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# taz.de -- Schlacht um Wien, Schlacht um Europa: Die Lust am Zerstören
> In Österreich will ein Ausländerfeind zum Bundespräsidenten gewählt
> werden. Die Neue Rechte in ganz Europa fühlt sich im Aufwind.
Bild: Österreich muss sich entscheiden: Alexander Van der Bellen (l) und sein …
Es gibt Leute, die beherrschen das Spiel mit der Angst meisterhaft. Der
Schweizer SVP-Poltiker Christoph Blocher ist so einer. Er braucht nur einen
Satz, um seine Botschaft loszuwerden. „In den Gemeinden herrscht Angst vor
der starken Zunahme der illegalen Migration,“ so der Beginn seiner diese
Woche in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) veröffentlichten Zuschrift. Eine
einfache Behauptung, die sitzt: Gemeinden, Angst, illegale Migration.
Gemeinsamer Oberfeind europäischer Angst- und Wutbürger ist derzeit Angela
Merkel und die deutsche Bundesregierung. Sie wird beschuldigt, durch die
Grenzöffnung für Bürgerkriegsflüchtlinge im Herbst unbedacht einen
Migrationssog in die Länder der Europäischen Union ausgelöst zu haben („wir
schaffen das“).
Prominentestes politisches Opfer zuletzt: der gerade zurückgetretene
österreichische Bundeskanzler Werner Faymann. Der Sozialdemokrat war im
Herbst Seite an Seite mit Merkel für eine humane Lösung der
Flüchtlingskrise eingetreten – im neuen Jahr dann aber vor dem Trommelfeuer
der Nationalisten eingeknickt. Seine SPÖ-ÖVP geführte Regierung machte für
Flüchtlinge die EU-Binnengrenzen zu, anstatt wie Merkel eine Lösung an den
EU-Außengrenzen mit einer Kontingentierung zu suchen.
Die Quittung für Faymanns Wankelmut: die Präsidentschaftskandidaten der
„Volks“parteien ÖVP und SPÖ schrumpften auf jeweils etwa 10 Prozent
Stimmenanteile, erhielten zusammen etwa gerade so viele wie der Grüne
Alexander Van der Bellen im ersten Wahlgang alleine. Der tritt nun am
Sonntag in der Stichwahl gegen den Rechtspopulisten Norbert Hofer von der
FPÖ an.
Zwar ist die Balkanroute nach Merkels Deal mit der Türkei inzwischen wieder
geschlossen, doch viele national denkende Menschen verzeihen ihr
Grenzöffnung, Willkommenskultur und „Weichherzigkeit“ nicht. Ebenso in
Deutschland, wo die Lage bei weitem nicht so dramatisch wie in Österreich
ist. Doch auch hier gibt es inzwischen einen veritablen Aufstand gegen
Merkels „Weiberwirtschaft“, orchestriert von häufig besserwisserisch und
schlecht gelaunt klingenden älteren Herren. In Flaggschiffen der
konservativen Presse vergeht kein Tag, in welchem man sich nicht als
nationales Opfer von Merkels Flüchtlingspolitik und dem angeblichen
Tugendterror der Linken geriert.
## Nörgelnde Geistesgrößen
Als führende Nörgler betätigen sich dabei auch Geistesgrößen wie Historiker
Heinrich August Winkler oder Wolfgang Streeck, emeritierter Direktor des
Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. „Ebenso wie an der
Euro-Rettung lässt sich auch an der Flüchtlingspolitik die zerstörerische
Dynamik des neudeutschen Sonderwegs illustrieren,“ verkündet Streeck per
Essay der Leserschaft der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).
Gerade galt er im Kulturbetrieb noch als aufregender EU- und
Kapitalismuskritiker, nun ereifert er sich – „ein Merkel-Kritiker von
links“ (FAZ) – nationalistisch über die angebliche „One Woman Show“ der
Kanzlerin. Von „Denkverboten“ in der Flüchtlingspolitik schreibt Streeck
und jammert, man würde da schnell „in die rechte, bräunliche bis braune
Ecke“ abgeschoben.
