Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- CSD in Israel: Wenn Regenbogenfahnen brennen
> Vor einem Jahr erstach ein ultraorthodoxer Jude eine Frau auf der
> Pride-Parade in Jerusalem. Auch dieses Jahr sind Angriffe zu erwarten.
Bild: In Jerusalem wurde die Pride von der Polizei geschützt, auch in Tel Aviv…
Jerusalem taz | Tausende Polizisten patrouillieren auf der Strecke der
Jerusalemer Pride-Parade. „Wir sind hier, um zu bleiben“, ist das Motto der
diesjährigen Demonstration – und Aufgabe der Beamten ist es, erneute
Übergriffe auf Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle (LGBT)
auszuschließen. 10.000 Teilnehmer erwarten die Veranstalter, doppelt so
viele wie in den vergangenen Jahren.
Die Demonstration steht im Zeichen des Gedenkens an die 16-jährige Shira
Banki, die vor genau einem Jahr ermordet wurde, als sie aus Solidarität mit
einem schwulen Freund mitmarschiert war. „Wir bekommen breite
Unterstützung“, sagt Tom Cannings vom Jerusalemer Offenen Haus für Stolz
und Toleranz, „aber es gibt auch Leute, die Angst haben.“ In der
südisraelischen Stadt Beer Scheva etwa wurde die geplante Parade in der
vergangenen Woche abgesagt, weil dem Inlandsgeheimdienst Informationen über
„potenzielle Gewalt während der Parade“ vorgelegen haben sollen.
Israels Regierung rühmt sich gern für die Liberalität und sexuelle Freiheit
im Land. Zwar können gleichgeschlechtliche Paare in Israel nicht heiraten –
das Familienrecht ist ausschließlich Angelegenheit der Rabbiner –, doch
seit 2008 werden im Ausland geschlossene Ehen anerkannt. Die europäisch
geprägte Mittelmeerstadt Tel Aviv gilt als Hochburg der LGBT-Community im
Nahen Osten. Doch in den meisten anderen Städte ist die Bevölkerung
konservativer und vor allem religiöser.
Im Mittelpunkt der diesjährigen Tel Aviver Pride standen in diesem Juni die
Frauen der Community. Diese sind auf der Demonstration seit jeher deutlich
weniger präsent als die Männer. Das liege unter anderem daran, dass sich
Lesben in „dieser Art Öffentlichkeit nicht so wohlfühlen, wie die
Schwulen“, sagt Chen Arieli, Kovorsitzende der Aguda, dem landesweiten
LGBT-Verband. Viele Frauen empfänden die Umgebung auf dieser seit Jahren
von Männern geplanten Veranstaltung als nicht besonders angenehm. Doch auf
der diesjährigen Parade seien „mehr Frauen dabei gewesen, als je zuvor“.
Zudem seien 80 Prozent der Bühnenauftritte von Frauen gestaltet worden,
sagt Arieli.
## Jerusalem ist politischer
Das jährliche Großevent in Tel Aviv lässt die Kassen klingeln bei allen,
die am Tourismus verdienen. 200.000 Teilnehmer zählten die Veranstalter,
viele waren von weither angereist. Doch „Tel Aviv ist nicht Israel“, sagt
Cannings. In Jerusalem traut sich nur ein Bruchteil dessen mit der
Regenbogenfahne auf die Straße. Die Parade ist dort politischer, kein
Spektakel bunt oder karg bekleideter Männer, sondern Höhepunkt des steten
Kampfs gegen die LGBT-Gegner. Diese sind vor allem unter den streng
religiösen Juden zu finden, die Jerusalem stark prägen. Viele Straßen sind
am Schabbat für Autos gesperrt, die meisten Lokale bleiben am siebten Tag
der Woche geschlossen.
Orthodoxe und Ultraorthodoxe machen in der Heiligen Stadt beinahe 70
Prozent der Bevölkerung aus. Keine Pride-Parade ohne brennende Mülltonnen
und aufgebrachte Herren in schwarzen Kaftanen, die angestachelt von
Rabbinern und Politikern Schwule und Lesben verfluchen. Als „Boden vom Fass
der menschlichen Rasse“ bezeichnete etwa Benni Gopstein die Gay-Community.
Er ist Chef der radikalen Organisation Lahava, die sich die „Reinhaltung
des jüdischen Volks“ zum Ziel gesetzt. Die LGBT-Aktivisten hätten nur das
eine Ziel, „mit ihrem Schmutz die Atmosphäre in der Heiligen Stadt zu
verunreinigen“. Von einem „Marsch der Abscheulichkeit“ sprach im
vergangenen Jahr der Abgeordnete Bezalel Schmotrich von der Siedlerpartei
Das jüdische Heim nur wenige Tage vor der Demonstration.
