Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Klimaschutz in Deutschland: Weltmeister in der PR
> Während die Anforderungen aus Brüssel höher werden, wächst in der
> Bundesregierung der Widerstand. Dafür wird die Wirklichkeit schöngelogen.
Bild: Massentierhaltung ist auch fürs Klima eine Sauerei – doch die Bundesre…
Bisher konnte Deutschland immer recht entspannt bleiben, wenn in Brüssel
über Klimaschutz gesprochen wurde. Die Vorgaben der EU, wie stark der
Ausstoß von Treibhausgasen reduziert werden muss, wurden hierzulande stets
erreicht – vor allem wegen des schnellen Ausbaus der erneuerbaren Energien
im Stromsektor in Form von Windrädern, Solarzellen und Biomassekraftwerken.
Doch diese entspannten Zeiten sind vorbei. Die neuen Klimaschutz-Pläne, die
die EU-Kommission am Mittwoch vorgestellt hat, sind für Deutschland eine
echte Herausforderung. Denn sie beziehen sich nicht nur auf den
Stromsektor, sondern vor allem auf Verkehr, Landwirtschaft und
Gebäudeheizungen. Wenn Rat und EU-Parlament den Vorschlag unverändert
billigen, muss Deutschland bis zum Jahr 2030 seine Emissionen in diesen
Bereichen im Vergleich zu 2005 um 38 Prozent senken.
Wie schwierig das wird, zeigt die bisherige Bilanz: Bei den Gebäuden wurde
zwar durch bessere Dämmung, effizientere Heizungen und zunehmende Nutzung
von Solarthermie und Pellets durchaus etwas erreicht. Doch der CO2-Ausstoß
im Verkehr und in der Landwirtschaft ist nach einer Phase der Stagnation
zuletzt sogar gestiegen. 2015 lag der Wert in beiden Sektoren wieder über
dem von 2005.
## Weniger Fleischkonsum
Erreichbar wären die Ziele nur mit weitreichenden Veränderungen: Die
Landwirtschaft müsste das klimaschädliche Düngen mit Nitrat und Gülle stark
reduzieren; Tierhaltung und Fleischkonsum müssten ebenfalls abnehmen. Die
Trockenlegung von Mooren und die Umwandlung von Grünland in Ackerfläche
müsste gestoppt werden – was den Bauernverband schon vorsorglich auf die
Barrikaden bringt. Dieser warnt bereits jetzt vor massiven
Arbeitsplatzverlusten.
Im Verkehrsbereich sind die notwendigen Einsparungen nur zu schaffen, wenn
der Autoverkehr einerseits zurückgeht und andererseits auf Elektromotoren
umgestellt wird, die mit Ökostrom angetrieben werden. Der Gütertransport
muss vermehrt auf die Schiene verlagert werden, der Flugverkehr reduziert
und langfristig ebenfalls auf alternative Antriebe umgestellt werden.
Doch während die Herausforderungen größer werden und den vollen Einsatz
aller Ministerien erfordern würden, nimmt in der Großen Koalition zugleich
der Widerstand gegen die Energiewende zu. Vor allem von den
Wirtschaftspolitikern, deren Einfluss erheblich zugenommen hat, seit die
Federführung für die Energiewende zu Beginn der Legislaturperiode vom
Umweltministerium ins Wirtschaftsministerium gewandert ist.
