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# taz.de -- Katholiken und AfD: Das Tischtuch ist endgültig zerrissen
> Die rechtspopulistische Partei wurde nicht zum Leipziger Gläubigentreffen
> eingeladen. Jetzt eskaliert der Streit mit der Katholischen Kirche.
Bild: Die Vorwürfe der AfD gegenüber der Kirche reichen weit: Die Parteichefi…
Leipzig taz | Der freundliche ältere Herr will ja keine Panik verbreiten –
aber diese Tasche! Eine weiße Umhängetasche, herrenlos, steht da auf einem
Stuhl, gefüllt mit irgendetwas. Mit einer Bombe? Der besorgte Zuhörer der
Veranstaltung „Von der seltsamen Rückbesinnung auf das ‚Christliche
Abendland‘. Populismus, Nationalismus, Neue Rechte in Europa“ auf dem
Katholikentag in Leipzig schnappt sich die Tasche, geht mit ihr ein paar
Schritte zu einem der Organisatoren der Veranstaltung, sagt entschuldigend,
das sei ja „vielleicht übervorsichtig“, aber: diese Tasche!
Erlöste Christenmenschen sollten ja eigentlich keine Angst mehr haben, aber
auf diesem großen Christentreffen mit rund 32.000 Teilnehmerinnen und
Teilnehmern lagen die Nerven in Sachen Gefahr von rechts blank. Genauer:
Das Thema des neuen Rechtspopulismus in Deutschland verschaffte dieser
großen Versammlung der gläubigen Menschen katholischer Konfession nicht nur
eine unerwartet große mediale Aufmerksamkeit. Sondern auch einen handfesten
Konflikt mit Leuten, deren Umfeld man alles zutraut.
Schon im vergangenen Herbst entschloss sich der Ausrichter des
Katholikentages, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK),
AfD-Funktionäre nicht zu Podien nach Leipzig einzuladen. Der neue
ZdK-Präsident Thomas Sternberg variierte auf dem Katholikentag immer wieder
die gleichen Worte: dass man der AfD kein Podium geben wolle, um ihre
ausländerfeindlichen, antiliberalen, antihumanen und am Ende
antichristlichen Sprüche klopfen zu können. Schließlich gehe es in Leipzig
um einen echten Dialog auf den Podien, so Sternberg – und nicht um
Showveranstaltungen oder Talkshows. Überall im AfD-Programm fänden sich
Ressentiments gegen Menschen, betonte Sternberg. „Menschenverachtende
Positionen haben aber auf dem Katholikentag keinen Platz.“
Allerdings hatte Sternberg, der für die CDU im Landtag von NRW sitzt,
bereits in der Beilage „Christ und Welt“ der Wochenzeitung Die Zeit mit
seinem ehemaligen Parteifreund Alexander Gauland gestritten, der übrigens
aus Familientradition, wie er sagt, immer noch in der evangelischen Kirche
ist. Dabei sagte Sternberg, „in vielen Punkten“ sei die AfD für ihn
„absolut“ eine unchristliche Partei.
## Empörung bei Laien und Klerikern
Jedenfalls hat die Nicht-Einladung von AfD-Funktionären nach Leipzig das
Tischtuch zwischen der katholischen Kirche und den Rechtspopulisten
endgültig zerrissen. Besonders ausfallend wurde der bayerische
AfD-Landesvorsitzende Petr Bystron: Er warf den beiden Volkskirchen vor,
sie machten ein „Milliardengeschäft“ mit ihren Hilfen bei der
Flüchtlingskrise – und das noch „unter dem Deckmantel der Nächstenliebe�…
Marcus Pretzell, der Lebensgefährte der Parteichefin Frauke Petry und Chef
des NRW-Verbandes der Partei, setzte noch einen drauf: Die katholische
Kirche sei eigentlich ein „Asylindustrieverband“. Deshalb lehne sie das
direkte Gespräch mit der AfD ab – aus Angst vor „Geschäftsschädigung“.
