| # taz.de -- Konflikt um Berg-Karabach: Ein Mann für zwei Länder | |
| > Georgi Vanyan will Frieden zwischen Armenien und Aserbaidschan. Aber in | |
| > der Konfliktregion Berg-Karabach gilt er als „Volksverräter“. | |
| Bild: Ein Sinnbild für die ganze Region: Ein Panzer-Denkmal in Berg-Karabach, … | |
| April, 2015. Georgi Vanyan steht in dem offenen, unfertigen Zimmer seines | |
| Hauses; am Horizont die Silhouette einer Gipfelkette, dazwischen der | |
| Grenzsee Joghaz. Dort, wo früher Armenier und Aserbaidschaner zusammen | |
| gefischt haben, sieht man heute keine Fischerboote und keine Menschen. Nur | |
| die Schatten der Wolken gleiten über die Wasseroberfläche. Georgi liebt | |
| diesen Blick. | |
| Einen Schlafplatz könne er leider noch nicht anbieten, sagt er. Erst vor | |
| wenigen Monaten hat er sich das Grundstück gekauft, im nordöstlichen Teil | |
| Armeniens. „Ein Schnäppchen“, sagt er – wegen der Lage: Kaum einer will | |
| hier wohnen. Die Kontaktlinie – so wird die Grenze zu Aserbaidschan genannt | |
| – ist nur gut einen Kilometer entfernt, das Dorf eines der letzten | |
| verbliebenen in der Region. Die Kontaktlinie, das ist die Konfliktzone: wo | |
| man mit der Angst vor einem neuen Krieg lebt; wo es sein kann, dass man | |
| beschossen wird, wenn man zu langsam an der Linie entlangfährt. | |
| Georgi hat die sichere, gediegene Hauptstadt verlassen, weil er sich seiner | |
| Arbeit hier näher fühlt. „Mein Ziel ist es, dass die Menschen nicht mehr | |
| darauf warten, dass ihnen jemand den Frieden bringt“, sagt er, „sondern | |
| dass sie es selbst in die Hand nehmen.“ Aktivist könnte man ihn nennen, | |
| einen Vermittler zwischen beiden Ländern; einen, der beide Seiten kennt: | |
| geboren in Aserbaidschan, als Kind armenischer Eltern – in eine so weit | |
| friedliche Sowjetzeit. 52 Jahre ist das her. | |
| Als die Sowjetunion zerfiel und Berg-Karabach zur umkämpften Enklave wurde, | |
| war die Familie längst zurück in Armenien. Sie schauten jetzt aus der Ferne | |
| zu: wie es hier wie dort zu Pogromen kam, zur Verfolgung der jeweils | |
| anderen. Etwa 40.000 Menschen starben, über eine Million wurde vertrieben. | |
| Immer wieder hörte Georgi die Ursache, den Kern des Konflikts: von der | |
| armenischen Bevölkerung in Berg-Karabach – das damals Teil der | |
| Aserbaidschanischen Sozialistischen Republik war – die einen Anschluss an | |
| Armenien forderte. Von den Aserbaidschanern, die protestierten. Ein | |
| Friedensabkommen beendete 1994 zwar den Krieg. Frieden aber brachte es | |
| nicht. | |
| ## Im Kaukasus vor einem Jahr | |
| „Ein geistiges und politisches Zentrum für die Region“, will Georgi | |
| schaffen. „Eine Art Brüssel des Südkaukasus“ soll er werden, der | |
| „Tekali-Prozess“, an dem er mit Freunden arbeitet. Mehrmals im Jahr treffen | |
| sie sich dazu, Armenier und Aserbaidschaner, aber auch Georgier, Russen, | |
| Deutsche. Aktivisten, Journalisten, Zivilisten. Nachbarn, die zu Feinden | |
| geworden sind. Sie reden, hören einander zu. Verdrängen Vorurteile, die | |
| Geschichtsbücher und Fernsehsendungen sie jahrzehntelang gelehrt haben. | |
| Vor allem suchen sie Lösungen für einen Konflikt, der kein Ende zu nehmen | |
| scheint. Die Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan ist seit Ende des | |
| Krieges geschlossen. Will Georgi zu einem seiner Treffen, um sich | |
| auszutauschen, zu planen, muss er lange fahren, eine Strecke von hundert | |
| Kilometern zurücklegen – und schließlich rüber in ein unbeteiligtes Land. | |
| Er steigt dann in seinen grauen Lada, hofft, dass der anspringt, und folgt | |
| der M16, einer kurvigen, mit Schlaglöchern übersäten Straße, bis nach | |
| Georgien. Dort, in dem winzigen Ort Tekali – Kühe und Schafe auf den | |
| Wiesen, am geografischen Mittelpunkt des Südkaukasus, wo die | |
| armenisch-aserbaidschanische Grenze auf die georgische trifft –, sitzt er | |
| dann mit den anderen und überlegt, wie man Frieden schafft. | |
| „Nächstes Mal, wenn ihr kommt“, so sagt er noch im April 2015 und führt | |
| über eine wacklige Holzkonstruktion hinunter in seinen Garten, zeigt auf | |
| die vertrockneten Reben vor sich, „wird der Wein blühen, und das Haus wird | |
| fertig sein.“ | |
| ## In Hamburg im Exil | |
| April 2016. Schneeregen, kalter Wind, die Weinreben sind weit weg. Georgi | |
| lebt nicht mehr in seinem Dorf, seiner Heimat Armenien. In einer zu dünnen | |
