| # taz.de -- Neuer Roman von Dietmar Dath: Gott und das Wetter | |
| > Fantasy gehört dazu: „Leider bin ich tot“, der jüngste Roman von Dietmar | |
| > Dath, sucht eine offene Form für Fragen des Religiösen. | |
| Bild: Kann das Wetter denken? Weiß es, wer wir sind? | |
| Glauben, im religiösen Sinn verstanden, gilt vielen Menschen als Krankheit. | |
| Die stets neuen gewalttätigen Exzesse von Glaubensfanatikern scheinen zu | |
| genügen, um diese Ansicht zu stützen. Bloß wird das Bedürfnis nach den | |
| sogenannten letzten Dingen mit dieser Pathologisierung – oder etwa mit der | |
| Charakterisierung als Volksdroge – nicht als solches desavouiert. Und schon | |
| gar nicht gehemmt. Was also tun mit Gott? | |
| Mit dem oder den höchsten Wesen hat sich der Schriftsteller Dietmar Dath | |
| bisher eher am Rande beschäftigt. In seinem jüngsten Roman „Leider bin ich | |
| tot“ ist dafür umso mehr von Gott die Rede. Als Figur in Erscheinung treten | |
| oder den anderen Protagonisten zur Seite stehen tut er aber nicht. | |
| „Leider bin ich tot“ ist vielmehr fantastische Literatur. Hier geht es um | |
| eine Welt, die großenteils der vertrauten entspricht. Allerdings gibt es in | |
| ihr mindestens ein Wesen, für das die Grenzen, die Menschen üblicherweise | |
| gesteckt sind, nicht gelten. Was die Menschen, die mit diesem „Dämon“ zu | |
| haben, mitunter sehr unangenehm zu spüren bekommen. | |
| Das Religiöse taucht schon rein formal als Gestaltungsmittel auf: Jedes | |
| Kapitel endet mit der Formel „Sela“, die bei Psalmen am Ende einer Strophe | |
| steht. Man könnte Daths Buch so gesehen als religiösen Gesang verstehen, | |
| mit dem Unterschied, dass darin kein Gott angepriesen wird. Vielmehr | |
| verschränkt Dath unterschiedliche Arten, sich zu etwas zu bekennen – vom | |
| „linken Projekt“ über den Panpsychismus, also die Idee, dass alle Dinge ein | |
| Bewusstsein haben, bis hin zum Glauben an die Kunst. | |
| Dath, der neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller im FAZ-Feuilleton als | |
| Filmredakteur arbeitet und diverse Sachbücher zu Themen wie Mathematik | |
| („Höhenrausch“) oder dem Verhältnis von Sozialismus und Automatisierung | |
| einerseits („Maschinenwinter“) und Fortschritt andererseits („Der Implex�… | |
| zusammen mit der Chemikerin Barbara Kirchner) geschrieben hat, bevorzugt in | |
| seinen Romanen seit jeher das Fantastische. Das liegt an der Zielsetzung | |
| seiner literarischen Entwürfe: Ihm geht es weniger um eine Abbildung der | |
| Wirklichkeit, wie sie ist, als um das Erkunden der Welt, wie sie sein | |
| könnte – oder sollte: Dath ist bekennender Marxist. | |
| ## Realitätsentwürfe erproben | |
| So finden sich unter Daths Büchern diverse Science-Fiction-Romane („Die | |
| Abschaffung der Arten“, „Pulsarnacht“, „Feldeváye“), die man insofer… | |
| utopisch bezeichnen könnte, als sie Realitätsentwürfe erproben, in denen | |
| andere biologische oder sexuelle Ordnungen herrschen. „Leider bin ich tot“ | |
| reiht sich in diese Dath-Tradition ein, auch wenn die Utopie hier | |
| vorwiegend abstrakt in den diskursiven Passagen angedeutet ist. | |
| Gemessen an Daths gern ins Verstiegene ausgreifender Prosa ist er im Ton | |
| diesmal erstaunlich konventionell. Viele Details werden zudem fast schon | |
| didaktisch explizit gemacht, was als Angebot an die Leser zu begrüßen ist. | |
| Andernfalls könnte man sich leicht in dem umfangreichen Personenkarussell | |
| verlieren, um das die Handlung erst locker, dann nach und nach immer | |
| dichter kreiselt. | |
| Da wären der Filmemacher Abel Reinhardt und seine Assistentin Cyan | |
| Cerulean, die im Verlauf des Buchs zunehmend zwielichtig erscheint. Des | |
| Weiteren Abels Schwester Nasrin, eine Naturwissenschaftlerin, die als | |
| mutmaßliche islamistische Terroristin gesucht wird, obwohl sie lediglich | |
| bekennende Muslima ist und sehr ungewöhnliche Wetterphänomene erforscht. | |
| ## Ein Journalist namens Dietmar Dath | |
| Des Weiteren treten auf: Abels Schulfreund Wolf Schulte, ein religiös | |
| verwirrter Pastor, der durch einen unglücklichen Umstand zum Totschläger | |
| wird, dessen Mitarbeiterin Anja Weirich, die unversehens Karriere in einer | |
| protestantischen Sekte macht, Tom Crissauer, ein Teenager mit | |
| Black-Metal-Ambitionen, seine mit esoterischen Fähigkeiten ausgestattete | |
| Freundin Nathalie Echle, ferner die Linksintellektuelle Anna Staiger, der | |
| britische Philosoph Galen Strawson und ein Journalist namens Dietmar Dath. | |
| Sie alle – und noch ein paar Figuren mehr – werden im Verlauf der Handlung | |
| Knotenpunkte in einem vielfältigen Beziehungsgeflecht, in dem es um Fragen | |
| geht wie die, ob das Wetter denken und womöglich menschliche Gedanken lesen | |
| kann. Oder was passiert, wenn Menschen, vereinfacht gesagt, Zeitreisen | |
| machen. Bei Dath wird in dem Fall der Zeitbegriff nebenbei als solcher | |
| komplett umgekrempelt. | |
| Daths Neigung zu gelegentlichem Dozieren kommt ebenfalls zum Tragen – so | |
| bei der Schilderung von Anna Staigers Stationen durch diverse linke | |
| Diskurse hindurch oder bei der Nacherzählung von Tom Crissauers | |
| Black-Metal-Sozialisierung, die sich schon mal in langweiligen Bandlisten | |
| ergeht. Erfreulicherweise sind diese Passagen in der Minderheit. | |
| ## Eine schmerzhafte Erfahrung | |
| Auch streut Dath diesmal nicht einfach ein paar physikalische oder | |
| topologische Begriffe ein, die dem Geschehen dann äußerlich bleiben, | |
| sondern buchstabiert recht anschaulich aus, wie es einem Menschen ergehen | |
| könnte, der sich unvermittelt in einem Raum mit mehr als den vertrauten | |
| Dimensionen wiederfindet. Eine schmerzhafte Erfahrung, scheint es. | |
| Bei aller Theorie, die im Buch stichpunktartig verhandelt und oft direkt | |
| zitiert wird – seien es Texte von Galen Strawson oder dem australischen | |
| Philosophen David Stove –, bedient Dath zugleich das Bedürfnis nach Action, | |
| und dem wird er insbesondere im bombastischen Finale gerecht. Ein schönes | |
| Beispiel dafür, dass „Thesenromane“ viel Blut enthalten können. | |
| 5 Aug 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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