# taz.de -- Einblicke in Gefängnisküchen: An den großen Töpfen | |
> Unser Autor wird bald wieder ein paar Tage im Gefängnis verbringen. Er | |
> hat einen Traum: dort für die Insassen kochen. | |
Bild: Gefängnisessen: Kann unser Autor das besser? | |
Nichts ist so unverfänglich und verbindlich zugleich wie das gemeinsame | |
Sitzen um einen gedeckten Tisch. Weil man ja schließlich essen muss, um | |
nicht zu verhungern. Und wo man schon einmal sitzt, kann man sich auch noch | |
mit den anderen unterhalten. Familie, Freunde, Fremde, Feinde – nach dem | |
Abendessen mag man die anderen in der Regel ein bisschen mehr als davor. | |
Vielleicht war das der Grund, warum ich vor Jahren anfing, immer mal für | |
größere Gruppen zu kochen. | |
Mit dieser Kolumne endet die Serie des „offenen Tisches“. Vielleicht hat | |
sie ja den einen oder die andere dazu angeregt, die Single-Küche bei eBay | |
zu versteigern und dafür eine Kippbratpfanne anzuschaffen. Oder eine | |
Paella-Pfanne mit dem Durchmesser eines Kanaldeckels. Es ist jedenfalls – | |
abgesehen vom Equipment – nicht viel schwieriger, für zwanzig anstatt für | |
zwei Menschen zu kochen. | |
Mein persönlicher Einstieg in die Massenproduktion von Spaghettisoßen fand | |
vor vielen Jahren in einem Tübinger Studentenwohnheim statt. In der | |
Gemeinschaftsküche sah ich zum ersten Mal in meinem Leben Kochtöpfe in der | |
Größe von Regentonnen. Der riesige Herd stand in der Mitte des Raumes, und | |
um ihn zu umrunden, brauchte es gefühlt eine Viertelstunde. | |
In einem feuchten Sommer wie diesem sammelten die fünfzig Bewohner des | |
Hauses im Garten des Wohnheims einmal 300 Weinbergschnecken. Das | |
Treppenhaus stank zwar noch drei Wochen nach dem ausgekochten Schleim der | |
Kriechtiere. Aber das gemeinsame Schneckenessen blieb der Höhepunkt des | |
ganzen Studienjahres. Seither zog es mich immer wieder an die großen Töpfe. | |
Mal ließ ich mich überreden, für einen Freund das Hochzeitsessen für 200 | |
Gäste auszurichten, mal waren es „nur“ zehn oder zwanzig Freunde, die ich | |
aus Lust und Laune einlud. | |
Auch um mir kleine Vorteile zu verschaffen, nutzte ich meine Kenntnisse der | |
Massenverpflegung. Meinem Automechaniker gefiel jedenfalls der Deal: kochen | |
gegen schrauben. Ich kochte in seiner Werkstatt für ihn und alle seine | |
Kunden und er wechselte mir im Gegenzug die Räder an meinem Auto für lau. | |
Wer kochen kann, ist mindestens so beliebt wie ein Klavierspieler oder | |
Eintänzer. | |
## Gemeinsam im Kochtopf rühren und über Freiheit reden | |
Das gute Dutzend Kolumnen beinhaltete jeweils ein Rezept, das sich auch für | |
unbegabte Köche oder Köchinnen relativ leicht nachäffen ließ. Gerichte für | |
einen spontanen Überfall von Freunden ebenso wie für die geplante | |
Massenverköstigung bei einem Weinbergfest. Der Zusammensetzung der | |
abendlichen Runden waren keine Grenzen gesetzt. Nur eine Form der großen, | |
langen Tafel blieb mir bislang verwehrt. Noch nie hatte ich die | |
Gelegenheit, für die Insassen einer Haftanstalt zu kochen. | |
Einer meiner Freunde saß einmal längere Zeit hinter Gitter und war während | |
dieser Jahre Hilfsarbeiter in der Gefängnisküche. Er hatte eine Bar in | |
Stuttgart betrieben und einem seiner Stammkunden Kokain verkauft. Leider | |
stellte sich der Stammkunde als verdeckter Ermittler heraus. Als ich ihn | |
damals im Knast besuchte, erzählte er mir mit glänzenden Äuglein, dass | |
neben ihm der ehemalige Deutsche Meister im Boxen, René Weller, in der | |
Küche stehe, der ebenfalls seine Strafe in der Knast-Küche absaß. Was für | |
eine schöne Vorstellung, mit Menschen zwangsweise im Topf zu rühren und | |
über Freiheit zu reden! Ich beneidete ihn fast. | |
Kurze Zeit später durfte ich dann selbst einmal für zwei Tage hinter | |
Gitter, weil ich in der Schweiz zu schnell gefahren war. Besonders die | |
Gefängniskantine blieb in Erinnerung. Am ersten Tag gab es Zürcher | |
Geschnetzeltes mit Reis, und ich muss sagen, da konnte mancher bürgerliche | |
Gasthof dagegen einpacken. | |
Am zweiten Tag, einem Freitag, musste ich mich allerdings beim Koch | |
beschweren, weil er mir die Fischstäbchen mit der Hand auf den Teller | |
legte: „So bitte nicht!“ Auch im Gefängnis hat der Gast eine Würde. Ich | |
hätte es auch noch länger dort ausgehalten, allerdings scheint die | |
Schweizer Gefängnis-Gastronomie auch auf relativ hohem Niveau zu liegen. | |
Vor Kurzem fiel mir ein Kochbuch in die Hände, das mir schon seines Titels | |
wegen gut gefiel: „Huhn in Handschellen“. Herausgeber ist die Justizbehörde | |
Hamburg. Darin sind Rezepte enthalten, die in den Zellentrakts erfunden und | |
zubereitet wurden. Wildsalat vom Gefängnishof zum Beispiel: mit Löwenzahn, | |
Giersch und Hühnerschwarm. | |
Endlich mal ein brauchbares Kochbuch. Ich konnte es nicht mehr weglegen. | |
„Huhn in Handschellen“, ein anderes Gericht, wird empfohlen „für den | |
Jahrestag der Verurteilung“. Ich war mir nicht ganz sicher, ob das jetzt | |
zynisch oder einfach nur lustig ist. Aber für meinen nächsten | |
Gefängnisaufenthalt habe ich mir einige Rezepte schon mal vorsorglich | |
notiert. | |
Den Zettel könnte ich bald gebrauchen. Die Schweizer sind schon wieder | |
hinter mir her. Dieses Mal bieten sie mir vier Tage Knast im Tessin für 34 | |
Stundenkilometer, die ich zu schnell gefahren bin. Ich werde das Angebot | |
annehmen. Und mich um einen Hilfsjob in der Küche bewerben. | |
22 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Philipp Mausshardt | |
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