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# taz.de -- Einen Monat nach dem Ertrinken dreier Flüchtlinge: „Die haben ei…
> In Hamburg gibt es viel zu wenig Schwimmkurse – auch weil die städtischen
> Schwimmbäder keine Wasserflächen dafür freiräumen.
Bild: Trauriges Geschäft: Feuerwehr birgt Ertrunkenen.
HAMBURG taz | Ahmad Soliman lässt den Blick über die Alster schweifen.
Langsam geht er den regennassen Holzsteg entlang, er will ganz nah ans
Wasser heran. Dann bleibt der 22-Jährige stehen, stemmt beide Arme in die
Hüften und lächelt. „Hier am Ufer sitze ich gerne. Ganz allein, das ist so
beruhigend“, sagt er. Vor allem abends in der Dämmerung lässt Ahmad hier am
Jungfernstieg die Beine baumeln und hört Musik. Mit Kopfhörern, damit der
Straßenlärm verstummt.
Seit zwei Jahren lebt der junge Syrer in Deutschland. Wenn Ahmad heute
gefragt wird, wie ihm die neue Heimat gefalle, verzieht sich sein Gesicht
zu einem breiten Grinsen. „Hamburg ist wunderschön. Alles ist grün, es gibt
so viel Natur“, sagt er. Zu Hause, in seiner syrischen Heimatstadt Aleppo,
sei das anders gewesen. Der größte Unterschied zwischen beiden Metropolen:
das Wasser. Elbe und Alster, die vielen Kanäle, die umliegenden Seen: „Das
hat mich nach meiner Ankunft total überrascht, so viel Wasser mitten in der
Stadt war mir fremd.“
Zuhause war die fehlende Nähe zum Wasser für Ahmed Normalität. Kein
spontaner Ausflug an den Badesee, Urlaube am Meer waren selten.
Schwimmunterricht in der Schule gab es nicht. Also hat Ahmad sich selbst
das Schwimmen beigebracht, im Meer vor der syrischen Hafenstadt Latakia.
„Einen Lehrer brauchte ich nicht, das war gar nicht schwer“, sagt Ahmad.
Der junge Mann zuckt mit den Schultern, lächelt entschuldigend. „Es gab
zwar Vereine, die Schwimmkurse außerhalb der Schule angeboten haben, die
kosteten aber Geld. Und weil es sowieso wenig Bademöglichkeiten gab, nehmen
eben nicht alle Familien so ein Angebot in Anspruch.“
An einem warmen Wochenende Anfang Juni kam es zu tragischen Badeunfällen in
Hamburg: Ein 27-Jähriger aus Eritrea wurde auf der Elbe von einem Sportboot
überfahren, zwei Flüchtlinge ertranken im Allermöher See. Beide waren 17
Jahre alt, sie kamen unbegleitet nach Deutschland und waren in
Flüchtlingsunterkünften untergebracht. Die Fälle sorgten für Aufregung und
werfen immer noch Fragen auf: Können viele Flüchtlinge wirklich nicht
schwimmen? Und: Wie können solche tödlichen Unfälle in Zukunft vermieden
werden?
Der Versuch, die Anzahl der Nichtschwimmer unter den Flüchtlingen
statistisch zu belegen, läuft ins Leere: Seepferdchen oder ähnliche
Schwimmabzeichen wurden bei der Registrierung der Flüchtlinge eben nicht
abgefragt. „Im Herbst ging es nur darum, die vielen Menschen mit dem
Nötigsten zu versorgen. An den nächsten Sommer hat doch niemand gedacht“,
sagt Monika Tetzlaff, Sprecherin von „Sicheres Wasser“. Der Verein
übernimmt die Badeaufsicht am Allermöher See.
Zur Rettung der jungen Flüchtlinge kamen die ehrenamtlicher Helfer zu spät,
jetzt setzen sie auf Prävention: Seit Anfang Juni organisiert „Sicheres
Wasser“ Rundgänge mit Flüchtlingen am Badesee, Freiwillige erklären
Baderegeln („nicht mit vollem Magen schwimmen!“) und weisen auf die
Eigenheiten des Gewässers hin. „Wir zeigen, wo der Nichtschwimmerbereich
endet und wo das Wasser plötzlich tiefer wird“, sagt Tetzlaff. Den beiden
ertrunkenen Flüchtlingen sei vermutlich eine scharfe Abbruchkante im See
zum Verhängnis geworden. Dahinter falle der Boden des Sees stark ab.
Die Rundgänge am See stießen bei Geflüchteten auf großes Interesse, sagt
Tetzlaff. Doch ob eine einfach Schulung in Sachen Baderegeln ausreiche, sei
fraglich. Auf Nachfrage erkläre ein Großteil der Teilnehmer stets, nicht
schwimmen zu können – doch klassischen Schwimmunterricht bietet der Verein
gar nicht an. „Das können wir mit unserem Personal nicht leisten“, sagt die
Vereinssprecherin. Immerhin soll bald ein erster Schwimmkurs für Kinder
starten, der auch geflüchteten Kindern offensteht.
