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# taz.de -- Milchbauern in der Krise: Stille im Stall
> Auf dem Milchgipfel verspricht die Regierung rund 100 Millionen Euro
> Hilfe. Bauer Sebastian Köhler zuckt mit den Schultern: „Sterbegeld“ sei
> das.
Bild: Sebastian Köhler hat einen Plan: Er will die älteste Kuhherde Deutschla…
Parey taz | Plötzlich steht Sebastian Köhler da, wie aus der Erde
gewachsen. Ein hochaufgeschossener Typ in Cargo-Hosen und T-Shirt. Die
mächtigen Boots erinnern an einen Bergsteiger, dabei ist ringsum plattes
Land. Der Himmel wölbt sich über Parey im Nordosten Sachsen-Anhalts,
Wolkenschiffe ziehen. Irgendwo hinter den Bäumen schlängelt sich die Elbe.
Der Elbauenhof ist so weitläufig, es sei besser, bei der Ankunft anzurufen,
damit man sich nicht verfehlt, hatte Köhler geraten.
Weitläufig ist er – und still. Sicher, die Kühe brauchen Ruhe. Pfeifen ist
bei den Tieren verboten, sagt Köhler beim Gang über den Hof, und auch
Senta, die betagte Hündin, gibt keinen Mucks von sich. Doch es ist eine
Stille, die auf Dauer nervös macht. Sebastian Köhler ist der Herdenmanager
– so etwas wie der zweite Chef hier. Er führt zu den Milchkühen. Hinter
einer Ecke öffnet sich ein langer Gang, der an die hundert Meter lange
„Futtertisch“. Hinter einem Geländer stehen die Kühe, davor liegt eine
breite Spur Futter. Unentwegt wühlen die Mäuler im faserigen Häcksel,
schieben es mit ihren Zungen zusammen und lassen es im Rachen verschwinden.
Aus den Nüstern zischt es genüsslich.
Saubere Kühe, schwarz-weiß gescheckt, glattes Fell – „wie gewaschen“, s…
Köhler. Jedes ein Prachtexemplar der Rasse Holstein-Frisian und bald
vielleicht nur noch Rindfleisch im Kühlhaus. Es ist noch nicht lange her,
da fraßen hier 200 Kühe. Jetzt sind es 110. Weiter hinten ist der Gang
leer. Vor Wochen kam ein Viehhändler und hat die Tiere eingeladen. Für
Milchkühe, die verkauft werden, gibt es derzeit nur ein Ziel: den
Schlachthof.
„Wir können die Kühe nicht abstellen.“ Es klingt wie eine Entschuldigung,
was er jetzt sagt. „Wir können sie auch nicht schlechter füttern.“ Kühe
sind Lebewesen, keine Milchautomaten. Man kann nicht einfach den Stecker
ziehen. Man kann sie nur verkaufen, für jämmerliche 400 Euro, ein Viertel
des normalen Preises.
## Tausend Euro Miese am Tag
Wenn sie da sind, müssen sie gefüttert und gemolken werden. Aus ihren
großen Augen blicken die Tiere auf den 32-Jährigen, als sei er einer der
ihren. Manche wiegen freundlich den Kopf, andere drücken den Hals durch.
Die prallen Euter, von Adern überzogen, glänzen rosa.
Köhler schaut ihnen schweigend zu. „Kein Stress, nur Ruhe“, sagt er dann.
So geben Kühe ordentlich Milch. „Die Ruhe überträgt sich.“ Für einen
Augenblick könne man das ganze Elend vergessen, das sich über dem Hof
zusammengebraut hat.
Das Drama vollzieht sich unbemerkt. Wenn der Tanklaster mit der Milch
aufbricht, macht Bauer Janssen, Chef des Elbauenhofes, tausend Euro Miese.
So hat Ewald Janssen zwei Tage zuvor schon am Telefon geklagt – Tag für
Tag. Janssen will noch hinzukommen, erzählen, wie das ist, wenn sich ein
Betrieb langsam auflöst. Aber wo ist der Chef? Köhler reckt den Hals. Nicht
zu sehen.
