# taz.de -- Debatte Wahl in Spanien: Zu flexibel für den Sieg | |
> Bei der anstehenden Parlamentsneuwahl droht der PSOE die | |
> Bedeutungslosigkeit. Sozialdemokratische Werte vertritt Podemos besser. | |
Bild: Welcher von den Wachsköpfen wird das Rennen machen? | |
Die Tendenz ist klar. Bei jeder Wahl schneidet Spaniens sozialistische | |
Partei (PSOE) schlechter ab, während die junge Antiausteritätspartei | |
Podemos (Wir können) zulegt. Im vergangenen Dezember erzielte die gerade | |
einmal zwei Jahre alte Formation rund um den Politikprofessor Pablo | |
Iglesias 5 Millionen Stimmen und lag damit nur noch knapp hinter den | |
Sozialisten.Am 26. Juni wird nach gescheiterten Verhandlungen zur | |
Regierungsbildung neu gewählt. Und alles sieht danach aus, als würde die | |
PSOE weiter in die Bedeutungslosigkeit abrutschen – wie andere | |
sozialdemokratische Parteien in Europa. | |
Podemos hat sich mit der Vereinigten Linken zum Wahlbündnis Unidos Podemos | |
(Gemeinsam können wir) zusammengeschlossen. Umfragen sehen die Formation | |
auf Platz zwei; deutlich vor den Sozialisten und hinter der konservativen | |
Partido Popular (PP) des amtierenden Ministerpräsidenten Mariano Rajoy. | |
Der Wahlkampf kennt nur noch zwei Parteien: Unidos Podemos schießt sich | |
ausschließlich auf die PP ein, und Rajoy greift den Fehdehandschuh auf. Die | |
Sozialisten bleiben außen vor. Es gelingt ihnen nicht, sich zurück ins | |
Zentrum der Debatte zu kämpfen. | |
## Die Regierung ausgeschlagen | |
Dabei hätte der Spitzenkandidat der PSOE, Pedro Sánchez, regieren können. | |
Iglesias bot ihm nach den Wahlen vom 20. Dezember eine „Koalition des | |
Fortschritts“ an. Sánchez schlug aus. Zu stark war der Druck aus der | |
Wirtschaft und von Seiten der Regionalfürsten der PSOE, die um jeden Preis | |
verhindern wollen, dass Podemos an die Regierung kommt. | |
Sánchez versuchte sich stattdessen an einem Bündnis mit den rechtsliberalen | |
Ciudadanos (Bürger). Er wollte erreichen, dass Podemos diese „Regierung des | |
Wandels“ stillschweigend unterstützt, ohne Teilnahme am Kabinett und ohne | |
einen echten Politikwechsel. Denn das Abkommen zwischen PSOE und Ciudadanos | |
sah nur die Rücknahme eines kleinen Teils der im Namen der Austerität | |
aufgezwungen Reformen vor – inakzeptabel für Podemos. | |
Die spanischen Sozialisten verkörpern damit das Dilemma der europäischen | |
Sozialdemokratie. Längst hat die PSOE – wie die SPD in Deutschland, die PSF | |
in Frankreich, die Pasok in Griechenland, um nur einige zu nennen – den Weg | |
der fortschrittlichen Politik verlassen. Stattdessen haben sie sich ganz | |
der „alternativlosen“ Sparpolitik aus Berlin und Brüssel gebeugt. Echte | |
Unterschiede zur konservativen Politik sind bei wirtschaftlichen Themen | |
nicht mehr auszumachen. Die Große Koalition in Europa ist längst Realität, | |
nicht erst seit dieser Legislaturperiode und nicht nur in Deutschland. | |
In vielen Ländern nutzen die Rechten die Lücke. Ob AfD, Le Pen, Ukip, die | |
Rechtsradikalen in den Niederlanden oder in Skandinavien: Sie alle fischen | |
erfolgreich bei denen, die sich vernachlässigt fühlen. In Spanien gibt es | |
mit Podemos zum Glück eine linke Option, die die Empörten an sich binden | |
kann. | |
## Die Sicherungen brennen durch | |
„Neue Sozialdemokratie“ nennen Iglesias und die Seinen ihr Projekt nicht | |
