# taz.de -- Kolumne „Warum so ernst?“: Du bist doch jetzt Deutscher | |
> Ich bekomme diese Anrufe aus Syrien. Sie wollen, dass ich ihnen helfe. | |
> Sie haben den Unterschied zwischen Asyl und Staatsbürgerschaft nicht | |
> kapiert. | |
Bild: Diese beiden Frauen haben es bis ins türkische Flüchtlingslager Kilis g… | |
Eines Tages bekam ich einen Anruf von einem jungen Mann aus Syrien, der | |
sich bei mir nach den Studienbedingungen und den Lebenshaltungskosten in | |
Deutschland erkundigen wollte. „Es wäre prima, wenn du dabei mir helfen | |
könntest.“ | |
„Du, keine Ahnung! Ich glaub ich kann dir da gar nicht behilflich sein.“ | |
„Wie jetzt?! Du hast doch die deutsche Staatsbürgerschaft!“ | |
„Nein, hab ich nicht! Wie kommst du denn darauf?“ | |
„Na ja, ich war bei deinem Bruder in der Werkstatt in Manbidsch, der hat | |
mir gesagt: ‚Hier, das ist Abouds Nummer. Ruf ihn an. Was immer du aus | |
Deutschland brauchst, er kann es dir besorgen. Der hat doch jetzt die | |
deutsche Staatsbürgerschaft.‘ “ | |
## Bruder | |
Dann rief mich eine weitere Person aus Syrien an: „Bruder, kannst du uns | |
eine Einladung schicken?“ | |
„Sorry, aber das geht nicht. Ich meine, wie soll denn das gehen, dass ich | |
dir eine Einladung schicke?“ | |
„Du schickst mir einfach eine Einladung! Du bist doch jetzt Deutscher, du | |
hast doch jetzt die Staatsangehörigkeit, oder nicht?“ | |
„Nein, hab ich nicht! Wer hat dir das denn erzählt?“ | |
„Na ja, ich war bei deinem Bruder in der Werkstatt in Manbidsch, der hat | |
mir gesagt: ‚Hier, das ist Abouds Nummer. Ruf ihn an. Was auch immer du aus | |
Deutschland brauchst, er kann es für dich erledigen. Er hat doch jetzt die | |
deutsche Staatsbürgerschaft.‘ “ | |
Der letzte Anruf aus Syrien kam von einer verwitweten Frau mit sechs | |
Kindern: | |
## Schlingel | |
„Hallo Aboud! Na, wiegeht’s? Wieläuft’s bei deiner Arbeit? Alles gut?“ | |
„Danke, ja. Alles okay hier, Gott sei Dank!“ | |
„Und? Hast du jetzt schon eine Deutsche geheiratet, oder noch nicht, du | |
Schlingel?“ | |
„Wie kommst du denn darauf? Hahahahahaha! Ich hab doch nicht geheiratet!“ | |
„Okay, Bruder, könntest du mir vielleicht einen – rein formellen – | |
Ehevertrag schicken? Du weißt schon, zur Familienzusammenführung? Damit ich | |
mit meinen Kindern schnell nach Deutschland kann.“ | |
„Einen Ehevertrag? Für wen denn? Wozu? Wie in Gottes Namen soll ich dir | |
einen Ehevertrag schicken? Auf welcher Grundlage denn?“ | |
„Aha, ich verstehe. Seit du Deutscher geworden bist, kann man mit dir also | |
nicht mehr reden.“ | |
„Hahahahahahahaha! Nein, ernsthaft! Ich frag dich das wirklich!“ | |
„Bruder. Du hast doch jetzt die deutsche Staatsbürgerschaft … Keine Angst, | |
sobald wir in Deutschland angekommen sind, lassen wir uns wieder scheiden.“ | |
„Ich schwöre dir, gute Frau, ich habe keine deutsche Staatsbürgerschaft! | |
Wer hat dir das denn erzählt?“ | |
„Na ja, ich war bei deinem Bruder zu Hause, und der hat mir gesagt: ‚Hier, | |
das ist Abouds Nummer. Ruf ihn an. Was auch immer du aus Deutschland | |
brauchst, er kann es dir besorgen. Er hat doch jetzt die deutsche | |
Staatsbürgerschaft.‘“ | |
Ich bekomme immer noch diese Anrufe aus Syrien. Mein Bruder, der Ärmste. | |
Denkt Asyl und Staatsbürgerschaft sind dasselbe. | |
11 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Aboud Saeed | |
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