## Es geht auch ohne Sojaschrot
Der Milchpreis fällt und fällt. Von 40 Cent im März 2014 auf jetzt unter 20
Cent. „Wie soll das gehen, wenn schon das Futter 14 Cent pro Liter
kostet?“, erregt sich Köhler und zählt auf: Grassilage,
Zuckerrübenschnitzel, Biertreber, Rapsschrot, Gerstenschrot, Stroh, alles
regional, kein Sojaschrot. „Es geht auch ohne.“ Darauf legt er Wert.
Man muss nicht das Futter aus Argentinien beziehen, schiebt Köhler nach.
Und man muss auch nicht auf Biegen und Brechen auf den Weltmarkt setzen.
Der Weltmarkt – es ist ein sperriger Begriff, der nicht recht hierher
passt, wo es säuerlich nach Kuh riecht und manchmal intensiv nach frischen
Fladen. „Abkoppeln muss man sich“, ist Köhler überzeugt.
Das Geschäft der Milchbauern passt nicht zum Weltmarkt, jedenfalls nicht
mehr. Das globale Wechselspiel von Angebot und Nachfrage – vor wenigen
Jahren war es Verheißung, weil die Menschen in China ihre Liebe zum Joghurt
entdeckten. Russland importierte deutschen Käse. Milchprodukte waren
Wohlstandsindikator. Ökonomen, Minister und Verbandsfunktionäre rieten den
Bauern, kräftig zu investieren. Der Weltmarkt, hieß es, sauge alles auf,
als wäre da ein gigantischer nimmersatter Schmetterling am Werk.
## Im April fiel die EU-Milchquote
Doch dieses Wesen ist launisch. Russland hat EU-Lebensmittelimporte
gestoppt, um Brüssel für die Sanktionen zu strafen. Den Chinesen vergeht
der Appetit auf teuren Käse, weil die Konjunktur im Land schwächelt. Aber
das Angebot steigt weiter, weil im April 2015 die Milchquote in der EU fiel
und die vielen Kühe in den neuen Ställen immer mehr Milch geben. Und das
nicht nur in der EU, auch in den USA, in Argentinien, Neuseeland.
Es ist wie das Märchen vom süßen Brei, wo eine Stadt im Hirsebrei versinkt.
Wie die Ballade vom Zauberlehrling. Die Elemente, eben noch rar, wollen
ihren Schöpfer verschlingen. Bauern haben aus purer Verzweiflung Milch auf
die Straße gekippt. Das wäre auch das richtige Rahmenprogramm für den
„Milchgipfel“ in Berlin, überlegt Köhler. „Wasser, Gülle, Milch“, z�…
die Druckmittel der Bauern auf. Alles rauslassen, die Wilhelmstraße fluten,
Randale machen. „Wie die Franzosen.“ Köhler steht wieder so da, die Hände
in den Taschen. Es ist das erste Mal, dass er bedrohlich klingt, trotz der
sanftmütigen Gesellschaft.
Beim „Milchgipfel“ am Montag hatte Bundeslandwirtschaftsminister Christian
Schmidt von der CSU Verbandsvertreter und einige Länderminister am Montag
geladen. Ergebnis: Mindestens 100 Millionen Euro an Hilfe sollen die
Milchbauern erhalten. Proteste gab es derweil am Brandenburger Tor. Statt
Gülle und Milch haben die Bauern dieses Mal Paare von Gummistiefeln
mitgebracht und aufgestellt, um auf das Sterben der Höfe aufmerksam zu
machen.
## Tee, Kluntjes und Janssen-Milch
Abgeschirmt hinter einer Plane liegt die Terrasse der Janssens. Ein
künstlicher Brunnen plätschert, an der Wand hängen Eggen. Mit einer
winzigen silbernen Kelle gibt Monika Janssen behutsam dicke Milch, fast
schon Sahne, in die Tasse. Natürlich Janssen-Milch. „Die andere rahmt ja
nicht mehr“, tadelt die Bäuerin, sie meint die homogenisierte Milch im
Supermarkt. „Schon deswegen müssen wir die Kühe behalten“, sagt sie und
lacht. Der Rahm zieht Schlieren, ehe er sich mit dem Tee vermischt. Dann
schickt sie Kluntjes, weißen Kandis, hinterher.
Dieses Ritual verrät die Herkunft der Familie. Ja, sie sind vor 21 Jahren
von Ostfriesland gekommen, erzählt Monika Janssen. Sie haben später den Hof
übernommen, haben investiert, das Haus gebaut, sieben Arbeiter eingestellt.
