# taz.de -- Wiederaufbau Berliner Stadtschloss: Neurose aus Beton | |
> Es wirkt wie eine Fata Morgana und ist doch erschreckend leibhaftig: Am | |
> Stadtschloss kommt niemand mehr vorbei. Der Versuch einer Annäherung. | |
Bild: Am Berliner Stadtschloss kommt niemand mehr vorbei. | |
Jetzt ist der enorme Baukörper wirklich nicht mehr zu übersehen, der da am | |
Ende der Straße Unter den Linden in Mitte wächst und wächst. Der nackte | |
Beton, der diesen Koloss am Ende auch eine Fabrik oder ein Flughafengebäude | |
werden lassen könnte, wird in schier gespenstischem Tempo von der | |
pseudobarocken Retortenfassade überklebt, sodass man das Endergebnis schon | |
gut vorausahnen kann. | |
Auch in den gigantischen Innenfoyers, wo die jetzt noch wie megalomane | |
Büro- oder Hotelatrien aussehenden Rohfassaden beinahe schon zur Hälfte mit | |
Säulen, Stuck, Sandsteinornamenten und Klinkern verkleidet sind und ihre | |
historischen Vorbilder zitieren, kann man quasi auf inneren Knopfdruck das | |
Ambiente in der Fantasie vollenden – als hätte man zum Frühstück ein | |
Computersimulationsprogramm verspeist. So wirkt dieses architektonische | |
Hybrid, das uns eine Geschichte vormacht, die wir nicht hatten, immer noch | |
wie eine digitale Fata Morgana, obwohl es inzwischen erschreckend | |
leibhaftig ist. | |
Die ganze Nationalneurose, die dieser Bau verkörpert, der eine Geschichte | |
reparieren will, die nicht zu reparieren ist, wird am Bauschild deutlich. | |
Denn das Schloss darf nicht einmal Schloss heißen, sondern muss den Namen | |
Humboldt-Forum führen – den Namen jenes aristokratischen preußischen | |
Brüderpaars, das im 18. Jahrhundert Aufklärung und Welthaltigkeit in die | |
verschlafene Provinzstadt Berlin brachte. So zumindest die offizielle | |
ideologische Lesart, die zu dieser Namensgebung führte. | |
Dieser Name prangt nun kalt wie an einem Kongresscenter auch schon an der | |
Betonfassade, mit der sich das Gebäude spreeseitig seiner lieblosen | |
Vollendung nähert: also dort, wo sich einmal die schönsten, ältesten und | |
verwunschensten Teile des Originalbauwerks befanden, das in mehreren | |
Jahrhunderten entstand, sich entwickelte und langsam wuchs, bevor es 1950 | |
als Symbol des fehlentwickelten Deutschlands gesprengt wurde. Und zwar von | |
Leuten, die für sich damals leider zu Unrecht reklamierten, nun alles | |
richtig machen zu wollen. Und die ihrerseits eine Fehlentwicklung aus dem | |
November 1918 korrigieren wollten: als der Kommunist Karl Liebknecht mit | |
seiner Ausrufung einer sozialistischen Republik Deutschland vom Balkon des | |
Schlossportals IV ein paar Stunden zu spät gekommen und wenige Wochen | |
später ermordet worden war. | |
Diese, schon einmal einem Reparaturversuch unterworfene (Heils-)Geschichte | |
nach DDR-Lesart ist im Foyer eines Bauwerks am Rande des Schlossplatzes auf | |
großen Glasfenstern erzählt, welches von außen ebenfalls ein Stück | |
nachgebaute Schlossfassade ziert: am ehemaligen DDR-Staatsratsgebäude | |
nämlich, in dem heute eine Wirtschaftsakademie seine Studierenden in der | |
Kunst des Neoliberalismus unterweist. Diese Kopie wirkt inzwischen trotzdem | |
authentischer als das, was da nun als Schloss geklont auf der Spreeinsel | |
entsteht. | |
Wenn man vom Brandenburger Tor auf den Schlossplatz zukommt, flasht vor dem | |
inneren Auge kurz eine Hiroshimavision auf. Denn das Skelett der Kuppel, | |
deren Vorbild 1850 der Architekt August Stüler entwarf, entfaltet just die | |
Dimensionen des skeletthaften Atombombendoms der japanischen Stadt, die | |
1945 von der ersten Atombombe zerstört wurde. Und wo auf dem Ground Zero | |
nur das Skelett eines einzigen Hauses blieb, das einmal als Messezentrum | |
genutzt wurde und heute als Ruine und Denkmal ikonografisch für diese | |
Katastrophe steht. | |
Der Ground Zero am Schlossplatz wird seit 1950 nun schon zum zweiten Mal | |
überbaut. Mit Kulissen für eine Geschichtspolitik, deren Hohlräume sich mit | |
angeklebten Fassade jedoch nur notdürftig verdecken lassen. | |
Dieser Text ist Teil des aktuellen Wochenendschwerpunkts zum Wiederaufbau | |
des Stadtschlosses in der taz.berlin. Am Kiosk und in Ihrem Briefkasten. | |
3 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Esther Slevogt | |
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