| # taz.de -- Osnabrück buddelt einen Fluss aus: Weg vom Beton, hin zum Beton | |
| > Um autofreundlich zu sein, hat Osnabrück in den 60ern die Hase | |
| > einbetoniert, die mitten durch die Stadt fließt. Schritt für Schritt wird | |
| > der Fluss nun wieder zugänglich gemacht | |
| Bild: Unter dem Asphalt liegt der Strand, also zumindest der Fluss: Die Hase wu… | |
| Osnabrück taz | Schön ist es hier, auf diesem Steg am Hasewehr, drei | |
| Gehminuten entfernt vom Hauptbahnhof. Die Füße baumeln im Wasser, eine | |
| Entenfamilie lässt sich vorbeitreiben, eine junge Frau sitzt im Schatten | |
| unterm Baum und liest ein Buch. Nach einer Fahrt mit kaputter Klimaanlage | |
| im hoffnungslos überfüllten IC kehrt langsam wieder innerer Frieden ein. Es | |
| ist schon beruhigend, so ein plätscherndes Flüsschen. Eine simple | |
| Erkenntnis – für die Osnabrück freilich Jahrzehnte benötigt hat. | |
| Hätten Stadtmarketing-Experten Sinn für knackige Slogans, wäre Osnabrück | |
| bekannt als „Die Stadt mit dem einbetonierten Fluss“. Die | |
| 165.000-Einwohner-Stadt hätte dann vielleicht einen etwas interessanteren | |
| Ruf als den des netten, aber mittelmäßigen Oberzentrums für das dünn | |
| besiedelte Land drumherum. Stadtmarketing-Experten haben aber keinen Sinn | |
| für knackige Slogans. Und so wird Osnabrück seit Menschengedenken wahlweise | |
| als „Friedensstadt“ – wegen des Westfälischen Friedens, der hier 1648 | |
| geschlossen wurde – oder als „Hasestadt“ vermarktet. | |
| Und erntete vor allem für Letzteres stets Hohn und Spott. Das Gelächter ist | |
| in den letzten Jahren immer leiser geworden. Denn Stück für Stück taucht | |
| sie wieder auf, die vielgerühmte, aber scheinbar nicht vorhandene Hase. | |
| Denn die war weitestgehend unsichtbar – auch, wenn sie in Wahrheit nur zum | |
| Teil unter Beton begraben war. | |
| Für jene, die irritiert sind: Die Hase ist ein Fluss. Und der fließt in | |
| recht unspektakulärer Größe mitten durch Osnabrück. Erst stadtauswärts in | |
| Richtung Westen wird die Hase so breit und tief, dass man mit dem Kanu | |
| nicht ständig Gefahr läuft, im Schlamm oder zwischen Steinen | |
| steckenzubleiben. Trotzdem: Durch Osnabrück fließt ein Fluss. Und das ist | |
| ja eigentlich immer schön, so ein bisschen Wasser mitten in der Stadt. | |
| ## „Der Hase unterm Pflaster“ | |
| Das fanden die Osnabrücker Stadtplaner freilich nicht, als sie 1967 die | |
| Hase zubetonierten. Die Stadt sollte nicht schön werden, sondern | |
| autofreundlich – was sie bis heute größtenteils geblieben ist, zum | |
| Leidwesen der wachsenden Radfahrerschar. Also mussten Zufahrten und vor | |
| allem Parkplätze her. Einzig der Name der hinter dem Neumarkt entstandenen | |
| „Brücke“, die als solche nie zu erkennen war, zeugte jahrzehntelang vom | |
| Verlauf des Flusses: „Öwer de Hase.“ Menschen von Auswärts fragten sich | |
| irritiert, was das soll mit dem Hasen unterm Parkplatz-Pflaster. | |
| Dabei entstand schon in den fünfziger Jahren die Idee für einen | |
| „Haseuferweg“, der das 17 Kilometer lange Flussstück durch die Stadt | |
| komplett zu Fuß oder per Rad passierbar machen sollte. Aber immer wieder | |
| kam etwas dazwischen: Die Industrialisierung im Hafen und im Stadtteil | |
| Fledder, die Ausweitung der Bahnanlagen oder eben Parkplatzprobleme in der | |
| „autogerechten“ Innenstadt. Erst vor 15 Jahren wurde langsam mit der | |
| Würdigung des Flusses begonnen – und wenigstens ein Teil der Betondecke | |
| über der Hase abgetragen. | |
| Zum Vorschein kam ein Stückchen Fluss, das mit seinem gepflasterten Bett | |
| erbärmlich anmutete. Aber: Passanten, die die Baustelle auf dem Weg in die | |
| Fußgängerzone passierten, begannen leise zu ahnen, dass das Gewässer auf | |
| der anderen Seite der „Brücke“ gar kein Teich mit Abwasserkanal, sondern | |
| der Abschnitt eines Flusses sein könnte. | |
| Und aus dem kanalisierten Elend hat Osnabrück das Beste gemacht: | |
| Bepflanzungen und Kiesaufschüttungen sorgen für unterschiedliche | |
| Strömungsverhältnisse und eine deutliche ökologische und optische | |
| Verbesserung der schäbigen Beton-Hase.Trotzdem: Nur ausgemachte | |
