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# taz.de -- Unüberlegte Ebay-Käufe: Ein Boot, ein Deal und etwas Zimt
> Schon mal nachts ein kaputtes Motorboot auf Ebay gekauft? Unser Autor
> weiß, wie man aus der Nummer wieder rauskommt.
Bild: So stellt man sich das ja in etwa vor, wenn man nachts auf Ebay nach sein…
Zu den dümmsten Aktionen meines Lebens zählt zweifelsfrei der Kauf eines
kaputten Motorbootes nachts im Internet auf Ebay. Selbst wenn man den Preis
von 2.000 Euro noch als relativ günstig einstuft, jeder Besitzer eines
Motorbootes weiß: Ein Motorboot ist ein Loch im Wasser, in das Geld auf
Nimmerwiedersehen verschwindet.
Schon die Abholung meiner Neuerwerbung im Niemandsland von
Schleswig-Holstein kostete mich Zeit, Geld und Nerven. Irgendwann vor vier
Jahren stand es tatsächlich vor meiner Haustüre im schwäbischen Tübingen,
weit und breit kein Meer und kein See, doch das Gefühl, jetzt ein
Jachtbesitzer zu sein, auch wenn der Motor kaputt war, überlagerte alle
Vernunft.
Von Motoren glaubte ich bis dahin einiges zu verstehen, allerdings ist so
ein Bootsmotor der Firma Mercruiser mit stolzen 165 PS etwas ganz anderes
als ein Rasenmähermotor. Allein um ihn auszubauen, benötigt man einen
Kranwagen. Aber an Träumen muss man festhalten, und so fragte ich meinen
Autoschrauber, ob er mir helfen würde, das alte Ding wieder zum Leben zu
erwecken. Bernd ist ein seelenguter Mensch und er erkannte mein Dilemma
sofort. Wir einigten uns auf ein Kompensationsgeschäft: Er repariert den
Motor und ich bedanke mich dafür mit einem Abendessen für ihn, seine
Freunde, seine Kunden und seine Geschäftspartner.
Als es so weit war, räumte der Schrauber seine Werkstatt auf, putzte den
Boden blank und stellte Bierbänke für 100 Personen auf. Für 100 Menschen zu
kochen ist nicht leichter oder schwieriger als für zwei Personen. Man
braucht nur größere Töpfe und einen Taschenrechner.
## 20 Kilo Wildsau ohne Knochen
Ich entschied mich für ein Wildschwein-Gulasch mit Serviettenknödeln, ein
Gericht, das sich mit etwas organisatorischem Geschick an einem Vormittag
zubereiten lässt. Für zwei Personen rechnet man gewöhnlich mit 400 Gramm
Fleisch. Laut Taschenrechner bestellte ich bei meinem Forstamt 20 Kilo
Wildsau ohne Knochen. Wildfleisch ist mir das liebste Fleisch: Die Tiere
leben frei im Wald bis auf jenen kurzen Moment, wo es bum macht. Kein
Östrogen, kein Silofutter, kein Schlachthaus-Adrenalin verfälscht den
Geschmack.
Es war ein wunderbarer Sonntagabend und eine Szene für jeden Genre-Maler:
Auf den vier Hebebühnen standen die Autos, darunter saßen spachtelnd die
Gäste und draußen vor der Werkstatt wartete mein Schiff, endlich aufs große
Meer gelassen zu werden. Die Gespräche kreisten um Zylinderkopfdichtungen
und Zweikreiswasserkühlung und manchmal fragte auch jemand, ob in der Sauce
etwas Zimt zu schmecken sei. Ja, das war so, denn die Gewürzmischung hatte
ich nach einem Rezept des Starkochs Vincent Klink selbst zusammengestellt:
Sternanis, Zimt, Kreuzkümmel und Szechuanpfeffer.
## „Ave Maria 1“
Ein paar Wochen später zog ich das Schiff auf einem Anhänger über die Alpen
ans Mittelmeer nach Pisa. Dort wurde es mit einem Kran ins Wasser gelassen.
Zur Jungfernfahrt lud ich meine Frau und ein paar Freunde ein, auf dem Deck
herrschte eine fröhliche Stimmung, als wir den Hafen verließen.
Etwa vierhundert Meter vom Ufer entfernt, wir hatten gerade den Prosecco
geöffnet, hörten wir einen Knall aus dem Motorraum und das Boot, das ich zu
Ehren meiner Frau auf den Namen „Ave Maria 1“ getauft hatte, machte keinen
Mucks mehr. Mit Handzeichen gab ich Notsignale und ein Fischer erbarmte
sich unser und schleppte uns an einem Seil zurück in den Hafen.
Seit drei Jahren liegt mein Schiff nun schon an der Anlegestelle und jeden
Sommer fuhr ich nach Pisa, um es zu reparieren. Mal war es die Elektrik,
die nicht funktionierte, im nächsten Jahr streikte die hydraulische
Steuerung. Dass es auch heute noch nicht fährt, liegt meines Erachtens nur
noch an den Zündkabeln, dem Unterbrecherkontakt und dem Verteilerdeckel.
Aber ich bin mir sicher, spätestens diesen Sommer bekomme ich das hin. Die
monatlichen Liegegebühren, die Kosten für Ersatzteile und die neuen Polster
der Sitze haben ein gigantisches Loch in meinen Geldbeutel gerissen. Meine
Frau hat mich verlassen. Aber Träume sollte man nie aufgeben.
12 Jun 2015
## AUTOREN
Philipp Mausshardt
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