Der Wirtschaftsflügel der Union greift das Projekt, hinter dem offiziell
die ganze Bundesregierung steht, immer aggressiver an. Notwendig sei „eine
Wende in der Energiewende“, forderte kürzlich Johannes Lambertz,
Vorsitzender der Bundesfachkommission Energie des CDU-Wirtschaftsrats und
zugleich Manager beim Stromkonzern RWE. Auch den von der Regierung
gefeierten Klimavertrag von Paris lehnte Lambertz offen ab: „Wir müssen
analysieren, was der Vertrag eigentlich bedeutet, dann schmilzt die
Zustimmung wie Schnee in der Sonne.“
## Union sieht „Klima-Planwirtschaft“
Auch in der Unionsfraktion im Bundestag wird der Ton schärfer: Als das
Bundesumweltministerium kürzlich einen Entwurf für den „Klimaschutzplan
2050“ vorlegte, der erstmals konkrete langfristige Einsparziele und die
dafür notwendigen Schritte benannte, schrieben vier stellvertretende
Fraktionsvorsitzende, darunter die energiepolitischen Hardliner Georg
Nüßlein und Michael Fuchs, einen wütenden Brief an Kanzleramtsminister
Peter Altmaier. Das Vorhaben führe zu „Klima-Planwirtschaft“, heißt es in
diesem Brief, der der taz vorliegt. Die Verfasser schimpfen über
„restriktive Rahmenbedingungen“ und „ideologische Bevormundung“ und mel…
„grundsätzliche Bedenken“ an, denn Klimaschutz sei „kein Staatsprinzip�…
Die SPD-Wirtschaftspolitiker, so scheint es, passen sich dieser Tonlage
zunehmend an. „Wir dürfen nicht überdrehen“, sagt etwa Bernd Westphal,
Sprecher der Arbeitsgruppe Wirtschaft und Energie der
SPD-Bundestagsfraktion, in einem Interview zur Energiewende – und warnt
davor, die „Industrie ins Ausland zu treiben“. Und auch Parteichef Sigmar
Gabriel bemüht sich in seiner Rolle als Bundeswirtschaftsminister, der
Union und der Industrie möglichst wenig Angriffsfläche zu liefern, indem er
viele ihrer Forderungen übernimmt.
## Übrig bleibt heiße Luft
Aus dem zunächst durchaus ambitionierten Klimaschutzplan der
Bundesumweltministerin, seiner Parteifreundin Barbara Hendricks, hat
Gabriel darum schon vor der Abstimmung mit der Unionsseite so viele
entscheidende Punkte gelöscht, dass nach Ansicht der Grünen „nur noch heiße
Luft“ übrig blieb.
Die Forderung nach einem „rechtsverbindlichen Gesamtziel“ für die
Emissionen im Landwirtschafts- und Verkehrssektor fiel der Überarbeitung
ebenso zum Opfer wie eine Zeitangabe zum Ausstieg aus der Kohlenutzung
(„deutlich vor 2050“) oder das Ziel, den Fleischkonsum bis 2050 mindestens
zu halbieren. Auch eine Tabelle, die genaue Zwischenziele für alle Sektoren
benennt, fehlt im überarbeiteten Entwurf.
Neu aufgenommen wurde auf Druck von Gabriels Ministerium hingegen die
Aussage, dass der „Dieselantrieb weiterhin einen wichtigen Beitrag zur
Erreichung der CO2-Ziele“ leisten soll, und die Vorgabe, dass die
„Freiwilligkeit von Maßnahmen“ Vorrang vor „Reglementierung“ habe.
In seinen öffentlichen Äußerungen steht Gabriels Ministerium dagegen weiter
hinter der Energiewende – und sonnt sich in der Rolle als vermeintlicher
Klima-Weltmeister. Schließlich seien die deutschen Emissionen von 1990 bis
2012 um 26 Prozent zurückgegangen. „Kein anderer EU-Mitgliedstaat und auch
sonst kein größerer Industriestaat hat eine vergleichbare
Minderungsleistung erbracht“, behauptete das Ministerium in dieser Woche in
der Antwort auf eine taz-Anfrage.