| Lokalpatrioten zeigten Fremden mit Stolz dieses kleine Stückchen Wasser. | |
| Der sichtbare Rest der Hase war innerstädtisch nur an winzigen Teilstücken | |
| zugänglich. Vom Herrenteichswall etwa floss in Richtung Hauptbahnhof schon | |
| immer ein Stück Hase. Das aber konnte lediglich sehen, wer seinen Kopf aus | |
| dem Klofenster des „Café Trümper“ am Neumarkt steckte. An dessen Stelle | |
| steht jetzt das architektonisch erstaunlich gelungene „Hasehaus“, über | |
| dessen Namen tatsächlich niemand Häme ausschüttet: | |
| ## Endlich mal was Schönes | |
| Denn es beherbergt zur Hase-Seite Gastronomien mit zwei riesigen | |
| Außenterrassen, auf denen es sich exakt so am Flüsschen sitzen lässt, wie | |
| man sich das vorstellt – mit Blick aufs Wasser, das hier kein Betonbett | |
| hat, und auf den wohl spektakulärsten Abschnitt des Haseuferwegs: Teils | |
| über Land, meist jedoch auf Stelzen führt eine geschwungene, 475 Meter | |
| lange und 2,50 breite Stegkonstruktion, entworfen von den Hannoveraner | |
| Landschaftsarchitekten Irene Lohaus und Peter Carl. Komplett autofrei, | |
| mitten in der Autostadt Osnabrück, ist hier ein ruhiger, stressfreier | |
| Flussweg geschaffen worden. | |
| Selbst die stets zum Motzen neigenden Osnabrücker – „was das alles wieder | |
| gekostet hat!“ – müssen zugeben: Diese Strecke vermittelt Bahnreisenden, | |
| die zu Fuß in die Innenstadt wollen, zum ersten Mal seit den sechziger | |
| Jahren nicht den Eindruck, in einer Stadt gelandet zu sein, aus der man | |
| sofort wieder weg möchte. | |
| Der Startpunkt der Tour befindet sich an der Beton-Hase. Von dort geht es | |
| über die Stegkonstruktion zum Bahnhof, hinterm Bahnhof weiter in den | |
| Hasepark und dann – immer am Flüsschen entlang – weiter durch die | |
| Stadtteile Schinkel und Fledder bis nach Lüstringen. Dass dort jeweils die | |
| Hase überhaupt existiert, wussten selbst viele Eingeborene nicht. | |
| Kein Wunder, denn liebreizend ist diese Gegend nicht gerade: Die Hase | |
| fließt hier über das ehemalige Gelände der Klöckner-Stahlwerke, wo sich des | |
| Nachts der Straßenstrich befindet, durchs Gewerbemischgebiet, am | |
| Güterbahnhof entlang und unter den Gleisen mit endlosen Autotransporten | |
| hindurch. Und gewerbemischgebietig sieht auch der Uferweg aus, der in | |
| seiner Schlichtheit fast schon westfälisch anmutet und aus aufgeschüttetem | |
| Kies oder aus Abschnitten reinsten Betons besteht. | |
| Mal schützen Baken, mal ein lackiertes Geländer, mal eines aus rohem Eisen, | |
| das aussieht wie aus dem Nachlass eines alten Altmetallhändlers, an | |
| besonders kurvigen Stellen Radler vorm Fall in den Fluss. Der Weg ist | |
| stellenweise so eng, dass Fußgänger sich an die Absperrungen pressen | |
| müssen, wenn ein Trupp Radfahrer naht und Radfahrer tun gut daran, vor | |
| nicht einsehbaren Kurven zu klingeln. | |
| Am kuriosesten mutet der Abschnitt unter der achtgleisigen Bahnstrecke | |
| Osnabrück-Löhne an: Wie eine Bobbahn sieht das erst vor drei Monaten | |
| fertiggestellte, gut 150 Meter lange Beton-Bauwerk aus, das parallel zum | |
| Flußbett verläuft; hier fährt man tatsächlich mitten durch die Hase – und | |
| zieht dabei instinktiv den Kopf ein, weil die Bahnbrücke so tief hängt. Bei | |
| Hochwasser ist der Weg hier allerdings zu Ende. Und im Winter ist er | |
| vielleicht tatsächlich als Bobbahn zu gebrauchen. | |
| Jetzt aber, mitten im Sommer, kann man genau hier, dank in den Fluss | |
| hineingebauter Beton-Stufen, wunderbar eine Pause einlegen, ganz prima auch | |
| mit den Füßen im Wasser. Eine Entenfamilie lässt sich vorbeitreiben, ein | |
| paar Stichlinge beschnuppern ihre Füße. Oben gibt’s Güterzüge zu sehen und | |
| unten Radfahrer, Radfahrer und Radfahrer. Während in der Innenstadt in | |
| diesem Moment ein weiterer Teil der Hase vom Beton befreit wird, gibt es in | |
| Osnabrück-Fledder keinen schöneren Platz als dieses Stück betonierter Hase. | |
| Ein Kreis schließt sich. | |
| 5 Sep 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schnase | |
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