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# taz.de -- Skeptiker auf dem Vormarsch: Krieg gegen die Wissenschaft
> Die Antiaufklärung formiert sich und bedroht auch die Demokratie, warnt
> der Wissenschaftsjournalist Shawn Otto in den USA.
Bild: Klimaskeptiker streiten vehement ab, dass der Mensch schuld sei an dem Te…
Wissenschaft in den USA ist unter Beschuss, aber nicht nur dort. Das Lager
der Skeptiker wächst: von Kreationisten, die in der Schule die
Evolutionslehre durch den Schöpfungsbericht der Bibel ersetzen wollen, über
Impfgegner, die sich der Schulmedizin verweigern und damit Masern-Epidemien
in der breiten Bevölkerung auslösen, bis zu den Leugnern des vom Menschen
ausgelösten Klimawandels. Vor allem wollen die Wissenschaftsverweigerer
nicht länger passiv in ihrem Winkel der Ignoranz verharren, sondern aktiv
und aggressiv auf Forschung und Lehre Einfluss nehmen.
Der US-amerikanische Wissenschaftsjournalist Shawn Otto hat diese
Bewegungen der Gegenaufklärung jetzt in einem Buch zusammengefasst, dem er
den etwas martialischen Titel [1][„The War on Science“] (Krieg gegen die
Wissenschaft) gegeben hat. Was Otto alarmiert: „In den letzten 20 Jahren
ist die antiwissenschaftliche Haltung in der Politik völlig akzeptabel
geworden“.
Die Medien haben ihren Anteil an dieser Entwicklung. Gemäß der Tradition
des US-Journalismus, jede Position um eine Gegenrede anzureichern, werden
etwa die neuesten Befunde der Klimaforschung zur Erderwärmung immer mit der
Einlassung der Skeptiker garniert, dass überhaupt nichts bewiesen sei.
Wissenschaftliche Fakten werden so zu Meinungsäußerungen degradiert, die
man teilen könne oder nicht.
Auch der deutsche Wissenschaftler [2][Stefan Rahmstorf] vom
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hatte kürzlich auf der
Berliner Konferenz „Blackout Planet“ darauf hingewiesen, dass es zwar in
der Wissenschaft einen 97-prozentigen Konsens über die Realität des
Klimawandels gebe. „Aber die Öffentlichkeit ist darüber dramatisch falsch
informiert“, sagte Rahmstorf. Die meisten Mediennutzer seien der Meinung,
die Wissenschaftler wären in dieser Frage 50:50 gespalten. „Hier liegt ein
Medienversagen vor, wenn das beim Publikum so ankommt.“
Ähnlich verhält es sich mit anderen Themen, die Shawn Otto auflistet: von
den vermeintlichen Gehirntumoren durch Handystrahlung bis zur
Volksvergiftung durch Fluor im Trinkwasser. Je mehr Wissenschaft die
Gesellschaft durchdringt, desto stärker wird auch die Schar der Zweifler.
Eine Entwicklung, die Otto weltweit feststellt und die sich bisweilen sogar
in regierungsamtliches Handeln umsetzt, wie in Israel, wo Fluor im
Trinkwasser zur Kariesprophylaxe landesweit verboten ist. Für die
amerikanische Gesundheitsbehörde CDC dagegen ist der Fluor-Einsatz „einer
der größten Fortschritte im öffentlichen Gesundheitswesen im 20.
Jahrhundert“.
## Mit großem Kapitaleinsatz
Zweifel an der Wissenschaft werden von bestimmten Interessengruppen
systematisch und mit großem Kapitaleinsatz geschürt. Ein Markstein war 1962
das Buch der amerikanischen Umweltautorin [3][Rachel Carson], die in ihrem
Buch „Der stumme Frühling“ nachwies, wie das Insektizid DDT im Agrargürtel
der USA zu einem großen Artensterben führte.
„Das war die Geburtsstunde der Umweltforschung und der Umweltbewegung in
mehrfacher Weise“, stellt Otto fest. Die Chemiekonzerne konterten mit einer
massiven PR-Kampagne und versuchten, Carson und ihre wissenschaftlichen
Mitstreiter zu diskreditieren. „Diese Attacken haben viele Parallelen zu
den Angriffen auf die Klimaforscher heute“, sagt Otto, für den die Reaktion
auf Rachel Carsons Buch „den Beginn des modernen Kriegs gegen die
Wissenschaft“ darstellt.
Den Journalisten Shawn Otto treibt der Autoritätsverfall der Wissenschaften
gerade in seinem Heimatland, den USA, schon länger um. Regelmäßig startet
das von ihm initiierte Internetportal [4][„ScienceDebate“] zu den
Präsidentschaftswahlen eine Kampagne, bei der die Bürger Fragen mit
Wissenschaftsbezug an die Kandidaten richten können. Für ihn haben die
moderne Wissenschaft und die Demokratie in den Vereinigten Staaten die
gleiche Wurzel: die Abkehr von alten Autoritäten kirchlichen Glaubens und
monarchischer Macht, hin zu Aufklärung und demokratischer Selbstbestimmung
des Volkes.
Ottos Lieblingszitat stammt von Thomas Jefferson, Verfasser der
Unabhängigkeitserklärung der USA: „Nur wenn die Menschen gut informiert
sind, kann ihnen ihre eigene Regierung anvertraut werden.“ Mit wachsender
Wissenschaftsskepsis nehme auch die demokratische Orientierung Schaden.
„Wenn wir über die beste Politik nicht mehr auf der Basis von Wissen,
sondern von Dogmen und Glaubenssätzen debattieren“, so Otto, „dann kann das
die Demokratie in einen neuen Autoritarismus verwandeln“.
16 Aug 2016
## LINKS
[1] http://www.shawnotto.com/
[2] http://www.pik-potsdam.de/~stefan/
[3] http://www.rachelcarson.org/
[4] http://www.sciencedebate.org/
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
## TAGS
Ideologie
Masern
Wissenschaft
Überflutung
Wissenschaft
USA
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt Klimawandel
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