# taz.de -- Radfahren in Hannover: Himmel und Hölle | |
> Niedersachsens Landeshauptstadt hätte das Zeug, Deutschlands | |
> Fahrrad-Hauptstadt zu werden – doch Autolobby und Stadtverwaltung | |
> bremsen. | |
Bild: Ausnahmsweise freie Fahrt: Radler am 29. Mai beim Autofreien Sonntag in d… | |
HANNOVER taz | Wer in Hannover mit dem Fahrrad unterwegs ist, kann auf | |
wenigen Kilometern Himmel und Hölle erleben. Fährt man etwa vom Schloss | |
Herrenhausen, wo Kanzlerin Merkel Ende April US-Präsident Obama | |
Niedersachsen schmackhaft machte, in Richtung Innenstadt, führt der Weg | |
zunächst über die autofreie Herrenhäuser Allee mitten durch eine grüne | |
Parklandschaft. Rechts liegt das Leinealtwasser, links folgt schnell das | |
Welfenschloss, heute Sitz der Leibnitz-Universität. Auf den Wiesen | |
gegenüber chillen bei Sonne die StudentInnen. | |
Nur wenige Hundert Meter weiter allerdings ist Schluss mit dem Radidyll: Am | |
Königsworther Platz treffen fünf Straßen aufeinander. Über den vierspurigen | |
Bremer Damm werden endlose Autokolonnen vom Westschnellweg in die City | |
gepumpt. Für RadlerInnen ist das ein erstes Nadelöhr: Auf schmalen Radwegen | |
geht’s über mindestens drei Ampeln, an denen Autos natürlich Vorfahrt | |
haben. | |
Weiter geht die Reise in Richtung der Langen Laube. Der per Absperr-Poller | |
zur Sackgasse gemachte Weg gilt als Fahrradstraße: Zweiräder haben hier | |
zumindest theoretisch Vorrang. Nach wenigen Hundert Metern aber trifft die | |
Lange Laube auf die Goseriede – und wer die überquert, landet auf einer | |
schmalen, halbkreisförmigen Rampe, die auch von Fußgängern gern genutzt | |
wird. In Richtung des zentralen Kröpcke-Platzes geht es in einer Art | |
Fußgängerzone weiter, in der niemand versteht, dass dort trotzdem auch | |
Radfahren erlaubt sein soll. | |
Und wer dann in Richtung der Marktkirche weiter will, muss zwei Minuten | |
später auf einen gerade einmal einen Meter breiten Radweg ausweichen, auf | |
dem dafür Gegenverkehr herrscht. Dazu kommen Taxis, deren Türen sich gern | |
zur Radstrecke hin öffnen – dass es gerade auf dem letzten Teilstück dieser | |
Route nicht täglich zu schweren Stürzen kommt, grenzt an ein Wunder. Knapp | |
hundert Meter weiter endet der Radweg ins Stadtzentrum dann abrupt – im | |
Nichts. | |
Wer sich fragt, wie es zu diesem Nebeneinander aus Blechlawinen und | |
Fahrradvorrang gekommen ist, lernt schnell: Selbst die Diskussion übers | |
Radfahren ist in Hannover vermintes Terrain. „Ideologisch“ finden Teile der | |
Verwaltung bereits die Frage, wie viel Geld die Stadt für die Förderung des | |
Radverkehrs und des Autoverkehrs jeweils ausgebe. Die Mitarbeiter sagen | |
Sätze wie: „Als moderne Stadt können wir die Autos nicht verbannen“, oder: | |
„Außerdem tun wir doch schon so viel fürs Fahrrad.“ | |
## Jedes Jahr mehr Geld | |
Tatsächlich gibt Niedersachsens Landeshauptstadt jedes Jahr mehr Geld für | |
den Radverkehr aus: 2012 flossen zwei Millionen Euro, 2015 waren es schon | |
drei und 2016 bereits vier Millionen. Bezahlt werde damit die | |
Instandhaltung, Ertüchtigung und Erweiterung des etwa 1.000 Kilometer | |
langen Radwegnetzes, sagt Stadtsprecher Alexis Demos – schließlich hat der | |
rot-grün dominierte Stadtrat in seinem „Leitbild Radverkehr“ schon 2010 | |
beschlossen, den Anteil des Radverkehrs bis 2025 auf 25 Prozent zu | |
steigern. Allerdings: In den Straßenbau fließen jedes Jahr rund 30 | |
Millionen Euro. | |
AktivistInnen der „Critical Mass“-Bewegung, die immer am letzten Freitag im | |
Monat versucht, per Fahrradkorso Straßenraum von den Autofahrern | |
zurückzugewinnen, fordern deshalb mehr. „Wir erradeln uns die Utopie: | |
breite gleichberechtigte Straßen, auf denen Radverkehr neben dem | |
