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# taz.de -- Kolumne „Warum so ernst?“: Deswegen finden Sie mich toll
> Wenn ich ihr wäre, hätte ich mich längst mit Schuhen und Kartoffeln
> beworfen. Kein Witz. Ich bin ein Verrückter, der ruft: „Ich bin ein
> Dichter!“
Bild: „Ich, der auf Blechplatten zu schlafen pflegte, bin jetzt so zerbrechli…
Barfuß, während mein unreines Blut brodelt und der Wurm sich in mein Herz
frisst, werde ich rennen. Ich allein weiß, dass ich feige bin. Ich weiß,
die Rechnung wird teuer. Und vielleicht wache ich morgen ohne Freunde auf.
Warum auch nicht. Freunde sind ein lächerliches Publikum.
Ich bin eine Maus. Lasst mich nicht entwischen! Sucht nach mir in den
Müllhaufen des Säkularismus und in Möchtegern-Lyrik-Texten. Auf
Flüchtlingssymposien findet ihr mich zwischen dem Wort „Terrorismus“ und
dem Knie einer Blondine.
Fasst mich! Ich werde mich zwischen euren Unterlagen verstecken, auf den
Seiten, an die ihr nicht gedacht habt. Auf der Demo werde ich mich als
Popcorn-Verkäufer tarnen. In den Flüchtlingslagern verstecke ich mich
zwischen den Safttüten, genau genommen unter dem Logo der UNO, und in der
Fremde verstecke ich mich hinter der Heimat. Ich packe sie von hinten und
presse sie fest an mich. Fester...! Oh, meine Heimat! Ja, fester! Bis ich
komme.
Wer bin ich jetzt? Vermutlich niemand. Die Härte, die ich in der
Metallwerkstatt angenommen hatte, wurde von Frauengeplauder gezähmt. Die
Rauheit meiner Hände haben die Cremes der Kultur geglättet. Die Schwärze
unter meinen Augen hat das Weiß des Papiers vertilgt. Mein Gestank wurde im
Namen der Deos vernichtet.
Ich bin niemand, ein Verrückter, der ruft: „Ich bin ein Dichter! Der Tod,
der Hunger, die Kälte, das Vertriebensein gehen mich nichts an, ich bin ein
Dichter! Hahahahahahahaha!“
Wenn ich ihr wäre, hätte ich mich längst mit Schuhen und Kartoffeln
beworfen. Ich mache keine Witze. Ich hätte mit der Metallsäge oder dem
Bohrer schreiben sollen. Ich hätte die Wörter mit dem Hammer zermalmen und
mich selbst mit Schraube und Mutter an der Revolution festschrauben sollen,
und nicht vor den Löchern fliehen, und anschließend behaupten, ich sei ein
Dichter.
Ich bin ein Schmied, den man betrogen hat, indem man ihm eingeredet hat, er
sei Schriftsteller. Ich, der auf Blechplatten zu schlafen pflegte, bin
jetzt so zerbrechlich wie ein Luftballon. Jawohl, ein Luftballon. Meine
Dame, wissen Sie, dass meine Komplexe immer mehr und immer unverschämter
geworden sind? Deswegen finden Sie mich ja so toll.
Einmal hat meine Mutter eine Dichterin gesehen, die hübsch und sexy war. Da
sagte sie: „Das ist ja merkwürdig.“ Sie schreien: Talent, Talent, Talent!
Und ich sage: Komplexe, Komplexe, Komplexe!
Ich habe die Ehre, als Schriftsteller verkackt zu haben. Meine mittelmäßige
Sprache erfüllt mich mit Stolz. Meine liebe Dichterin, die Tatsache, dass
Ihnen mein Vorlesen nicht zusagt, ist mir eine Medaille auf der Brust.
Meiner Brust, die nicht entblößt gegen die Schusspatronen stand.
Meine feige Brust, die sich hinter meinen Texten versteckt. Meine von
Tabakrauch und Ohnmacht verstopfte Brust, der ein Hemd fehlt, das ich
aufknöpfen und damit herumlaufen könnte wie ein Obdachloser, wie ein
Schmied, der das Eisen in der Hitze schlägt. Und nicht ein Dichter, der
behauptet, weise zu sein.
Ich bin fremd, Mama.
Ich will zurück zum Eisen und zu meinen Brüdern.
29 Feb 2016
## AUTOREN
Aboud Saeed
## TAGS
Revolution
Schwerpunkt Syrien
Dichter
Warum so ernst?
Fliege
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Gedicht
Syrien Bürgerkrieg
Literatur
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