# taz.de -- Die Türkei und der Balkan: Erdoğan ringt um Einfluss | |
> Der türkische Präsident sieht sich als Vertreter der muslimischen | |
> Bevölkerung auf dem Balkan. Doch über Druckmittel verfügt er dort nicht. | |
Bild: Musliminnen in Sarajevo beim Gebet während des Fastenmonats Ramadan | |
Split taz | Zwar waren es nur rund 400 Anhänger des türkischen Präsidenten | |
Erdoğan, die am Wochenende in Sarajevo auf die Straße gegangen sind. Doch | |
anders als in anderen Ländern Europas waren es nicht nur Türken, die ihre | |
Unterstützung für Erdoğan ausdrücken wollten. Mehr als die Hälfte der | |
Demonstranten waren Bosniaken, bosnische Muslime, Mitglieder und Anhänger | |
der muslimischen Nationalpartei SDA (Partei der demokratischen Aktion). | |
Zugleich machten andere Bürger der Stadt ihrem Ärger darüber in den | |
sozialen Medien Luft. So erklärte ein ehemaliger Soldat der bosnischen | |
Armee, er habe während des Krieges für Bosnien gekämpft und nicht für die | |
Türkei, seine Flagge sei die bosnische und nicht die türkische. | |
Doch ist nicht zu übersehen, dass Erdoğan sich als Fürsprecher der Muslime | |
des Balkan präsentieren und die Türkei als Schutzmacht aller Muslime der | |
Region profilieren will. Vor allem bei den Muslimen in Serbien, den | |
Sandschak-Muslimen im Südwesten des Landes, aber auch in Bosnien hat er | |
damit durchaus Erfolg. | |
Deutlich wurde diese Strategie schon im Mai dieses Jahr, als Expremier | |
Ahmet Davutoğlu bei der Einweihung der von Serben 1993 zerstörten und auch | |
mit türkischen Geldern wiederaufgebauten Ferhadija-Moschee in Banja Luka | |
davon sprach, die Bosniaken könnten nach den Erfahrungen des Kriege | |
1992–1995 in Zukunft auf die politische Unterstützung und sogar den | |
militärischen Schutz der Türkei vertrauen. | |
## SDA spielt den Statthalter für Erdoğan | |
Bislang hatte der Westen keinen Zweifel daran gelassen, dass Bosnien und | |
Herzegowina unter dem Schutz der Garantiemächte des Abkommens von Dayton | |
steht und dass man die Aufnahme des Landes in die Nato befürwortet, was | |
allerdings von der serbischen Seite und Russland blockiert wird. | |
Erdoğan verschärfte den Konflikt noch, indem er erklärte, Türken, | |
Bosniaken, Tscherkessen und Kurden seien eine Nation. Zwar ist zu vermuten, | |
dass er damit die Hunderttausende von Bosniaken meinte, die zum Teil seit | |
Generationen in der Türkei leben, doch auf dem Balkan wurde dieser | |
zweideutige Ausspruch von vielen anders verstanden. | |
Als willfähriger Freund des türkischen Präsidenten hat sich dabei der | |
Vorsitzende der SDA-Partei Bakir Izetbegovićerwiesen. Der Politiker, der | |
als Vertreter der Bosniaken – neben dem Serben Mladen Ivanićund dem Kroaten | |
Dragan Čovićim dreiköpfigen Staatspräsidium des Landes – sitzt, betont | |
nicht nur die persönliche Freundschaft mit Erdoğan, er versucht auch, | |
politisch seinem Vorbild nachzueifern. | |
Die SDA-Partei hat bislang akzeptiert, dass angesichts der multinationalen | |
Zusammensetzung der Gesellschaft Staat und Religion getrennt sein müssen. | |
Diese Position wurde in den letzten Jahren jedoch aufgeweicht. Beim Streit | |
um die Frage, ob Kopftücher vor Gericht getragen werden dürfen, stellte | |
sich Izetbegovićauf die Seite der jungen Kopftuchfrauen. | |
## Gegen Gülen in Bosnien | |
Zudem befürwortete Izetbegovićdie Einrichtung von nach Nationalität | |
getrennten Schulen wie kürzlich in Jajce. Damit wird die bisherige Position | |
der bosniakischen Volksgruppe in Bosnien, die bisher für ein Zusammenleben | |
mit den anderen Volksgruppen eingetreten ist, aufgeweicht. | |
Willfährig gegenüber Erdoğan scheint sich Izetbegovićauch in der Frage der | |
Gülen-Bewegung zu verhalten. Erdoğan fordert nun von den Balkanmuslimen | |
insgesamt, sich von Gülen zu distanzieren. In der Sandschak-Hauptstadt Novi | |
