# taz.de -- Kutteln kochen: Einsam essen | |
> Wer für eine Patchworkfamilie kocht, weiß nie, wie viele Leute | |
> tatsächlich zum Essen kommen. Wer gar keine Gäste will, serviert einfach | |
> Pansen. | |
Bild: Was haben denn alle? Sieht doch lecker aus | |
Neue Familienkonstellationen erfordern eine ganz neue Küchenorganisation. | |
Zu Zeiten meiner Eltern war die Mutter für die Auffüllung der | |
Küchenschränke zuständig, und auch was es zu essen gab, bestimmte sie. Die | |
Generation hatte es einfach. Sie setzte sich an den gedeckten Tisch zu Weib | |
und Kindern, und wenn der Ehemann gut drauf war, nickte er seiner lieben | |
Gattin freundlich über die weiße Tischdecke hinüber zu, wenn sie die Suppe | |
schöpfte. | |
Mit der Erfindung des Single-Haushaltes und der Patchworkfamilie ist alles | |
schwieriger geworden. Man weiß nicht mehr, wer kocht, ob es überhaupt | |
jemand macht und was am Abend noch im Kühlschrank ist. Und erst recht weiß | |
man nicht, wer zum Essen kommt. Ich, beispielsweise, wohne in einem Haus | |
zusammen mit einer Frau, die sich von ihrem Mann getrennt hat und deren | |
drei Töchter manchmal da sind und manchmal nicht. | |
Meine Frau wohnt vier Häuser weiter mit unserem Sohn, der manchmal zum | |
Essen kommt und manchmal nicht. Die Pflegetochter der Frau, mit der ich | |
zusammenwohne, deren neuer Freund manchmal zum Essen kommt und manchmal | |
nicht, ist auch manchmal da. | |
Am Wochenende kommt meine Freundin aus Berlin, manchmal bringt sie ihre | |
Tochter mit und manchmal nicht. Würden alle zum Essen kommen, die irgendwie | |
manchmal da sind, wären das zehn Personen. Auf diesen Ernstfall muss die | |
Logistik unserer Küche vorbereitet sein. Deshalb gibt es bei uns eine Art | |
Notsortiment, ähnlich, wie es das Technische Hilfswerk am Flughafen in Bonn | |
vorhält für einen jederzeit eintreffenden Katastropheneinsatz. Dazu gehören | |
Salz, Nudeln, Tomatendosen, Thunfisch im Glas, Parmesan und noch ein paar | |
andere Dinge, die lange haltbar sind und aus denen zumindest ein Gericht | |
mit Sättigungscharakter hergestellt werden kann. | |
Wir haben uns schon überlegt, eine Liste auszuhängen, auf der sich bis | |
Freitag jeder einträgt, der am Sonntagabend zum Essen kommen möchte. Aber | |
das schien uns dann doch ein wenig zu bürokratisch. Wir sind ja nicht die | |
Schulkantine, in der man am Ersten seine Essensmärkchen für den ganzen | |
Monat kaufen muss. Also fragen wir zu Beginn des Wochenendes meist in die | |
Runde oder per Handy, wer denn so denke, dass er am Sonntagabend vielleicht | |
käme. Bei Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 lautet dann die Antwort | |
standesgemäß: „Kann ich noch nicht sagen.“ „Vielleicht.“ „Muss erst… | |
mit Jan telefonieren.“ Manchmal fragt auch jemand: „Was gibt’s denn?“ | |
## Keine gute Küche ohne Kutteln | |
Habe ich Lust, mit meiner Freundin oder der Mitbewohnerin alleine zu essen, | |
sage ich: „Saure Kutteln.“ Ist mir nach großer Gesellschaft: „Lasagne, | |
einmal mit Fleisch und einmal vegetarisch.“ Im letzten Fall muss ich | |
allerdings damit rechnen, dass die Jugendlichen noch ihre Freunde | |
mitbringen, die manchmal kommen und manchmal nicht. Dabei schmecken Kutteln | |
wunderbar, machen aber einsam. | |
Nieren, Leber, sogar Lunge genießen einen besseren Ruf als der in Streifen | |
geschnittene Vormagen (Pansen) der Kuh, was eine große Ungerechtigkeit ist. | |
Kutteln sind ein hervorragender Indikator, ob es in einem Land eine gute | |
oder eine elende Küche gibt. In Finnland isst man keine Kutteln. „Man | |
sollte“, sagte mir einmal der Stuttgarter Koch Vincent Klink, „nie in | |
Länder reisen, in denen es keine Kutteln gibt.“ | |
In einem Haus, in dem ständig die Haustüre auf- und zugeht, möchte ich an | |
manchen Sonntagabenden einfach auch mal meine Ruhe haben. „Kinder, es gibt | |
Kutteln“ ist dafür das Zauberwort. Es ist eine teuer erkaufte Ruhe. Denn | |
obwohl Kutteln zu den billigsten Produkten in der Fleischertheke gehören: | |
Mich kostet so ein Kuttel-Sonntag richtig Geld. Dann stehen die | |
Jugendlichen mit ekelverzerrtem Gesicht vor mir, halten die Hand auf und | |
bitten um eine Spende für den nächsten Dönerstand. Ich bezahle gerne – und | |
sitze wenig später alleine oder zu zweit am großen Tisch. | |
Der nächste Sonntagstisch steht allen taz-LeserInnen offen und findet am | |
Sonntag, 4. Oktober, um 19 Uhr in der Hermann-Kurz-Str. 7, 72074 Tübingen | |
statt. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. PS: Es gibt keine Kutteln. | |
26 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Philipp Mausshardt | |
## TAGS | |
Familie | |
Kochen | |
Kochen | |
Ebay | |
DDR | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Einblicke in Gefängnisküchen: An den großen Töpfen | |
Unser Autor wird bald wieder ein paar Tage im Gefängnis verbringen. Er hat | |
einen Traum: dort für die Insassen kochen. | |
Unüberlegte Ebay-Käufe: Ein Boot, ein Deal und etwas Zimt | |
Schon mal nachts ein kaputtes Motorboot auf Ebay gekauft? Unser Autor weiß, | |
wie man aus der Nummer wieder rauskommt. | |
Das vergessene Rezept: Affenfett macht mürbe | |
Unmut entsteht zuerst am Mittagstisch. Die DDR ging unter, weil das Essen | |
schlecht war. Mit einer Ausnahme: Würzfleisch mit Königin-Pastete. | |
Kolumne Klatsch: Provinz ist, wo es kracht | |
Ich wohne direkt an einem „Unfallschwerpunkt“. Leichtverletzten servieren | |
wir Schwarztee. |