Auch Bankis Mörder war von religiösem Fanatismus getrieben. Ischai
Schlissel hatte gerade eine zehnjährige Haftstrafe hinter sich, schon 2005
war er mit einem Messer auf Lesben und Schwule losgegangen. Damals
verletzte er drei Teilnehmer der Pride-Parade, im vergangenen Jahr sieben –
darunter Shira Banki, die wenige Tage später ihren Verletzungen erlag.
## Brennende Regenbogenfahnen
Die für dieses Jahr geplante Strecke ist länger und führt direkt durch die
Stadt. Am Ende der Kundgebung werden Bankis Eltern einige Worte sagen. Wer
will, kann am Ort des Überfalls Kerzen aufstellen oder Blumen niederlegen.
„Jetzt erst recht“, sagen die Veranstalter, die einen Balanceakt meistern
müssen. „Auf der einen Seite sind wir stolz und kämpfen offen für
Gleichberechtigung, auf der anderen Seite steht das Gedenken an Shira“,
sagt Cannings.
Für die LGBT-Community ist Jerusalem kein einfaches Pflaster. „Wenn hier
keine Polizei wäre, würde ich dir in den Kopf schießen“, soll eine
Aktivistin nach dem Angriff im vergangenen Jahr bedroht worden sein.
„Natürlich gab es schon vor dem Mord an Shira brennende Regenbogenfahnen in
Jerusalem“, sagt Cannings. Er kritisiert, dass die Regierung „Millionen in
Tel Aviv investiert, über Jerusalem aber keiner redet“.
Die bevorstehende Parade soll ohne politische Ansprachen abgehalten werden,
Politiker sind aber eingeladen, an dem Marsch teilzunehmen. „Wir wollen
keine leeren Slogans mehr hören“, meint Cannings. Ohnehin trauten sich die
wenigsten Politiker, offen Sympathie zu zeigen. „In Tel Aviv reden sie
gern, aber in Jerusalem fürchten sie, ihre Wähler vor den Kopf zu stoßen.“
Außerhalb von Tel Aviv, sagt Cannings, „ist LGBT in Israel noch tabu“.
21 Jul 2016
## AUTOREN
Susanne Knaul
## TAGS
orthodox
Israel
Judentum
Pride Parade
Schwerpunkt LGBTQIA
Christopher Street Day (CSD)
Ankara
Prag
Ultraorthodoxe
orthodox
orthodox
Israel
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
Gay Pride
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
## ARTIKEL ZUM THEMA
Attentat auf israelische Botschaft: Messerangriff in Ankara vereitelt
Ein türkischer Wachmann hat einen Angriff auf die Botschaft Israels
vereitelt. Der Verdächtige hatte eine Messerattacke geplant.
LGBTI*-Parade in Prag: Stärker als der Hass
Über 15.000 Menschen demonstrierten bei der Prague Pride für mehr
Gleichberechtigung. Auch an die Opfer des Attentats von Orlando wurde
gedacht.
Ultraorthodoxe Kinder in Israel: Geld gibt's – Einmaleins hin oder her
Auch Schulen, die nur Religiöses vermitteln, sollen vom Staat gefördert
werden. Dagegen regt sich Protest – sogar unter den Ultraorthodoxen.
Pride-Parade in Jerusalem: Streng gesichert feiern
25.000 Menschen nahmen an der LGBTI-Parade teil. Über 2.000 Polizisten
waren im Einsatz. Zuvor wurden mehrere mutmaßliche Attentäter festgenommen.
LGBT-Gegner in Israel: „Sie merken, dass sie verlieren“
Orthodox und schwul – für Daniel Jonas ist das kein Gegensatz. Religion
diene oft als Vorwand für Homophobie. Doch die Lage bessere sich.
Gay-Parade in Israel: Regenbögen bei 40 Grad im Schatten
Zehntausende nehmen am Umzug der LGBT-Community in Tel Aviv teil. Die
Polizei schützt die Veranstaltung mit einem Sonderaufgebot.
ESC-Kolumne #Waterloo in Stockholm 10: Der queere Wahnsinn
Der Israeli Hovi Star glänzt nicht nur mit seinem Namen. Er gilt vielen als
Held der Repräsentation in der queeren Angelegenheit.
Mord bei Gay-Pride in Jerusalem: Ultraorthodoxer Jude angeklagt
Laut Anklage soll der 39-jährige Jude, der in Jersualem sieben Menschen bei
einer Parade niedergestochen hat, die Tat geplant haben. Er zeigt keine
Reue.
CSD in Jerusalem: Verletzte bei Messerattacke
Ein ultraorthodoxer Jude stach bei der Gay Pride in Jerusalem auf Feiernde
ein. Es war nicht sein erster Angriff auf Homosexuelle.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.