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# taz.de -- Kommentar EU in der Krise: Frieden ist nicht genug
> Der Europäischen Union fehlen Ideen, die der Gemeinschaft Sinn stiften.
> Sie braucht ein neues identitätsstiftendes Projekt.
Bild: Europa kann zu wenig vorzeigen. Es begeistert nicht. Es bindet nicht
Wozu ist die EU da? Für den Frieden, hat [1][Angela Merkel nach dem Ja zum
Brexit] gesagt. Wir sollten nie vergessen, mahnt die deutsche Kanzlerin,
„dass die Idee der europäischen Einigung eine Friedensidee war“.
Die Gefahr, dass dies jemand vergisst, ist gering. Weil Merkel es gern mal
sagt, wenn die EU vor schwierigen Entscheidungen steht. Der Frieden ist
ihre Begründung dafür geworden, dass andere mitmachen, was sie für
alternativlos hält. Die Friedensidee ist Merkels Krisenidee.
Was stimmt: Der Frieden ist das Urversprechen der europäischen Einigung.
1946, ein Jahr, nachdem die Hölle des Zweiten Weltkriegs vorbei war, sagte
der britische Premier Winston Churchill, nur eine Art Vereinigte Staaten
von Europa könne den Frieden bringen.
Mit Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Vorgängerin der EU,
wurde die Vision zum Versprechen. Es ist gehalten worden, und es war gut,
dass es immer wieder erneuert und eingefordert wurde. „Le nationalisme,
c'est la guerre“, sagte Frankreichs Präsident François Mitterrand 1995:
Nationalismus bringt den Krieg. Seine Rede war ein starkes, ein wichtiges
Plädoyer.
## Von Google bleibt nur ein Taschengeld
Aber wenn Merkel jetzt das Friedensversprechen aufruft, wirkt das wie ein
hilfloser Reflex. Sie hat nichts anderes. Im Jahr 2016 fehlen der EU
Projekte, die sie verbinden, und Ideen, die der Gemeinschaft Sinn stiften.
Das zweite große Versprechen, der wirtschaftliche Wohlstand, ist
diskreditiert. Es gilt für zu wenige: für die Länder des Nordens und selbst
dort nur für einen Teil der Bevölkerung. Und weil der Euro mit nervtötender
Regelmäßigkeit gerettet werden muss, ist auch das Ideal wirtschaftlicher
Stabilität arg ramponiert.
Merkel weiß das, deshalb erklärt sie den Sinn der EU damit, dass der
Zusammenschluss der Staaten eine globale Macht bilde. Nur leider vermag
diese Macht nichts gegen weltweite Zockerwirtschaft und Geldversteckerei
auszurichten. Sie zwingt nicht einmal Konzerne wie Google oder Ikea dazu,
der Gemeinschaft mehr als ein Taschengeld vom Gewinn abzugeben.
Europa kann zu wenig vorzeigen. Es begeistert nicht. Es bindet nicht. So
bleibt allein der Frieden. Ja, Frieden ist sehr viel. Aber sieben
Jahrzehnte nach 1945 ist er vielen zu wenig. Sie sagen sich, dass die
Vereinigten Staaten von Amerika letztlich die Sicherheit der uneinigen
Staaten Europas garantieren.
Deshalb muss die EU ein neues identitätsstiftendes Projekt fokussieren, das
außerhalb des Brüsseler Kommissionsgebäudes Bestand hat. Und das muss nicht
einmal neu erfunden, sondern nur gesehen und gestärkt werden.
## Neue Schranken für Europa
Wozu also ist Europa da? Klar, mehr Gerechtigkeit tut Not. Aber wer denkt,
dass sich die Brüsseler Gipfel in den nächsten Jahren zu einer Art
sozialistischer Internationale entwickeln, sollte sich lieber ein
Märchenbuch kaufen.
Ein vielversprechenderes Projekt ist die europäische Freizügigkeit, die
mehr ist als Reisefreiheit: Das Recht, innerhalb der Union zu leben, zu
arbeiten, zu lernen, sich zu engagieren und alt zu werden, wo man will. Es
ist ein Versprechen, das schon gelebt wird. Es ist der Grund, warum so
viele Junge in Großbritannien gegen den Brexit gestimmt haben.
Doch gut sieht es nicht aus für die Freizügigkeit. Die entsolidarisierte
Staatengemeinschaft hat auf die Flüchtlinge mit neuen innereuropäischen
Grenzen reagiert. Das schrankenlose Europa hat sich wieder eingeschränkt.
[2][Die Wilders, Straches, Le Pens und Petrys greifen das offene Europa
an.] Längst geht die Geld-Neid-Angst-Debatte europäischer Nationalisten
auch gegen andere Europäer. Seit Bulgarien und Rumänien in der EU sind,
sinniert der deutsche Populismus darüber, wie die Neuen von der
Arbeitslosenversicherung ferngehalten werden können.
Die bornierten Gegner der Freizügigkeit unterschätzen, wie viele von ihr
profitieren. Der Studierende, der es genießt, zwischen den Sprachen,
Städten und Stimmungen zu wechseln. Die Akademikerin, die im
Hochgeschwindigkeitszug zwischen den Orten und Aufgaben pendelt. Der
Bauarbeiter, der monatsweise in boomenden Städten arbeitet und dann wieder
zu Hause. Oder die deutsche Ruheständlerin, die in Portugal mit ihrer Rente
besser leben kann.
Die Freizügigkeit ist für viele so wichtig, dass die Debatte über sie
gewonnen werden kann. Wenn sich erst einmal herumgesprochen hat, dass
innereuropäische Einwanderung gut tut, dann ist vielleicht bald eine
Mehrheit für die Öffnung Europas nach außen.
Jetzt geht es erst einmal darum, wie die Verhandlungen über das künftige
Verhältnis der EU zu Großbritannien geführt werden: Pragmatisch und
besonnen – oder mit der Peitsche, um Nachahmer abzuschrecken. Die größte
Härte, die Europa den britischen Nationalisten antun kann, ist die
Freizügigkeit. Wer mit der EU zu neuen Deals kommen will, sollte Bescheid
bekommen, dass sie nicht verhandelbar ist.
26 Jun 2016
## LINKS
[1] /Merkel,-die-Deutschen-und-der-Brexit/!5316401/
[2] /Essay-Brexit-und-Rechtspopulismus/!5313212/
## AUTOREN
Georg Löwisch
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