | |
| Als der Prozesstag gegen 13 Uhr endet, ist damit klar: Dieser Prozess wird | |
| tatsächlich speziell. Nicht nur für den Staatsanwalt. | |
| 26 Sep 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Schulze | |
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