Autoverkehr rollt“, sagen sie. Aktuell speise die Stadtverwaltung Radfahrer | |
mit Fahrbahnmarkierungen und Bordsteinradwegen ab – und provoziere so | |
Konflikte mit dem Auto- und Fußgängerverkehr. | |
Die Folge seien Unfälle: Allein im vergangenen Jahr starben in Hannover | |
vier RadlerInnen im Straßenverkehr, im Jahr davor waren es sogar neun. Bei | |
jeder Straße müsse gefragt werden: „Würde ich hier Zehnjährige fahren | |
lassen?“, finden die „Critical Mass“-Organisatoren. Laute die Antwort | |
„Nein“, sei die Verkehrsführung „unzeitgemäß und autozentriert“. | |
Der Stadtverband des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) gibt sich | |
diplomatischer. „Atmosphärisch“ habe sich das Verhältnis zur | |
Stadtverwaltung massiv verbessert, sagt der stellvertretende Vorstand | |
Eberhard Röhrig-van der Meer. Am Knotenpunkt Schwarzer Bär in Linden etwa | |
habe sich das Tiefbauamt bereit erklärt, eine Rechtsabbiegerspur | |
ausschließlich für den Radverkehr frei zu machen – schließlich werden | |
RadlerInnen immer wieder von abbiegenden Autos überfahren. „Das eine | |
Verwaltung damit einen Fehler einräumt, ist schon bemerkenswert“, findet | |
Röhrig-van der Meer. | |
Trotzdem ärgert sich der Pädagoge über nicht an das Radwegenetz | |
angeschlossene Fahrradstraßen wie die Edenstraße, deren Hauptzweck es | |
derzeit ist, Konflikte mit den Flaneuren zwischen den Geschäften der Lister | |
Meile zu vermeiden. Den Radverkehr der Zukunft wünscht sich Röhrig-van der | |
Meer auf mindestens 2,5 Meter breiten „Velorouten“, die von den Stadtteilen | |
ins Zentrum führen sollen. „Wir brauchen erhöhte Haushaltsmittel auch in | |
den nächsten Jahren“, fordert er. | |
Um den Druck auf die Politik zu erhöhen, hat Röhrig-van der Meer die | |
Positionen der im Rat vertretenen Parteien zum Radverkehr abfragen lassen. | |
Alle Details werden im Juli in der Verbandszeitschrift HannoRad | |
veröffentlicht. Wenig überraschend schneiden die Grünen am Besten ab – sie | |
machen sich etwa für Tempo 30 in der Innenstadt stark. „Die SPD orientiert | |
sich mal wieder am Auto“, sagt der ADFC-Vorstand: „Die Sozialdemokraten | |
wollen auf den Einfallstrecken zu den Parkhäusern Tempo 50 – egal, wie | |
viele Fußgänger und Radfahrer darauf unterwegs sind.“ | |
## Im Ranking auf Platz 4 | |
Die Grünen wollen bei den Kommunalwahlen im September dagegen mit der | |
Forderung nach eigenen Radfahr-Spuren auf breiten Straßen und | |
Radschnellwegen punkten. „Ziel ist, möglichst viel Verkehr aufs Fahrrad zu | |
verlagern“, sagt Parteichefin Gisela Witte. In den vergangenen Jahren ist | |
das gelungen: Der Anteil der mit dem Rad zurückgelegten Strecken stieg von | |
13 Prozent 2002 auf 19 Prozent im Jahr 2011. Und 2014 lag Hannover im | |
ADFC-Ranking der fahrradfreundlichsten Großstadt schon auf Platz 4 – nach | |
Münster, Karlsruhe und Freiburg im Breisgau. | |
Hannover habe das Potenzial, Fahrradhauptstadt Deutschlands zu werden, warb | |
der Fahrradguru Mikael Colville-Andersen im vergangenen Jahr bei einer | |
Konferenz: Eine Situation wie in seiner Heimat Kopenhagen, wo jeder dritte | |
Weg mit dem Rad zurückgelegt wird, sei erreichbar. „Wir brauchen die | |
Unterstützung der Öffentlichkeit“, sagt die grüne Parteichefin Witte dazu … | |
noch dominiere die Autolobby, denke die Stadtverwaltung den Radverkehr zu | |
oft nicht mit. „Hannover ist bis heute eine Autostadt“, sagt Witte – | |
„abhängig von VW.“ | |
Lesen Sie mehr über Mühen und Freuden des Radfahrens in unserem Nordteil | |
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11 Jun 2016 | |
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Andreas Wyputta | |
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