Im Januar 2015 kam Sebastian Köhler hinzu, ein Landwirt aus dem Sauerland.
Janssen suchte einen, der den Milchviehbetrieb übernehmen wird. Die
Tochter, die mit am Tisch sitzt, einen Säugling im Arm, hat sich für
Physiotherapie entschieden. Auch harte Arbeit, aber krisenfest.
Wo ist der Bauer bloß? Die Bäuerin greift zum Handy. „Zwischen Himmel und
Erde“, gibt Janssen durch und lässt sich entschuldigen. Eine Havarie in der
Biogasanlage. Das Gas hat das Dach aus der Dichtung gehoben und Janssen
versucht in acht Metern Höhe, inmitten von Hitze und Gas, diesen Gummi
wieder einzusetzen. Und das am Samstagnachmittag. Immerhin – die Anlage
macht noch Geld.
## „Wo ist das Kartellamt?“
Monika Janssen, ein schlanke resolute Frau, wuppt einen schweren
Aktenordner auf den Tisch, die Abrechnungen. Wie wenig die Milch wert ist,
die derzeit vom Hof geht, wird sie erst Mitte Juni erfahren, wenn der Mai
abgerechnet wird. Vielleicht 18 Cent, vielleicht weniger. Die Molkereien
verdienen, der Handelsketten verdienen, die Bauern sind
„Restgeldempfänger“. „Wo ist das Kartellamt?“, fragt Monika Janssen. �…
ist doch verboten, eine Sache unterm Erzeugerpreis zu verkaufen.“
Die hundert Millionen Euro, die Landwirtschaftsminister Christian Schmidt
verspricht, Zuschüsse, Bürgschaften, Freibeträge – nichts als „Sterbegel…
sagt Köhler. Dass es auch anders geht, sehe man bei der Autoindustrie, den
Banken. „Stirbt der Bauer, stirbt das Land“, haben sie neulich an der
Bundesstraße plakatieren lassen. Zwischen Kuchen, Tee und Rahm kommt man
sich plötzlich sehr verlassen vor.
Köhler muss jetzt aber los, zum Melkstand. Um fünf strömt dort wieder das
„weiße Gold“, das den Elbauenhof arm macht. Bis vor Kurzem haben
Hofangestellte gemolken, jetzt ist es vor allem einer: Sebastian Köhler. Im
April wurden die sieben Mitarbeiter entlassen, macht 15.000 Euro Einsparung
im Monat. Der letzte große Posten.
## Die älteste Kuhherde Deutschlands
Dabei gäbe es genug zu tun. Köhler will noch seine 30 Färsen zeigen,
zuchtreife Tiere, die bald besamt werden müssten. „Makellose Tiere“,
schwärmt Köhler. „Ich kenne jedes davon, ich kenne die Mutter, die
Abstammung. Das ist meine Zukunft.“ Für einen Augenblick ist der Kummer wie
weggeblasen. Köhlers Plan: Er will die älteste Herde Deutschlands aufbauen.
Kühe, die zwar etwas weniger Milch geben, dafür aber weitaus länger leben
als die fünf Jahre, die eine Milchkuh im Schnitt hat, acht, zehn, fünfzehn
Jahre – nachhaltig, tierfreundlich und wirtschaftlich sinnvoll.
Und dazu käme der neue Stall mit einem Melkroboter. Die Herde könnte
geradezu autonom agieren. Köhler träumt sich tief in die Zukunft hinein.
Dann könnte seine Herde frei spazieren, zwischen Ruheplatz im Stall,
Futtertisch und der Weide. Und wenn das Euter drückt, geht's zum Roboter.
Es klingt wie im Sanatorium.
Und, werden sie besamt? Köhler zögert, schaut auf die Kühe, sagt: „Ich wei…
es nicht“, und stochert mit den Schuhspitzen in Staub. „Ich weiß es nicht�…
wiederholt er. Zutraulich sind die Färsen zur Absperrkette gekommen. Ihre
gelben Marken mit Nummern und Geburtsdatum, eins in jedem Ohr, wackeln
lustig.
30 May 2016
## AUTOREN
Thomas Gerlach
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