# taz.de -- Kolumne Lügenleser: Aufklärung ist keine Einbahnstraße | |
> Man muss an die breite Masse herantreten, wenn man was verändern will. | |
> Die Band Feine Sahne Fischfilet hat gezeigt, wie man es machen könnte. | |
Bild: Spread the Love: Feine Sahne Fischfilet | |
Das Theater ist gut gefüllt. Mitteljunge, gebildete Menschen. Man sieht | |
ihnen an, dass sie über das Gesehene diskutieren werden, im Theatergarten, | |
bei einer Weißweinschorle, gleich nach dem zu erwartenden Applaus. | |
Der Vorhang öffnet sich. Die Inszenierung ist gut, das Stück ebenfalls. Es | |
behandelt relevante und wichtige Themen der Gesellschaft. Wie immer. Es | |
geht um Homophobie, aktuelle politische Geschehnisse, Feminismus und | |
Missbrauch. | |
Es gibt nichts zu kritisieren an diesem Abend. Und doch bleibt nur eine | |
einzige Frage zurück, als der Saal sich wieder leert. Für wen war das | |
jetzt? Hat man irgendjemanden erreicht, der vorher anderer Meinung war? Und | |
ist das überhaupt die Aufgabe von Kunst? | |
Ist es, natürlich. Dass der kleine Mann und die kleine Frau (oder wie | |
despektierlich man Menschen noch nennen kann, die sich konsequenterweise | |
mehr für das eigene Abendbrot interessieren als für die unwürdigen | |
Arbeitsbedingungen der Kinder in Bangladesch) derlei Veranstaltungen | |
fernbleiben, ist Realität. Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. | |
## Herzlosigkeit | |
Gründe dafür gibt es genug. Das aufklärerische, gut gemeinte Buch an sich | |
kann nichts dafür, dass es meist von aufgeklärten, alles gut meinenden | |
Lesern konsumiert wird. Geschrieben, gesprochen und gespielt wird dennoch | |
für Seinesgleichen. | |
Der Zustand ist orts- und fraktionsübergreifend. Ob bei Anne Will, in der | |
Politik oder bei einer aufrüttelnden Vernissage: Man ist gemeinsam empört, | |
schimpft über die anderen, bestätigt sich selber, schöpft Hoffnung und | |
beendet alles mit einem versöhnlichen Satz. Bis nächsten Sonntag. Im TV. Im | |
Theater. Im Bücherclub. Beim Plenum. | |
Das Problem daran: Die reale Herzlosigkeit des angeblich aufgeklärten | |
Bildungsbürgers wird nicht weniger herzlos, weil er erneut aufgeklärt wird. | |
Das sollte man inzwischen begriffen haben. Der Umsturz kommt nie von oben | |
und selten aus der Mittelschicht. Man muss an die breite Masse herantreten, | |
wenn man etwas verändern will. | |
Die rechte Wortergreifungsstrategie hat das Problem vor langer Zeit | |
erkannt. Was bringt es, sich in halbleeren Bierzelten gegenseitig das zu | |
bestätigen, was man sowieso glaubt. Also wird dahin gegangen, wo es | |
vermeintlich erst einmal wehtut, zum politischem Gegner. In sozialen Medien | |
etwa ist der „Lügenleser“ längst Normalität. | |
## Echte Alternativen | |
Unter Artikeln mit angeblich linken Inhalten (also dort, wo auch nur ein | |
Hauch von Humanismus weht), aber auch bei der örtlichen | |
Diskussionsveranstaltung und im allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs ist | |
er aktiv. Er pflanzt seine Themen dort, wo sie eigentlich nicht auf | |
fruchtbaren Boden fallen. Auch wenn es schmerzt, das anzuerkennen: Es ist | |
eine logische Strategie, anders ist Ausbreitung kaum möglich. | |
Es gibt glücklicherweise auch die Gegenbeispieler. Die Band Feine Sahne | |
Fischfilet beispielsweise hat mit ihrer Konzertreihe im Hinterland gezeigt, | |
wie man es machen könnte. Vor Ort agieren. Alternativen bieten zum | |
luftleeren Raum. Echte Alternativen. Name und vor allem Fazit der | |
grandiosen Aktion: [1][„Noch nicht komplett im Arsch!“] | |
21 Sep 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://nochnichtkomplettimarsch.de/ | |
## AUTOREN | |
Juri Sternburg | |
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