# taz.de -- Kommentar Österreich zu EU und Türkei: Schelte mit Hintergedanken | |
> Der österreichische Kanzler fordert den Abbruch der | |
> Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Das tut er aus einem ganz | |
> bestimmten Grund. | |
Bild: Der Vorstoß des Kanzlers wird in Österreich als Rechtsruck gedeutet. Ab… | |
Wenn Österreichs Kanzler Christian Kern (SPÖ) den Abbruch der | |
Beitrittsverhandlungen mit der Türkei fordert, dann spricht er lediglich | |
aus, was in der EU viele denken: Mit einem autoritär-islamistischen Staat | |
wird man schwerlich handelseinig werden. Noch ist die Aufnahme der jüngsten | |
13 Mitglieder nicht verdaut. Ein Koloss mit einem ethnischen Konflikt im | |
wenig entwickelten Osten und Tendenzen zum islamischen Gottesstaat würde | |
die Union in jeder Hinsicht überfordern. | |
Wenn der türkische Präsident Erdoğan nicht so wichtig für das | |
Flüchtlingsmanagement wäre, würde auch Brüssel deutlicher auftreten. Doch | |
die EU folgt den Regeln der Diplomatie. De facto liegen die Gespräche | |
allerdings schon lange auf Eis. Die Türkei bewegt sich eher von Europa weg. | |
Und Erdoğan macht den Eindruck, als wolle er sein Land nur in die EU | |
führen, um diese zu zerstören. | |
Kerns provokante Ansage ist aber in erster Linie innenpolitisch motiviert. | |
Der Kanzler, der aus der staatsnahen Wirtschaft kommt, ist zwar noch neu im | |
politischen Geschäft. Doch weiß auch er, dass die EU nicht so einfach einen | |
vor fünf Jahrzehnten eingeleiteten Prozess abwürgen kann. Die erwartbare | |
Schelte aus Brüssel nimmt er aber gern in Kauf, wenn ihm zu Hause Applaus | |
sicher ist. Auf die Frage der einflussreichen Kronen Zeitung, ob die | |
Regierungslinie gegenüber der Türkei zu hart sei, haben in einer | |
Online-Abstimmung 97,8 Prozent mit Nein geantwortet. | |
Am 2. Oktober wird in Österreich die Stichwahl um das Bundespräsidentenamt | |
wiederholt. Die SPÖ ist zwar nicht mehr direkt beteiligt. Doch ob sich, wie | |
in der vom Verfassungsgericht aufgehobenen Wahl vom 22. Mai, der Grüne | |
Alexander Van der Bellen durchsetzt oder der damals knapp geschlagene | |
Freiheitliche Norbert Hofer, ist für die Regierung alles andere als egal. | |
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache protzt mit Umfragewerten um die 35 Prozent | |
schon seit Monaten mit dem bevorstehenden Wahlsieg. Und Straches Mann in | |
der Hofburg würde eine Machtübernahme der Rechten noch beschleunigen. Der | |
Vorstoß des Kanzlers wird in Österreich als Rechtsruck gedeutet. Viel eher | |
aber sollte man ihn als den Versuch verstehen, das heikle Thema der | |
Abgrenzung zu Ankara nicht allein den Rechtspopulisten zu überlassen. | |
7 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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