Als zusätzliche Präventionsmaßnahme hat das Bezirksamt Bergedorf
inzwischen vier Warn-Schilder am Ufer des Allermöher Sees aufgestellt. Mit
Piktogrammen wird dort erklärt, wo das Wasser tief wird. Zu
Rettungseinsätzen hätten die Helfer von „Sicheres Wasser“ seit den
Todesfällen nicht mehr ausrücken müssen, sagt Tetzlaff. Allerdings: „Das
lag wohl eher am schlechten Wetter, es waren ja kaum Badegäste da.“
Der Bedarf nach speziellen Schwimmkursen für Geflüchtete ist groß,
berichten Hamburger Flüchtlingsinitiativen. Das Problem sei, dass es nicht
genug Angebote für Geflüchtete gebe, die auch finanzierbar seien, sagt
Simone Will von „Refugees Welcome Karoviertel“: „Kostenpflichtige
Schwimmkurse in den öffentlichen Schwimmhallen kosten mehr als das
monatliche Taschengeld eines Flüchtlings, für eine Familie mit mehreren
Kindern ist das unbezahlbar.
Selbst für Hartz-IV-Bezieher mit Bildungsgutschein wären die Preise noch zu
hoch, sagt Will. 160 Euro kostet ein Schwimmkurs für Erwachsene bei
„Bäderland“, dem Betreiber der öffentlichen Schwimmbäder in Hamburg,
Kinder-Kurse kosten 45 Euro.
Julia Rauner von der Initiative „Welcome to Barmbek“ sagt, sie habe
versucht, einen Schwimmkurs für einen syrischen Freund zu organisieren. Der
Versuch sei gescheitert. Rauner: „Schwimmen zu lernen ist sein großer
Traum, doch abgesehen von den Kosten finden Erwachsenen-Schwimmkurse oft
abends statt. Und da muss er zum Deutschkurs.“
Dass viele Flüchtlinge nicht schwimmen können – und damit weitere
Todesfälle wie jene in Allermöhe nicht auszuschließen sind – ist nicht nur
den Initiativen bekannt. Die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) ist
längst aktiv geworden, doch wenn es darum geht, Gratiskurse für Geflüchtete
einzurichten, stoßen die Lebensretter auf Widerstände.
„Wir werden von Initiativen und Flüchtlingsunterkünften mit Anfragen
überflutet. Doch wir haben nicht genug Ausbilder“, sagt Heiko Mählmann,
Präsident der DLRG Hamburg. Und es gebe ein noch größeres Problem: „Es gibt
viel zu wenig freie Wasserflächen in Hamburg, um den hohen Bedarf auf die
Schnelle zu decken.“ In den Bäderland-Bädern seien die Wasserzeiten in der
Regel bereits durch Vereine oder eigene Schwimmkurse der Bäderland-Gruppe
geblockt, wofür er dem Unternehmen keinen Vorwurf mache, so Mählmann: „Das
ist eben ein Unternehmen, die müssen sich um den allgemeinen Badebetrieb
kümmern.“
Genau so sieht Bäderland das auch. „Schwimmkurse sind Dienstleistungen, die
bezahlt werden müssen. Wir werden in Zukunft keine kostenlosen Kurse für
Flüchtlinge anbieten“, sagt Michael Dietel, Sprecher der Bäderland-Gruppe.
Die anstehenden Sommerferien kommen für die DLRG gelegen. Weil viele
Schwimmvereine in den nächsten Wochen Pause machen, werden Wasserzeiten
frei. Trotzdem bietet die Organisation in dieser Zeit nur zwei Ferienkurse
an, in denen speziell Flüchtlinge Schwimmen lernen können – im Bille-Bad in
Bergedorf und im Bäderland Wandsbek. Beide Kurse sind bereits voll belegt.
„Wir müssten schneller Kurse organisieren“, räumt Heiko Mählmann ein. Die
Zusammenarbeit mit Bäderland verlaufe jedoch „eher schleppend“.
Die Finanzierung der Schwimmkurse stelle dagegen kein Problem dar, sagt der
DLRG-Präsident. Sie würden vom Sportamt gefördert: „Die Zusammenarbeit mit
der Stadt ist gut, die Behörden zeigen sich gerade sehr spendabel, wenn es
um Flüchtlinge geht.“ Laut Senat erhalten Kinder, die bei ihrer Einschulung
auf eine weiterführende Schule kein bronzenes Schwimmabzeichen haben,
außerdem einen Gutschein für Schwimmunterricht – auch Flüchtlingskinder,
die in den internationalen Vorbereitungs- und Basisklassen beschult werden,
haben Anspruch darauf. Im letzten Schuljahr wurden allerdings nur 20
Prozent der Gutscheine eingelöst. Auch einer der im Allermöher See
ertrunkenen Flüchtlinge soll den Schwimm-Gutschein nicht eingelöst haben.
Der junge Syrer Ahmad Soliman war noch nicht in Hamburg schwimmen. „Würde
ich aber gerne, wenn das Wetter endlich besser wird. Ich liebe das
Wasser!“, sagt er und beobachtet ein Segelboot, das langsam auf der Alster
vorbeizieht. Viele seiner syrischen Freunde würden gern schwimmen lernen,
sagt er. Aber nicht alle. „Diejenigen, die über das Mittelmeer fliehen
mussten, verbinden Wasser erst mal nicht mit Spaß. Die haben einfach nur
Angst.“
16 Jul 2016
## AUTOREN
Annika Lasarzik
## TAGS
Schwimmen
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Bremen
Schwerpunkt Flucht
Schwimmunterricht
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