## Falsche Aussagen, keine Belege
Mit der Realität hat diese Aussage allerdings nichts zu tun. Wie [1][ein
Blick auf die Seite des UN-Klimasekretariats (.pdf)] oder [2][der
europäischen Statistikbehörde] zeigt, haben nicht nur viele osteuropäische
EU-Mitglieder wie Polen, Tschechien oder Bulgarien ihre Emissionen seit
1990 weitaus stärker verringert als Deutschland – bei diesen fiel der
Zusammenbruch der Wirtschaft nach dem Ende des Ostblocks sogar noch stärker
ins Gewicht. Mit Großbritannien hat auch ein großes, westliches
Industrieland mit einem Rückgang um 28 Prozent von 1990 bis 2013 einen
besseren Wert als Deutschland erreicht.
Und was sagt das Wirtschaftsministerium zu diesem offensichtlichen
Widerspruch zwischen der eigenen Darstellung und der Wirklichkeit? Nicht
viel: „Wir halten an unserer Aussage fest“, teilt eine Sprecherin mit. Die
Frage nach einem Beleg bleibt konsequenterweise unbeantwortet. Zumindest an
der PR wird also nicht gerüttelt.
Update: Ein paar Tage nach der Veröffentlichung dieses Textes hat das
Wirtschaftsministerium die Realität schließlich doch noch zur Kenntnis
genommen und die eigene Aussage korrigiert. „Insofern ist es richtig, dass
auch andere EU-Staaten eine vergleichbare Minderungsleistung erreichen“,
schreibt die Pressestelle nun. Eine Erklärung oder Entschuldigung für den
Fehler gibt es nicht.
24 Jul 2016
## LINKS
[1] http://unfccc.int/resource/docs/2015/sbi/eng/21.pdf
[2] http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:Total_gree…
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
## TAGS
EU
Landwirtschaft
Schwerpunkt Klimawandel
Verkehr
Wirtschaftsministerium
PR
Peru
Schwerpunkt Klimawandel
Greenpeace
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Erneuerbare Energien
Kohleausstieg
Erneuerbare Energien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bauer aus Peru verklagt RWE: Señor Luciano kämpft um sein Haus
Ist ein einzelner Konzern für ein kollektives Problem haftbar? Ein
peruanischer Kleinbauer klagt mit Hilfe von Germanwatch gegen die deutsche
RWE.
Boykott „Klimaschutzplan 2050“: Keine Lust auf Beruhigungspille
Große Umweltverbände boykottieren die Anhörung zum abgeschwächten
„Klimaschutzplan 2050“. Das Umweltministerium hat Verständnis.
Klimaplan der Bundesregierung für 2050: X Ansagen ausgeixt
Die Regierung verwässert den Klimaplan immer weiter. Konkrete Daten für
Ökoenergie, Verkehr oder Landwirtschaft wurden gestrichen.
Klimaschutzpläne der Regierung: Ab 2050 nur noch Ökostrom
Bis 2050 soll es nach Willen der Regierung nur noch Strom aus erneuerbaren
Quellen und E-Autos geben. Für den Kohleausstieg gibt es kein Datum.
Appell für Klimaschutz: 40 Organisationen wollen mehr
Germanwatch, Greenpeace, BUND, Nabu und viele mehr fordern zu Kohleausstieg
und Energiesparen auf. Bisherige Pläne gehen dem Bündnis nicht weit genug.
Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad: Drastische Mittel für Klimaziel nötig
Kohleausstieg bis 2025, 100 Prozent Ökoenergie bis 2035 – das bedeutet das
Klimaziel des Pariser Gipfels für Deutschland konkret.
Vorschlag zum Ausstieg aus der Kohle: Ofen aus und alle glücklich
Die Denkfabrik „Agora Energiewende“ schlägt einen Kohleausstieg im Konsens
vor: Bis 2040 soll Schluss sein, dafür gibt es Planungssicherheit.
Umweltstaatssekretär über Klimaziele: „Wir brauchen Erneuerbare schneller“
Deutschland muss ran an den Kohleausstieg, sagt Jochen Flasbarth. Gespräch
über die Zögerlichkeit anderer Ministerien und die Achillesferse der
Klimapolitik.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.