# taz.de -- Kolumne Warum so ernst?: Eine humanitäre Liebesgeschichte | |
> Sie hat das Geld, sie hat den Schlüssel, im Bett stöhnt sie deutsche | |
> Wörter, die ich nicht verstehe. Aber so ist es eben in Deutschland. | |
Bild: Eigentlich bräuchte jeder Flüchtling eine nette, blonde Freundin: wie M… | |
Mit der deutschen Blondine, mit der ich zusammenlebe, meiner Freundin, rede | |
ich mal als Flüchtling, mal als ihr Boyfriend. | |
Der Lebensmittelhändler, der Schawarma-Mann, der Beamte für | |
Flüchtlingsangelegenheiten, der Polizist, der jeden Tag auf der Kreuzung | |
steht, die Krankenschwester und unsere Freunde, alle blicken uns neidisch | |
hinterher. Ich höre sie murmeln: „Krass! Die beiden trennt auch wirklich | |
nichts.“ | |
Wenn wir die Straße überqueren, ist sie diejenige, die sagt: „Los.“ | |
„Stopp.“ „Mach schneller!“ „Komm schon!“ Deshalb laufe ich immer zw… | |
hinter ihr. | |
Die Wohnungsschlüssel und das Geld hat sie, deshalb stehe ich immer draußen | |
halb erfroren in der Kälte herum, wenn sie Zigaretten und Bier kauft. | |
Sie ist es, die festlegt, wann wir aufstehen, wann wir zu Bett gehen und | |
wann wir träumen. | |
Im Bett stöhnt sie deutsche Wörter, die ich nicht verstehe. Oder falsch | |
verstehe. | |
Sie ist es, die ans Telefon geht, und manchmal geht sie mit dem Telefon in | |
die Küche und telefoniert lange, unterbrochen von lautem Gelächter. Wenn | |
ich sie frage, wer dran ist, sagt sie: „Das Jobcenter.“ „Die Bank.“ „… | |
Arzt.“ Oder „die Krankenversicherung“. Dann kratze ich mich am Kopf und | |
erzähle meinen Freunden in Manbidsch, dass die Bank in Deutschland etwas | |
Urkomisches ist. | |
Alle Männer lächeln sie an, ich lächele zurück. Wenn sie niest, sage ich: | |
„Gesundheit!“ | |
Wenn sie geistesabwesend wirkt, sage ich: „Das ist ihr gutes Recht. Diese | |
Deutschen müssen über wichtige Dinge nachdenken, die ich nicht verstehe.“ | |
Und wenn sie anderen meine Worte übersetzt, ändert sie sie ab und sagt | |
statt Revolution „Krieg“ statt Niederlage „Versuch“, statt Verrat | |
„Missunderstanding“, statt Bedürfnis „Lust“, und der Kriminelle heißt… | |
ihr einfach nur „der Diktator“. Ach, sie weiß ja sowieso viel besser, was | |
das alles bedeutet! | |
Sie ist über vierzig, aber die Liebe ist ja blind. Und nicht nur die Liebe | |
ist blind: die Menschlichkeit ist es allemal. Deshalb haben sich auch so | |
viele meiner Freunde, Flüchtlinge wie meinereiner, in blonde Frauen über | |
vierzig verliebt. | |
Zitternd vor Kälte stehe ich auf dem Balkon. Ich rauche eine Zigarette. In | |
der Wohnung ist rauchen verboten. Sie weiß um die Schädlichkeit des | |
Rauchens und engagiert sich für alle unterdrückten Völker, für die Elenden | |
und Vertriebenen, für die Kinder des Senegals und für mich. | |
Auf dem Balkon ist es kalt, aber die Liebe ist blind, obwohl sie eine | |
Brille mit dicken Gläsern trägt. Sie hat sich in mich verliebt. Wie sie | |
mich inmitten all der anderen Flüchtlinge überhaupt sehen konnte? Ich weiß | |
es nicht. | |
Die Liebe ist blind, aber ich glaube, mit ihrer Brille kann sie scharf | |
sehen. | |
Wenn ich mit meiner Mutter über Skype spreche und sie in meiner Nähe ist, | |
schalte ich die Kamera ein, damit meine Mutter sie sieht. Dann wird der | |
Bildschirm ganz gelb von ihrem Blond. Dann fragt meine Mutter mich nach | |
ihrem Alter, und ich sage: einunddreißig. Meine Mutter glaubt es. | |
Den Deutschen sieht man ja ihr Alter auch nicht an. | |
Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl | |
7 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Aboud Saeed | |
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