# taz.de -- Das vergessene Rezept: Affenfett macht mürbe | |
> Unmut entsteht zuerst am Mittagstisch. Die DDR ging unter, weil das Essen | |
> schlecht war. Mit einer Ausnahme: Würzfleisch mit Königin-Pastete. | |
Bild: Schmeckt noch besser mit „Wuschtersoße“: Würzfleisch. | |
Kulinarisch betrachtet war der Untergang der DDR eine zwangsläufige | |
Entwicklung. 40 Jahre lang hatten Millionen von Menschen schlecht gegessen. | |
Sie gingen auf die Straße und weil man mit Parolen wie „Mehr Gewürze!“ od… | |
„Wir wollen Auberginen!“ keine Revolution gewinnt, riefen sie eben „Wir | |
sind das Volk!“ oder „Keine Gewalt!“ und hatten am Ende damit Erfolg. | |
Aber eigentlich ging es ums Essen. | |
Wer sich über Jahrzehnte von „Affenfett“, „Beamtenstippe“ oder „Hack… | |
Knieste“ ernähren muss, der wird mürbe mit der Zeit und will einen anderen | |
Staat. Wenn es zu Hause gut schmeckt, ist auch eine schlechte Regierung | |
erträglich. | |
Silvio Berlusconi konnte sich nur deshalb so viele Jahre an der Macht | |
halten, weil sich die Italiener mehr für ihre Nudelsaucen interessieren als | |
für politische Debatten. Unzufriedenheit entsteht zuerst am Mittagstisch. | |
Doch solange das Olivenöl duftet und das Basilikum frisch aus dem Garten | |
kommt, können einen die Politiker am Culo lecken. | |
„Cucina povera“, die „Küche der armen Leute“, nennen sie südlich der … | |
mit einem gewissen Stolz jene Art von einfachen Gerichten, die keine große | |
Kochkunst benötigen, sondern lediglich die besten Zutaten. Hätten mehr | |
Italiener in der DDR gelebt, der Zusammenbruch wäre um Jahre beschleunigt | |
worden. | |
Wer wie ich keine Verwandten östlich der Elbe besaß, wusste ja nichts vom | |
dortigen Elend auf den Tellern. Ich war 23 Jahre alt, als ich das erste Mal | |
mit dem VW-Käfer meiner Mutter in das andere Deutschland fuhr und eine | |
Fleischtheke in Leipzig sah. Da lagen ein paar Bollen fettiges | |
Schweinefleisch neben drei Sorten von Würsten, und allein der Gedanke an | |
einen luftgetrockneten Schinken war strengstens verboten. Missmutig schob | |
sich die Schlange der Kunden an der Theke vorbei, hinter der eine lustlose | |
Verkäuferin die Fleischbollen in Papier einwickelte. | |
## Alle Saucen waren Mehlpampen | |
Mir war bis dahin der Sozialismus als Idee durchaus sympathisch gewesen. | |
Nach ein paar Tagen DDR war ich einigermaßen ernüchtert. Ich hatte gelernt, | |
was Sättigungsbeilagen sind, und konnte einen Stängel Petersilie mit einer | |
geviertelten Tomate am Tellerrand nun als „Vitamingarnitur“ identifizieren. | |
Ich hatte in meinem Leben noch nie so schlecht gegessen wie während jener | |
einwöchigen Rundreise durch das heutige Sachsen und Sachsen-Anhalt. Alle | |
Saucen waren Mehlpampen, jedes Gemüse totgekocht. Als Gewürz war mir außer | |
Salz, Pfeffer und hin und wieder Muskat nichts begegnet. Nur ein einziges | |
Mal schmeckte es mir in einem Restaurant, und das lag an der Stasi. | |
Die zwei jungen Männer in ihren schwarzen Kunstlederjacken, die mich in | |
einer Leipziger Wohnung unaufgefordert besuchten und mich zum Essen | |
einluden, mussten nicht sagen, woher sie kamen. Ich konnte es riechen. | |
Studenten seien sie, die mit Westdeutschen gerne Kontakt aufnehmen wollten. | |
Während sie ihren Quatsch erzählten, las ich die Speisekarte in einem | |
Restaurant der Leipziger Innenstadt und entschied mich für „Würzfleisch mit | |
Königin-Pastete“. | |
Während die beiden jungen Herren also vor sich hinbrummelten, wie wichtig | |
der Austausch zwischen Ost und West sei und dass ich doch in Zukunft | |
häufiger zum Gedankenaustausch in die DDR kommen solle, brachte der Kellner | |
die mit Käse überbackenen Blätterteigtaschen und einer hellen, fast weißen | |
Füllung. Sie bestand aus einer dicken Sauce, in der ich sehr fein | |
gewürfeltes, mageres Schweinefleisch entdeckte, auch Zwiebeln und sogar | |
eine Kaper. Das Würzfleisch war gut abgeschmeckt, vielleicht sogar mit ein | |
wenig Weißwein, dazu gab es Worcestersauce („Wuschtersoße“) aus der | |
Flasche, und ich nickte dem Kellner anerkennend zu, was meine Tischherren | |
als Zustimmung zu ihren Ausführungen missverstanden. | |
Nach dem Mittagessen verabschiedeten wir uns und ich versprach, bald | |
wiederzukommen. Fuhr aber in den darauffolgenden Jahren dann doch lieber in | |
die Toskana. | |
9 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Philipp Mausshardt | |
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