Pazar hat er damit offenbar schon Erfolg. | |
Erdoğan fehlen allerdings die wirtschaftlichen Druckmittel: Die Türkei | |
versucht zwar politisch-ideologisch Einfluss zu gewinnen, wirtschaftlich | |
jedoch ist sie auf dem Balkan wenig präsent. Beim Warenaustausch und den | |
Investitionen rangiert die Türkei hinter Kroatien, Deutschland, Österreich, | |
Slowenien, Russland und der Schweiz auf einem hinteren Platz. | |
1 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
## TAGS | |
Sarajevo | |
Bosnien und Herzegowina | |
Balkan | |
Schwerpunkt Türkei | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
Präsidentschaftswahl in der Türkei | |
Bosnien und Herzegowina | |
Bosnien und Herzegowina | |
Bosnien und Herzegowina | |
Balkan | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
Fethullah Gülen | |
Schwerpunkt Türkei | |
Bosnien und Herzegowina | |
Schwerpunkt Brexit | |
Kroatien | |
Bosnien und Herzegowina | |
Bosnien und Herzegowina | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Türkischer Präsident in Sarajevo: Bosnien als Geschenk | |
Im bosnischen Sarajevo befeuert Erdoğan den Wahlkampf in der Türkei. Es | |
jubeln vor allem aus Deutschland angereiste Türken. | |
Debatte Bosnien und Herzegowina: Zündeln auf dem Balkan | |
Die politische Lage in Bosnien und Herzegowina wird immer brisanter. | |
Russland und die Türkei verfolgen dort jeweils eigene Interessen. | |
Referendum in der Republika Srpska: „Wir sind gegen Bosnien“ | |
Die Mehrheit in der serbischen Teilrepublik dürfte heute dafür stimmen, den | |
Unabhängigkeitstag 9. Januar künftig wieder als nationalen Feiertag zu | |
begehen. | |
Kampagne in Bosnien und Herzegowina: Mit Kampfparolen auf Stimmenfang | |
Der Präsident der serbischen Teilrepublik, Milorad Dodik, will am 25. | |
September über einen nationalen Feiertag abstimmen lassen. | |
Parlamentswahl in Kroatien: Kriegsrhetorik feiert fröhliche Urständ | |
Kroatiens Parteien überbieten sich vor der Wahl am Sonntag mit | |
kraftmeierischen Sprüchen. Das linke Lager sieht sich dabei im Aufwind. | |
Die Türkei und der Westen: Vertrauen war gestern | |
Das Verhältnis der Türkei zu den anderen Nato-Staaten ist so zerrüttet wie | |
nie zuvor. Die neue Freundschaft mit Russland macht das nicht besser. | |
Wie Gülen zum Staatsfeind Nr. 1 wurde: Die dunkle Seite der „Gemeinde“ | |
Dass Erdoğan rigoros Gülen-Anhänger bekämpft, macht diese nicht zu | |
Demokraten. Intrigen und kriminelle Methoden zeichnen die Sekte aus. | |
Türkischer Journalist zu seiner Festnahme: „Nun fürchten sich die Leute vor… | |
Nach dem Putschversuch wurden dutzende Haftbefehle gegen Journalisten | |
erlassen – darunter Bülent Mumay. Wieder frei, beschreibt er die Absurdität | |
der Festnahme. | |
EU und Bosnien-Herzegowina: Durchbruch dank Merkel | |
Brüssel unterzeichnet ein Assoziierungsabkommen mit Bosnien-Herzegowina. | |
Die deutsche Regierung bringt die Serben dazu, doch noch einzulenken. | |
Debatte Brexit-Folgen für den Westbalkan: Nicht den Anschluss verlieren | |
Durch das Brexit-Referendum ist die Europäisierung des Balkans ins Stocken | |
geraten. Stattdessen bringen sich autoritäre Mächte ins Spiel. | |
Kommentar Kroatien: Eigentor für die Rechtspopulisten | |
Das Zerwürfnis zwischen HDZ und dem Regierungschef hat zur Abwahl der | |
Regierung geführt. In der Neuwahl liegt eine Chance für linke Parteien. | |
„Kid's Festival“ in Sarajevo: Fanal gegen den Nationalismus | |
Seit 13 Jahren organisiert eine Deutsche in Sarajevo ein Festival für | |
zehntausende Kinder. Endlich darf sie es im Stadtzentrum ausrichten. | |
Proteste in Bosnien und Herzegowina: Gegenwind für Serbenführer Dodik | |
Die Zusammenstöße blieben aus. Zehntausende haben in der „Republika Srpska�… | |
friedlich gegen die politische Führung der Teilrepublik demonstriert. |