Am Sonntag äußerte sich auch Frauke Petry selbst im [1][Deutschlandfunk] zu
diesem Thema. Es scheine ihr offensichtlich, dass „die Kirche eine Art
modernen Ablasshandel betreibt, gerade in der aktuellen Flüchtlingskrise“,
sagte Petry. Es gebe eine starke Verflechtung in die Aufnahme von
Flüchtlingen, das Bereitstellen von Räumlichkeiten und „damit natürlich
eine Partizipation an den staatlichen Mitteln“. Dass die AfD von den Podien
des Katholikentags in Leipzig ausgeschlossen wurde, nannte Petry ein
„unchristliches Verhalten sondergleichen“. Sie habe gelernt, dass die Türen
der Kirche für jedermann offen seien.
Die Anwürfe, die Kirchen betrieben Geschäftemacherei mit den Flüchtlingen,
sorgten für Empörung bei Laien und Klerikern. Der Sprecher der
Bischofskonferenz nannte die Bystron-Vorwürfe schlicht „Gequatsche“ und
„unreflektiertes Gerede“. Der Berliner Erzbischof Heiner Koch sprach von
einer Unverschämtheit. Kardinal Woelki sagte, eine solche Äußerung spreche
für eine „gestörte Realitätswahrnehmung“ der AfD. Auch Bundesinnenminist…
Thomas de Maizière (CDU), der in Sachen Flüchtlingskrise oft mit der Kirche
über Kreuz liegt, sprang ihr bei und verurteilte die AfD-Äußerungen als
eine „Beleidigung“ für die christlichen Helferinnen und Helfer.
Es hat sich einiges zusammengebraut in der AfD. Aber auch im
rechtskatholischen Milieu. Zwar gibt es Studien, wonach Kirchenmitglieder
unter den Anhängern der AfD im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung
unterrepräsentiert sind. Aber die gerade unter Rechtspopulisten populäre
Verherrlichung der traditionellen Familie sowie die Verurteilung von
Homosexualität und Gender-Theorie ist für ultrakonservative Christinnen und
Christen durchaus attraktiv.
Da ist zum Beispiel die Publizistin Gabriele Kuby, deren Vater der
Schriftsteller Erich Kuby war. Gabriele Kuby ist Kuratoriumsmitglied im
rechtskatholischen „Forum Deutscher Katholiken“, denen der ganze liberale
und plurale Katholikentag-Schmonzes seit Jahren im Kern auf den Geist geht.
Kuby profiliert sich als Verteidigerin der möglichst großen katholischen
Vater-Mund-Kinder-Familie und fühlt sich auch in der Gesellschaft von
„Front National“- und FPÖ-Rechtspopulisten nicht unwohl.
Der Politikwissnschaftler Andreas Püttmann war einst selbst ein Vertreter
dieses rechtskonservativen Milieus, allerdings eher in
theologisch-liturgischer Hinsicht. Er entstieg der schwarz-braunen Suppe
katholischen Geschmacks nicht zuletzt deshalb, weil ihn die Affäre um den
früheren Protzbischof Franz-Peter Tebartz-van Elst anwiderte. Der Limburger
Oberhirte war eine Galionsfigur der reaktionären katholischen Kreise und
konnte sich auch deshalb trotz immer neuer Enthüllungen über seine
skandalöse Verschwendungssucht noch so lange im Amt halten.
## Nazi-Beschimpfungen sind kontraproduktiv
Püttmann, vom Saulus zum Paulus geworden, warnte bei der Podiumsdiskussion
mit der scheinbar gefährlichen Tasche im Konzertfoyer der Leipziger Oper,
dass es eine Radikalisierung der gesellschaftlichen Mitte gebe, in der
viele keine Probleme mehr hätten, mit der AfD zu kooperieren. Es sei
allerdings eher kontraproduktiv, die AfD als Nazis zu beschimpfen. Vielmehr
erinnere sie an die nationalkonservative Revolution, die in der Weimarer
Republik auch mithilfe antiliberaler, antidemokratischer Katholiken die
Demokratie „sturmreif geschossen“ habe, so dass die NSDAP 1933 recht
leichtes Spiel gehabt habe.
Solche Kreise sind in der katholischen Kirche hierzulande nur noch mit der
Lupe zu finden. Aber es gibt sie noch, und ihr Feld ist eher die
Gesellschaftspolitik: Püttmann spricht von einem „ideologischen Familismus“
in ultrakonservativen katholischen Kreisen, die gern auf der
österreichischen Internet-Plattform „kath.net“ publizieren – so wie der
Politologe es früher auch tat. Der Ton ist dort mittlerweile so rau, dass
es selbst dem sehr konservativen Passauer Bischof Stefan Oster vor gut
einem Jahr zu bunt wurde: Er kritisierte bei kath.net eine
„Komplexitätsreduktion“, bei der nur noch in „schwarz und weiß oder gut…
böse“ argumentiert werde, sowie eine Zunahme der Polarisierung und
persönlichen Diffamierungen.
