# taz.de -- ESC-Kolumne #Waterloo in Stockholm 10: Der queere Wahnsinn | |
> Der Israeli Hovi Star glänzt nicht nur mit seinem Namen. Er gilt vielen | |
> als Held der Repräsentation in der queeren Angelegenheit. | |
Bild: Für ihn ist der ESC ein Fest: Hovi Star | |
Hovi Star ist nicht in Tel Aviv aufgewachsen, nicht im Israel der | |
Regenbogenkultur, aber, so sagt er, „ich war sechs und träumte dann keine | |
Nacht mehr, ohne zu hoffen, eines Tages für mein Land beim Song Contest | |
aufzutreten.“ Am heutigen Samstag wird sein Traum sogar insofern wahr, als | |
er mit seiner grandiosen Ballade „Made of Stars“ ins Rennen gehen wird. Der | |
junge Mann ist das allerschwulste, was ein ESC nur hervorbringen kann. | |
Deshalb gilt er vielen als Held, als Mann der besten Repräsentation in | |
queerer Angelegenheit. Hovi Star, der aussieht, als sollte ihn Pedro | |
Almodóvar für seinen nächsten Film unbedingt casten. Dieser Israeli ist in | |
Stockholm kein Exot. | |
Er sagt, für ihn sei die Eurovision, was für andere höchste religiöse Feste | |
seien. Dem stimmen wahrscheinlich 90 Prozent aller Gäste zu, die in diesen | |
Tagen nach Stockholm gereist sind. Fast alle schwul, schwuler, am | |
schwulsten. Selbstverständlich. ESC – das ist: eine europäische Convention, | |
aber ohne dieses typische Heterotoleranzding. So von wegen: „Ich habe ja | |
nichts gegen den ESC, aber muss es immer so ausgestellt schwul sein?“ – Ja. | |
Einerseits. Und andererseits: Als ob irgendjemand den heteronormativen | |
Terror hinterfragt, der sich sonst medial wie eine fies müffelnde Wolldecke | |
über alles legt. Da stimmt eben auch Tex Rubinowitz zu, ein Schriftsteller | |
in Wien. Außerdem: bekennend hetero, was man ja aber niemandem übel nehmen | |
muss, nicht wahr! | |
Um es deutlich auch aus Stockholm heraus zu bilanzieren: Der ESC ist, wie | |
(bekennend heterosexuelle) Stefan Kuzmany (mal sehr einverstanden) sagte, | |
die erfolgreichste „queere Familienshow Europas“. Es sind hier | |
Trans*-Menschen, Homos beider Geschlechter und andere „sexuelle | |
Zwischenstufen“ (Magnus Hirschfeld) angereist, und die schwedischen | |
Gastgeber finden das auch noch toll. Es gab schon ESCs, da war das Thema | |
entweder ganz no-go (Moskau), wichtig (Helsinki), sehr wichtig (Wien) oder | |
unter den Tisch gekehrt und beschwiegen (Baku und andere ESC-Landeplätze). | |
## Angst vorm Diversen | |
Nein, Stockholm und Schweden überhaupt feiert sich als Land der Freiheit | |
und somit auch der Errungenschaft, die Ehe allen Geschlechtskombinationen | |
geöffnet zu haben. Und das sagt man denn auch, so wie ESC-Moderatorin Petra | |
Mede vor drei Jahren beim Contest in Malmö. Würde sich das deutsche | |
Fernsehen in dieser Weise trauen, mal die Angst vor dem Diversen abzulegen | |
– und dies auch zu promoten? Fraglich. | |
Für Hovi Star, der nichts von dem hat, was man Assimilationswillen an die | |
heterosexuellen Stile nennen könnte, sondern lieber alles flamboyant | |
kultiviert, wie es prima nur junge Menschen sich darzustellen schaffen, | |
steht fest: Die größten Ikonen der ESC-Geschichte waren Loreen (2012), | |
Conchita Wurst (2014) und Dana International. Sie, die transsexuelle | |
ESC-Siegerin von 1998, so Hovi Star, ist ein Idol – eine, die Israel das | |
größte Geschenk zum 50. Staatsgeburtstag gemacht hat. | |
Wann darf man schon mal junge Menschen triftig kritisieren? Am besten | |
selten. Aber Hovi Star irrt. Als die Israelin damals in Birmingham mit | |
„Diva“ siegte, widmete sie ihren Triumph auch ihrem Land. Aber zuerst, so | |
wörtlich, „all the LGBT*-people in the world“. | |
## Botschaft an störrische Heteros | |
Hovi Star stand nun bei der zweiten Generalprobe des Finales, Freitagabend, | |
mit der Startnummer 7 auf der Bühne. Es ist Juryfinale. Das Televoting ist | |
erst am Samstag – ab etwa 22:30 Uhr –, aber am Vorabend stimmen die | |
Experten ab. Der Israel gab sein „Made of Stars“ in einer Weise, die | |
ernsthafter und glühender in einem nicht sein könnte. Man, was können seine | |
Eltern stolz auf ihn sein! | |
Der ESC ist, will ich sagen, auch aus Stockholm heraus, für störrische | |
Heteros schwer zu verstehen: Sie sind dann nämlich, an Ort und Stelle, in | |
der Minderheit. Am Ende aber sehen sie: 200 Millionen Menschen werden das | |
Grand Final gesehen haben. Der queere Wahnsinn also. Erstmals Teil der | |
Übertragung: das Fernsehen der Volksrepublik China. Herzlich willkommen! | |
Und auch Schauspieler Ian McKellen aus der britischen TV-Serie Vicious wird | |
auftreten. Was für eine schöne Geste! | |
14 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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