# taz.de -- Kommentar Großdemo in der Türkei: Ein Scheinriese namens Erdoğan | |
> Bei der Massendemo in Istanbul hat sich Erdoğan als allmächtiger | |
> Präsident inszeniert. Doch der Schein trügt. Das Land ist in Aufruhr. | |
Bild: Tut nur, als befände er sich im Zenit seiner Macht: Tayyip Erdoğan | |
Es war die größte Massenkundgebung in der Geschichte der türkischen | |
Republik. Der türkische Staatspräsident Tayyip Erdoğan war Initiator der | |
„Kundgebung für die Demokratie und die Märtyrer“ – und [1][Millionen | |
folgten seinem Aufruf]. Der Putsch macht es möglich: Ein breiter Konsens, | |
der Oppositionsparteien mit einschließt, und der vor allem gegen jene | |
gerichtet ist, die mit einem Staatsstreich versuchten, die Türkei in den | |
Abgrund zu stürzen. | |
Tatsächlich genossen die Putschisten nicht den geringsten Rückhalt in der | |
Bevölkerung. Es war die Straße, die sich ihren Panzern in den Weg stellte. | |
Erdoğan will daraus Kapital schlagen. Bei der Kundgebung war viel von Gott, | |
der Nation und dem Vaterland die Rede. So erlangt Erdoğan unter dem Beifall | |
von Millionen die ideologische Hegemonie in der Nach-Putsch-Ära. | |
Doch der Schein könnte trügen. Die Gesellschaft ist in Aufruhr, der | |
Kompromiss mit den Oppositionsparteien brüchig. Keineswegs steht Erdoğan im | |
Zenit seiner Macht. Solange ein Frieden mit den Kurden nicht geschlossen | |
ist, wird die Türkei nicht zur Ruhe kommen. | |
Die linke, kurdische Partei HDP, die sich von der ersten Stunde an gegen | |
den Putsch stemmte, wurde erst gar nicht zur Kundgebung eingeladen. Die | |
Kurden sind außen vor – und auch die sozialdemokratisch-kemalistische CHP | |
ist nur geduldet. Wenn Oppositionsführer Kılıçdaroğlu (CHP) dann sein | |
„Nein“ zum Putsch, aber auch sein „Nein“ zur zivilen Diktatur verkünde… | |
Parlamentarismus, Rechtsstaatlichkeit und Laizismus hochhält, wie bei der | |
Kundgebung geschehen, sind Konflikte mit Erdoğan natürlich vorprogrammiert. | |
In den Tagen des Putsches vermochte Erdoğan Millionen zu mobilisieren, die | |
– zu Recht – Angst hatten vor der Militärdiktatur eines selbsternannten | |
islamistischen Sektenführers: Fethullah Gülen. Mit seinem flapsigen „Gott | |
vergib mir. Sie haben mich betrogen“ wird Erdoğan aber die politische | |
Verantwortung dafür, dass er einst selbst die Kader der Gülen-Sekte in den | |
Staatsapparat hievte, um Kurden, Oppositionelle und Linke zu verfolgen, | |
nicht los. | |
Erdoğan ist kein klandestiner Führer, sondern Politiker. Seine Zukunft | |
hängt an einem seidenen Faden, so wie die Tourismusbranche oder die | |
türkische Bauindustrie. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass | |
unruhige Zeiten bevorstehen. Doch entschieden ist noch gar nichts. | |
8 Aug 2016 | |
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## AUTOREN | |
Ömer Erzeren | |
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