# taz.de -- Ultraorthodoxe Kinder in Israel: Geld gibt's – Einmaleins hin ode… | |
> Auch Schulen, die nur Religiöses vermitteln, sollen vom Staat gefördert | |
> werden. Dagegen regt sich Protest – sogar unter den Ultraorthodoxen. | |
Bild: Nur Talmud? Oder doch ein bisschen Mathe? | |
JERUSALEM taz | Eigentlich sollte es ein Triumph werden für die | |
ultraorthodoxen Parteien Israels: Wie in den Koalitionsvereinbarungen | |
versprochen, nahm die Regierung jetzt ein Gesetz zurück, das den „Haredim“, | |
wie die Ultraorthodoxen genannt werden, von Anfang an missfallen hatte. | |
Demnach sollten die religiösen Schulen, die keine Basisfächer wie | |
Mathematik, Englisch und Naturwissenschaften unterrichten, keine staatliche | |
Förderung mehr erhalten. Seit einigen Tagen ist das anders: Auch jene | |
Schulen, die nur religiöse Inhalte vermitteln, können Geld vom Staat | |
erhalten. | |
Doch die uneingeschränkte Zustimmung aus den Reihen der Haredim blieb aus. | |
Fast 1.000 Eltern unterzeichneten gegen die Änderung eine Petition an | |
Bildungsminister Naftali Bennett von der nationalreligiösen Partei | |
„Jüdisches Heim“. | |
Ihre Kinder, heißt es in der Petition, sollten die Möglichkeit erhalten, | |
auch den Kernlehrplan zu studieren, den sie „für den Erfolg auf jeder | |
Lebensstufe brauchen“. | |
Haredim gehören zu den Ärmsten in der israelischen Gesellschaft. Im Schnitt | |
hat eine Familie sieben Kinder. Während die Frauen einige Jahre weltliche | |
Bildung kennenlernen, damit sie in Büros oder Ämtern arbeiten können, | |
widmen sich viele Männer vollständig dem religiösen Studium und sind auf | |
dem Arbeitsmarkt nicht vertreten. | |
## Kein Einmaleins in der Schule | |
Avraham Willis, ein 33-jähriger Mann mit Kippa, der sich als sehr religiös | |
bezeichnet, spricht offen über seine Geschichte: „Mit 25 Jahren war ich an | |
einem Punkt angelangt, an dem es nicht weiterging.“ Seine Familie hatte | |
nicht genug zum Leben und er keine Möglichkeit, etwas daran zu ändern. | |
Er schrieb sich an einer Universität ein, wollte etwas in Richtung | |
Management studieren – und scheiterte. „Ich wusste nichts über Zahlen“, | |
gesteht Willis. „Ich musste von Anfang an beginnen.“ In seinen | |
ultraorthodoxen Schulen hatte er nicht einmal das Einmaleins gelernt. „Man | |
macht sich keine Vorstellung davon, wie hart es ist, diese Grundlagen mit | |
Anfang zwanzig oder dreißig nachzuholen.“ | |
Heute ist Willis Inhaber einer Consulting-Firma. Was er sich wünscht, ist | |
eine Kombination aus anspruchsvollen religiösen und säkularen Inhalten. Die | |
vereinzelten Schulen, die das schon anbieten, beschränken sich auf wenige | |
Grundlagen. | |
## Talmud-Studium als „Hirnwindungstraining“ | |
Roni Gross arbeitet im Einsteinarchiv der Hebräischen Universität in | |
Jerusalem. „Wir möchten uns nicht von außen diktieren lassen, was unsere | |
Kinder lernen sollen“, sagt Gross. Er sei nicht zwangsläufig gegen den | |
Unterricht in Basisfächern, doch man sollte sich freiwillig dafür | |
entscheiden können. Auf den arabischen Sektor und was dort in den Schulen | |
veranstaltet werde, gebe es keinen Druck, „das trauen sich unsere Politiker | |
nicht“. | |
Für Gross ist auch das Arbeitsmarktargument scheinheilig: „Wenn Haredim mit | |
Säkularen um einen Job konkurrieren, verlieren sie ohnehin. Es gibt kein | |
ehrliches Interesse, Haredim in den Arbeitsmarkt zu integrieren.“ Seine | |
Söhne verstünden zwar nichts von Mathe, Geschichte und Geografie, „dafür | |
aber sprechen sie neben Jiddisch und Hebräisch auch Aramäisch“. Das | |
Talmud-Studium sei die hohe Schule des Denkens und als | |
„Hirnwindungstraining“ mit nichts anderem vergleichbar. | |
Die ultraorthodoxe politische Aktivistin Pnina Pfeuffer hat seit der | |
Petition mehrere Termine im Bildungsministerium wahrgenommen, darunter | |
„wenig erfolgreiche“. „Die nationalreligiösen Parteien wollen keinen Str… | |
mit den Haredim. Sie brauchen sie zur Machterhaltung“, meint sie. Dabei | |
leide der Arbeitsmarkt an der Unterrepräsentation von Haredim. In vierzig | |
Jahren könnten sie die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. | |
12 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Hanna Voss | |
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