| Jacke steht er vor seiner neuen Wohnung nahe der Hamburger Innenstadt und | |
| raucht. Statt Parliament raucht er jetzt Marlboro. Zahlt 6 Euro statt 600 | |
| Dram. Die Haltung ist dieselbe; hochgezogene Schultern, den Kopf etwas nach | |
| vorne gebeugt, linke Hand in der Hosentasche. An das raue Wetter muss er | |
| sich noch gewöhnen, sagt er, aber immerhin, ein Fahrrad habe er bereits. | |
| Mit der Stiftung für politisch Verfolgte ist er in der Stadt. Jedes Jahr | |
| vergibt sie bis zu fünf Stipendien an Aktivisten, die in ihrer Heimat nicht | |
| mehr sicher sind. | |
| Georgi, warum bist du hier? | |
| „Es wurde einfach zu gefährlich.“ Das Establishment, „die Banditen“, s… | |
| er, hätten ihn unter Druck gesetzt: seine Gegner. Die, die vom | |
| Kriegszustand profitieren und damit Geschäfte machen. Plötzlich hätten | |
| seine Freunde schon gewusst, dass er sie besuchen kommt, bevor er es ihnen | |
| erzählt hatte. Plötzlich erhielt er anonyme Anrufe – von Leuten, die genau | |
| wussten, wo er sich befand. Als er gerade dabei war, ein | |
| armenisch-aserbaidschanisches Filmfestival zu veranstalten, und ein | |
| Interview gab, wurde er angegriffen. | |
| Dann erhielt er Drohungen, Morddrohungen; „ich wünsche mir, dass deine Frau | |
| vor deinen Augen vergewaltigt wird“, „schade, dass nach unserem Gesetz die | |
| Todesstrafe nicht mehr gilt für solche anormalen Verräter“. Armenische | |
| Nationalisten brachen in sein Haus ein. Das Fernsehen rief zum Boykott auf. | |
| Ein Festival gab es nicht. | |
| Er streicht sich über die linke Hand. Zwischen Daumen und Zeigefinger hat | |
| er sich ein Tattoo stechen lassen, einen Vogel, wie ihn Kinder zeichnen. | |
| Eine Taube? Für „Flucht und Freiheit“, sagt er, ja – „aber ohne Frieden | |
| gibt es keine Freiheit“. | |
| Im Frühjahr, kurz bevor es wieder zu Gefechten in Berg-Karabach kam – den | |
| heftigsten seit Jahren –, entschied er sich, die Einladung der Hamburger | |
| Stiftung anzunehmen. „Eine Pause zu machen“, sagt er, Pausen, wie er sie | |
| eben nimmt: um neue Strategien zu entwickeln, zwei Länder zu befrieden. Ein | |
| großes Fest soll es geben in Tekali, sobald er zurückkehrt, mit Künstlern | |
| und Aktivisten aus der ganzen Welt. In Deutschland erhofft er sich | |
| Unterstützung. „Ich werde an jede Tür klopfen.“ | |
| Spinner, Träumer, so nennen ihn einige. Georgi stört das nicht. „Früher | |
| habe ich davon geträumt, dass meine Arbeit irgendwann nutzlos werden | |
| würde.“ Er zieht die Jacke enger um den Körper, sieht die sauberen Häuser | |
| in Hamburg-Winterhude, er läuft durch eine ruhige Straße. Mittlerweile ist | |
| ihm klar, dass seine Arbeit nicht nutzlos sein wird. „Nicht, solange ich am | |
| Leben bin.“ | |
| 10 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Paul Toetzke | |
| ## TAGS | |
| Aserbaidschan | |
| Armenien | |
| Schwerpunkt Bergkarabach | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Armenien | |
| Duisburg | |
| Schwerpunkt Eurovision Song Contest | |
| Schwerpunkt Bergkarabach | |
| Khadija Ismajilowa | |
| Armenien | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Polizeigebäude in Armenien besetzt: Bewaffnete Regierungsgegner | |
| Angreifer nehmen Geiseln. Ein Polizist wurde getötet. Angeblich soll ein | |
| inhaftierter Oppositionsführer freigepresst werden. | |
| Zoff in Duisburg um Armenien-Resolution: Integrationsrat leugnet Völkermord | |
| In Duisburg ist die Stimmung mies: Der Integrationsrat greift in einem | |
| Beschluss die Armenien-Resolution des Bundestags an. Der OB findet das | |
| inakzeptabel. | |
| ESC-Kolumne #Waterloo in Stockholm 8: Letzte Verwarnung für Armenien | |
| Während des Halbfinales hielt Armeniens Kandidatin die Fahne Bergkarabachs | |
| in die Höhe. Eine Provokation, die nicht zum ersten Mal vorkommt. | |
| Kämpfe in Berg-Karabach: Aserbaidschan plant Feuerpause | |
| Das Land will die Kämpfe einseitig einstellen. Aserbaischan reagiert damit | |
| auf internationale Bitten. Erdoğan hat Unterstützung zugesichert. | |
| Kommentar Verurteilte Journalistin: Die Schande von Aserbaidschan | |
| Das Urteil gegen Khadija Ismajilowa ist kein Einzelfall. Auch ihres war zu | |
| erwarten. Die mahnenden Worte der Europäer sind scheinheilig. | |
| Kommentar „Strom-Maidan“: Elektrisiertes Armenien | |
| Die Regierung reagiert mit Gewalt auf Menschen, die gegen finanzielle | |
| Einschnitte demonstrieren. Das ist nicht ohne Risiko. |