# taz.de -- Kolumne „Warum so ernst?“: Deutschlands letzte Könige | |
> Gegenüber allem soll man hierzulande Position beziehen, von der Ampel bis | |
> zur leeren Zigarettenschachtel. Auch wenn man aus Syrien stammt. | |
Bild: Und jetzt soll ich nachdenken, wenn ich eine leere Zigarettenschachtel we… | |
Nichts, worüber man hier schreiben könnte. | |
Die U-Bahn und die Bar | |
Die Frau | |
Jene gleiche Frau, die alle Dichter und Schriftsteller seit jeher verwenden | |
Die selbe Frau | |
die von einem Gedicht zum nächsten springt, von einem Text zum nächsten | |
Jeder benutzt sie, wie die Revolution | |
/ | |
Nichts, worüber man schreiben könnte. | |
Einsamkeit und Fremdsein | |
und gegenüber allem soll man Position beziehen, | |
von der Verkehrsampel | |
zur leeren Zigarettenschachtel, die man wegkickt. | |
Stell dir vor: ich habe mein ganzes Leben weggekickt, und nicht mal drüber | |
nachgedacht | |
Und jetzt soll ich nachdenken, wenn ich | |
eine leere Zigarettenschachtel wegkicke. | |
Stell dir die ganzen Entfernungen vor, die ich gelaufen bin, keuchend, | |
ohne vorwärts zu kommen. | |
Stell dir die ganzen Köpfe vor, die in meiner Heimat abgeschnitten werden. | |
Und ich soll hier nachdenken | |
über drei Meter, die ich laufe. | |
Erblinden müsste man. | |
Keine Ampeln für Blinde. | |
Und natürlich muss jetzt nach all dem | |
auch noch meine Heimat dran kommen. | |
Guter Gott, meine Heimat! | |
Wie schön und wertvoll und wichtig du doch bist | |
in den Büchern und Gedichten von Schriftstellern und Dichtern. | |
Meine Heimat; | |
du bist wie Israel in den Propagandabüchern der Baath-Partei: | |
Ein Riiiiiiiiiiesenthema! | |
Warum muss ich über meine Heimat schreiben? | |
Seit vier Jahren | |
hat man überhaupt erst angefangen dich zu kennen, meine Heimat. | |
Mit dem Paradies hat man dich verglichen | |
und mit einer Regenwolke. | |
Man hat gesagt, du seist das Blut von Millionen wert | |
Und man sagte, am Ende | |
wüsstest du deine Söhne schon auszuwählen. | |
Und, dass du das Verborgene kennst | |
und zur Tugend ermunterst und das Laster verbietest. | |
Sie sagten, du würdest siegen. | |
Leergemolken hat man dich, meine Heimat | |
Ich habe nie viel für dich empfunden | |
Und immer, wenn ich mich jetzt an dich erinnere | |
muss ich an Ban Ki Moon denken. | |
Meine Heimat: Du bist die absolute Teilnahmslosigkeit. | |
Aber wenn es denn unbedingt sein muss, | |
dass ich über meine Heimat schreibe, | |
dann sage ich: | |
Meine Mutter, das ist meine Heimat | |
/ | |
Und da fragen meine Cousins meine Mutter am Telefon: | |
- Na, wie läuft es mit Abouds Arbeit in Deutschland? | |
- Aboud? Gottseidank, er hat Arbeit. Läuft alles gut, Gottseidank. Wir | |
haben eine vollautomatische Waschmaschine gekauft, und den Mädels hat er | |
Internet besorgt. | |
Dem Sohn von Mohammad haben wir auf Abouds Kosten eine Hernie wegoperiert. | |
Und wenn wir Glück haben, legt Aboud noch was drauf, und dann können wir | |
Vorhänge kaufen. Gottseidank, er arbeitet. Läuft gut bei ihm. Er sitzt | |
immerzu und schreibt. | |
/ | |
Ich liebe dich, oh Realität, und ich träume davon, so zu werden, wie du. | |
Damit ich Konzepten, Ideen, Prinzipien, Träumen | |
und Freunden zusehen kann | |
wie sie vor meinen Augen untergehen. | |
23 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Aboud Saeed | |
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