Tatsächlich haben die deutschen katholischen Bischöfe immer wieder mit
einem politisch ultrarechten katholischen Milieu zu tun, das es gut
versteht, enormen Druck auf sie auszuüben, auch dank gelegentlicher
Protektion ähnlich denkender Kreise im Vatikan. In Deutschland gibt es
beispielsweise die Katholiken-Vereinigung „Gesellschaft für Tradition,
Familie und Privateigentum“, die eine Homepage betreibt, bei der man nicht
mehr weiß, ob man weinen oder lachen soll. Ähnlich ist es bei dem
„Pforzheimer Kreis“, der als AfD-nah gilt und sich als christlich begreift.
Auch im freikirchlich-evangelikalen Milieu sind solche Stimmen zu hören,
gelegentlich etwa in der Publikation „idea spektrum“ oder bei
Parteiversammlungen der AfD.
Immerhin: Gegen die AfD-affine Pegida-Bewegung und ihre jeweiligen
örtlichen Ableger haben sich mittlerweile viele katholische Bischöfe klar
positioniert. Die Oberhirten von Köln und Erfurt, Kardinal Rainer Maria
Woelki und Ulrich Neymeyr, ließen ihre Dome bei Demonstrationen der
Rechtspopulisten vor ihren Türen unbeleuchtet oder ließen die Großkirchen
verdunkeln. Wie weh solche Zeichen dem AfD-Spitzenpersonal tat, zeigt eine
Aussage der thüringischen AfD-Abgeordneten Wiebke Muhsal, die in Folge der
Verdunklung der Dome von „verrotteten Funktionsträgern“ der Kirche sprach.
Ihr Fraktionschef Björn Höcke fand ein Lutherzitat, das er gegen die Kirche
münzte: „Man muss dem Teufel das Kreuz in Angesicht schlagen, so weiß er,
mit wem er umgeht.“ Selbst der eher distinguierte AfD-Mitgründer und
Vizesprecher Alexander Gauland sagte kürzlich, das bischöfliche
Licht-Ausknipsen sei der Versuch gewesen, „uns mundtot zu machen“. Man
könne ja verschiedene Positionen vertreten, „aber das Domlicht
auszuschalten, das ist feige“. Übrigens hat Gauland in der „taz“ noch bis
vor wenigen Jahren Debattenbeiträge geschrieben.
## Christliche Kritik an der AfD
Natürlich ist es nicht schön, aber auch nicht besonders verwunderlich, dass
es bei immer noch über 47 Millionen Christinnen und Christen hierzulande
auch eine Vereinigung „Christen in der AfD“ gibt. Als jüngst ein
angeblicher Bischof aus Malta mit einem irgendwie katholisch klingendem
Titel einen Gottesdienst auf dem Stuttgarter Parteitag der AfD feierte,
distanzierte sich die deutsche Bischofskonferenz offiziell von diesem
Ereignis: Dieser Pseudo-Oberhirte habe nichts mit der katholischen Kirche
zu tun. Gerade nach dem Stuttgarter Parteitag der Rechtspopulisten mit
ihrem Kernsatz „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ hagelte es
christliche Kritik an der AfD.
Der Streit mit der AfD hat der Kirche geholfen, ihre Reihen zu schließen.
Dennoch zeigte man sich unter den ZdK-Mitgliedern auf dem Katholikentag am
Ende nicht so sicher, ob diese öffentliche Keilerei nicht zu viele andere,
wichtigere Botschaften des christlichen Großereignisses überdeckt habe.
Aber klar ist auch: Der Katholikentag in Leipzig und die katholische Kirche
insgesamt haben durch diesen Konflikt an Profil gewonnen: ein streitbares.
29 May 2016
## LINKS
[1] http://www.deutschlandfunk.de/afd-vorsitzende-petry-zur-fluechtlingshilfe-d…
## AUTOREN
Philipp Gessler
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