# taz.de -- Berlins Wohnungsunternehmen: Verdrängung nach Maß | |
> Nach energetischer Sanierung und Fahrstuhleinbau sollen sich in der | |
> Raumerstraße 9 und der Schliemannstraße 36 die Mieten teilweise | |
> verdoppeln. | |
Bild: Ein schöner Wunsch… | |
Dies ist die Geschichte eines Vermieters, der seinen Mietern nichts | |
schenkt, sich dabei aber penibel an die Regeln hält. Und es ist die | |
Geschichte von Mieterinnen und Mietern, denen diese Regeln wenig helfen, | |
weil ihnen auch so teure Mieten und Verdrängung drohen. Es ist eine | |
Geschichte, die die Bewohner privater Miethäuser zur Genüge kennen. Doch | |
der Vermieter des Eckhauses Raumerstraße 9 und Schliemannstraße 36 in | |
Prenzlauer Berg, in dem diese Geschichte spielt, ist kein Privater, sondern | |
die Gewobag, eine landeseigene Berliner Wohnungsbaugesellschaft. | |
Angefangen hat die Geschichte im Februar, als den 26 Mietparteien eine | |
Modernisierungsankündigung ins Haus flatterte. Nach umfangreichen | |
Sanierungsarbeiten einschließlich Wärmedämmung und Einbau eines Fahrstuhls | |
sollen die Kaltmieten enorm steigen – teilweise bis zu 130 Prozent. | |
Thomas Engler, einer der Betroffenen, hat zusammen mit anderen Mietern eine | |
Liste zusammengestellt, auf der die angekündigten Erhöhungen der Kaltmiete | |
nachzulesen sind: zum Beispiel von 645,56 Euro für eine 112 Quadratmeter | |
große Wohnung auf 1.226,82 Euro; oder von 171,08 bei einer | |
54-Quadratmeter-Wohnung auf 428,40 Euro. „Natürlich sind das Steigerungen, | |
die von einem vergleichsweise niedrigen Niveau ausgehen“, sagt Engler, | |
„aber die meisten Mieter im Haus haben auch vergleichsweise wenig Geld.“ | |
Gerade um solche Mieterinnen und Mieter sollten sich eigentlich | |
landeseigene Wohnungsbaugesellschaften wie die Gewobag kümmern. Schon im | |
September 2012 hat der damalige Stadtentwicklungssenator und heutige | |
Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) mit der Gewobag, der Degewo, | |
der Gesobau, mit WBM, Stadt und Land und Howoge ein „Bündnis für soziale | |
Mieten“ geschlossen, das mit dem Inkrafttreten des | |
Wohnraumversorgungsgesetzes (siehe Kasten) am 1. Januar auch Gesetzeskraft | |
hat. Demnach dürfen die sechs landeseigenen Gesellschaften die Mieten nur | |
noch alle vier Jahre um 15 Prozent erhöhen. Außerdem werden 55 Prozent der | |
freien Wohnungen nur an Wohnungssuchende mit Wohnberechtigungsschein | |
vergeben. | |
## Gewobag bleibt hart | |
Auch für Modernisierungen, wie sie die Gewobag nun in der Raumer-/Ecke | |
Schliemannstraße plant, gibt es besondere Regelungen. So dürfen die | |
städtischen Gesellschaften nur 9 statt der sonst möglichen 11 Prozent der | |
Modernisierungskosten auf die Miete umlegen. Außerdem darf die Miete nach | |
Modernisierung nur um den Betrag über der ortsüblichen Vergleichsmiete | |
liegen, der nach Schätzung des Vermieters durch die Dämmung an | |
Betriebskosten eingespart wird. | |
Doch das reicht den Mietern in der Raumerstraße nicht. In einem | |
Forderungskatalog an die Gewobag haben sie acht Punkte aufgelistet, | |
darunter auch die Forderung nach einem Verzicht auf die Dämmung. Diese sei | |
mit 300 Euro pro Quadratmeter doppelt so teuer wie andere | |
Fassadendämmungen, heißt es. Darüber hinaus bezweifeln die Mieter die | |
Wirtschaftlichkeit der energetischen Sanierung. In einer Beispielrechnung | |
listen sie auf, dass für eine Wohnung mit 115 Quadratmetern die Heizkosten | |
von derzeit monatlich 89 Euro auf 115 Euro steigen würden. Hinzu kommt noch | |
die Umlage der Modernisierungskosten in Höhe von knapp 180 Euro. | |
Dass ein Verzicht auf eine Dämmung keine unrealistische Forderung ist, hat | |
die Knaackstraße 60–68 gezeigt. Auch dort wollte die Gewobag teuer | |
modernisieren. Nach einem Protestfrühstück der Mieter und einem Votum der | |
Bezirksverordnetenversammlung aber gab es den Rückzieher. | |
In der Raumerstraße aber will die Gewobag nicht klein beigeben. „Ein | |
Verzicht auf die Wärmedämmung ist bei der Liegenschaft Schliemannstraße | |
36/Raumerstraße 9 nicht geplant“, teilt Gewobag-Sprecherin Gabriele Mittag | |
der taz mit. Auch der Einbau eines Fahrstuhls stehe nicht zur Disposition, | |
obwohl dieser, wie die Gewobag einräumt, nicht barrierefrei ist – er hält | |
auf halber Treppe. Die Mieter hatten gefordert, dass, wenn überhaupt, die | |
Nutzer der Dachgeschosse, die die Gewobag ausbauen will, den Fahrstuhl | |
bezahlen sollen. | |
Inzwischen suchen die Betroffenen auch Beistand in der Politik. Am | |
vergangenen Mittwoch besuchte der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Mindrup | |
die Raumerstraße. „Das Ziel ist es, dass bei den landeseigenen | |
Gesellschaften auch nach einer Modernisierung niemand seine Wohnung | |
verlassen muss“, sagte Mindrup. „Eine Modernisierung sollte daher so | |
kosteneffizient wie möglich sein.“ Mindrup kündigte an, sich bei einem | |
Termin in dieser Woche bei der Gewobag persönlich für die Mieter beider | |
Häuser einsetzen zu wollen. | |
Auch der Linken-Politiker Michail Nelken will die Betroffenen unterstützen | |
– und die Geschichte zu einem guten Ende bringen. Nelken nimmt dabei auch | |
den Senat in die Pflicht. „Wenn sich die Gewobag an die Vorgaben hält, kann | |
das nur heißen, dass die Vorgaben schlecht sind“, so Nelken. | |
1 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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