von ungefähr. Ein Blick auf das Programm zeigt, dass es tatsächlich nicht, | |
wie immer wieder behauptet, um linksradikale Ideologie geht. Iglesias | |
verspricht Maßnahmen, wie sie in den 1970ern jeder europäische | |
Sozialdemokrat unterschrieben hätte: Höhere Mindestlöhne, Rücknahme der | |
Einsparungen im öffentlichen Bildungs- und Gesundheitssystem, | |
Mindesteinkommen für alle: Und vor allem Streichung der Schuldenbremse, die | |
von Sozialisten und Konservativen 2011 mitten in der Sommerpause über Nacht | |
in die Verfassung geschrieben wurde, sowie mehr Zeit zum Abbau des | |
Defizits. „Rettung der Menschen statt der Banken“, lautet das Motto. | |
Eine Sozialdemokratie, die solche Programmpunkte nicht mehr umsetzen will, | |
hat sich längst zur letzten Sicherung im Kasten des derzeitigen | |
europäischen Systems entwickelt. François Hollande akzeptiert diese Rolle | |
und bläut seinen Franzosen die „alternativlosen“ neoliberalen Reformen mit | |
dem Knüppel ein. Die deutschen Genossen haben ähnliche Reformen umgesetzt; | |
mit „Erfolg“ – wenn man die tatsächlichen Statistiken über Armut und | |
Einkommensverteilung übersieht. In Griechenland verschaffte die Pasok der | |
Troika eine paar Jahre mehr für ihren Kahlschlag. | |
Doch wenn Sicherungen zu stark beansprucht werden, brennen sie durch, wie | |
das Beispiel Pasok zeigt. Die griechischen Sozialdemokraten sind fast | |
völlig von der Bildfläche verschwunden und haben Syriza den Platz geräumt. | |
Die deutsche SPD hat längst die Rolle des ewigen Juniorpartners der CDU | |
akzeptiert. Sigmar Gabriel und Genossen werden auf absehbare Zeit nicht in | |
der Lage sein, eine Regierung zu führen. Und in Frankreich tut Hollande | |
alles, um auch noch das letzte bisschen Sympathie zu verspielen. | |
## Das Patt auflösen | |
Unidos Podemos will bei den Wahlen im Juni „das Patt auflösen“. Die | |
Sozialisten hätten es dann in der Hand, ob sie, wohl als Juniorpartner, | |
eine fortschrittliche Regierung unterstützen. Oder eine Große Koalition mit | |
den Konservativen, mit oder ohne Beteiligung der Rechtsliberalen. Alles | |
deutet darauf hin, dass sich die PSOE für Zweiteres entscheidet. | |
Das ist ein gefährliches Spiel. Denn eine Große Koalition ist, anders als | |
in Mittel- und Nordeuropa, für die Wähler in Spanien nur schwer zu | |
akzeptieren. Zu stark wurden bisher die vermeintlichen ideologischen | |
Differenzen zwischen Konservativen und Sozialisten zelebriert. Diese | |
Spaltung der Gesellschaft garantierte eine weitgehend stabile Wählerschaft, | |
zumindest bis zum Beginn der Krise. Erst die Sparpolitik, für die beide | |
Parteien verantwortlich zeichnen, sowie die in die Tausende gehenden | |
Korruptionsfälle brachten das eingespielte Zweiparteiensystem ins Wanken. | |
Die PSOE hat die Wahl. Sie kann Teil der Lösung sein oder weiterhin Teil | |
des Problems. Eine Große Koalition kann einen tiefgreifenden Wandel in | |
Spanien und damit wohl auch in Europa nur hinauszögern. Verhindern lässt er | |
sich nicht mehr. Eine solche Koalition würde eine unnötige Verlängerung der | |
Sparpolitik bedeuten, die zur Verarmung breiter Teile der südeuropäischen | |
Bevölkerung führt. Sie wäre auch der Selbstmord der spanischen Sozialisten. | |
25 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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