# taz.de -- Kolumne Warum so ernst?: Die freche Fliege | |
> Wäre ich ein Insekt, würde ich, der Marginalisierung zum Trotz, die | |
> Kamera des Fotografen anpeilen und mich auf die Linse der Kamera setzen. | |
Bild: Ich bin eine blaue Fliege, die mit ihren Füßchen aufstampft | |
Wenn es so war, dass Gregor Samsa eines Tages aufgewacht ist | |
und sich als riesiges, im Bett liegendes Insekt wiedergefunden hat, | |
dann bin ich jetzt eine Fliege, eine vaterlose, auf sich gestellte Fliege. | |
Ich bin nämlich keine dieser feigen Stubenfliegen. | |
Ich bin eine blaue Fliege, die mit ihren Füßchen aufstampft, | |
sodass die libanesische Sängerin Fairouz singt: | |
„Das Stampfen eurer Füße am Boden ist laut.“ | |
Ich, | |
die Fliege, die den Bus verschlafen hat | |
und nicht zur Arbeit gegangen ist | |
und die, um das Türschloss zu ärgern, | |
nicht die Zimmertür öffnen, | |
sondern durch das Schlüsselloch hereinkommen wird. | |
Und dann gehe ich zum Waschbecken, | |
und ich werde nicht warten, bis die tägliche Wasserration vom Staat kommt, | |
die seit Tagen nicht mehr kam. | |
Ich werde den alten Fleck weg- und mein Gesicht reinwaschen | |
Die Handtücher im Hause rühre ich nicht an, | |
stattdessen werde ich zu unserer Nachbarin fliegen, | |
in ihr Schlafzimmer, | |
und da werde ich mir das Gesicht an ihrer Jeans abtrocknen. | |
Ich werde ihr einen Liebesbrief hinterlassen, | |
beispielsweise so: „Oh du Wundersame“, | |
und schließlich hinausfliegen. | |
Ich werde zu der Demo fliegen, | |
die aus der Moschee gekommen ist, | |
und mitdemonstrieren. | |
Ich werde sagen: „Ich bin der Demonstrant, dessen Stirn die Niederwerfung | |
nie gekostet hat.“ | |
Und der Marginalisierung zum Trotz, werde ich die Kamera des Fotografen | |
anpeilen und mich mitten auf die Linse setzen. | |
Niemand kommt mir gleich. | |
Ich werde die Lichter aller stehlen, | |
und wie ein Kind aus Manbidsch werde ich lächelnd die Hand im Siegeszeichen | |
heben | |
und mich still davonmachen. | |
Wohin? | |
Das weiß ich nicht. | |
Ich werde zum fahrenden Süßigkeitenverkäufer fliegen, | |
von dem ich normalerweise meine Süßigkeiten kaufe. | |
Ich werde sie mit Bakterien und Viren verseuchen, | |
und morgen, wenn ich wieder ein normaler Mensch bin, | |
gehe ich dann hin und kaufe sie. | |
Dann gehe ich nach Hause, | |
direkt in die Küche. | |
Meine Schwester schneidet gerade Zwiebeln auf dem Schneidebrett. | |
Ich lande auf ihr. | |
Das Messer gleicht einer Guillotine. | |
Wo es hinkommt, bleibt nur Zerstörung. | |
Plötzlich fällt der Strom aus. | |
Dunkelheit. | |
Ein Lichtstrahl von oben von der LED-Lampe des Feuerzeugs. | |
Ich reibe meine Flügel und verneige mich. | |
Die Massen applaudieren: „Bravo! Bravo! Bravo!“ | |
25 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Aboud Saeed | |
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