Nun, viele scheint das nicht wirklich abzuhalten, fast fühlt man sich
rechts schon wieder als schneidige Avantgarde und denkt fleißig vor sich
hin. Nur wie der akademische Stammtisch mit den Hunderttausenden
Bürgerkriegsflüchtlingen oder gar vor Ort mit dem Konflikt in Syrien denn
umgegangen wäre, davon ist nichts zu hören. Geflissentlich ignoriert man,
dass mit Isolationismus in einer globalisierten Welt kein Blumentopf zu
gewinnen und auch keines der supranationalen Probleme zu lösen ist. Meckern
ist leichter, als selber einen konstruktiven Gedanken zu fassen.
## Kaum noch integrationsfähige Zeitgenossen
„Es gehört zur Paradoxie des umstandslos dominant gesetzten
Universalismus,“ behauptet etwa Heribert Seifert in einem redaktionellen
Beitrag der NZZ, „dass in der Willkommenskultur auch der soziokulturell
Fremdeste auf nahezu grenzenloses Verständnis vertrauen kann, während die
Landsleute, die sich jenem Kult widersetzen und tradierte Lebensformen
pflegen möchten als kaum noch integrationsfähige Zeitgenossen erscheinen“.
Die Öffnung gegenüber den völkisch-nationalistischen Flügeln innerhalb von
AFD und SVP ist bei einigen Medien in vollem Gange. Doch, wer hetzerische,
neurechte Propagandaphrasen wie die von Seifert veröffentlicht, dem geht es
weniger um die „Meinungsvielfalt“. Eher hat man Angst, die kommende Party
zu versäumen. Und glaubt wohl sicher zu wissen, wer diese ausrichtet. Doch
da kann man sich täuschen. Wie FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer
in Österreich, der auf der Zielgeraden zur Wiener Hofburg noch scheitern
könnte.
Gut ein Drittel der Stimmen landeten im ersten Wahlgang bei Hofer
(„Österreich zuerst“). Doch Konkurrent Van der Bellen hat aufgeholt und die
bürgerliche Mitte mobilisiert. Hofer – „der Wolf im Schafspelz“
(Nachrichtenmagazin profil) – polarisiert mit seinen
klassenkämpferisch-völkischen Tiraden. Doch sein allzu forsches Auftreten,
was er denn als Präsident so alles machen würde – Parlament auflösen,
Neuwahlen, wann es ihm passe – könnte dem FPÖ-Mann Stimmen gekostet haben.
Die Umfragen zeigten Hofer und Van der Bellen zuletzt Kopf an Kopf.
## „Selbstgefälligkeit und moralischer Selbstüberhöhung“
Der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic warnte zurecht vor
„Selbstgefälligkeit und moralischer Selbstüberhöhung“ der Linken in der
Auseinandersetzung mit der FPÖ und Norbert-Hofer-Wählern. „Dass
Massenzuwanderung aus Ländern, über die wir wenig wissen, bei manchen
Menschen Ängste auslöst, ist ja nicht unverständlich,“ sagte er der
Tageszeitung Kurier.
Auch Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) kritisierte in einem
Strategiepapier Schwarz-Weiss-Denken in der Auseinandersetzungen mit der
Rechten. Ohne Toleranz und Sachlichkeit gehe es nicht. „Wir sollten die AfD
nicht dämonisieren. Solange die AfD nur rechtspopulistisch ist, sollten wir
sie nicht als Nazis bezeichnen“, so der SPD-Vize.
Aber genau hier liegt das österreichische Problem: diese Unterscheidung
funktioniert bei der FPÖ (wie bei Teilen der AfD im Osten Deutschlands)
nicht wirklich. Die FPÖ-Propaganda fußt in Österreich auf
Ausländerfeindlichkeit und provoziert permanent durch Deutsch-Nationalismus
und offene Anleihen beim historischen Nazismus.
In Österreich begriff man sich in gewissen Kreisen nie als das Tätervolk,
welches den Massenmörder Adolf Hitler hervorbrachte, sondern als das
eigentliche Opfer zweier Weltkriege. Die Abgrenzung zum Nationalsozialismus
gehört – anders als in der Bundesrepublik – bei größeren Teilen von
Bevölkerung und Entscheidern nicht zum Grundkonsens. Man konservierte hier
eine ungute Mischung aus Minderwertigkeitskomplexen nach dem Verlust der
Donaumonarchie und Omnipotenzwahn des Deutsch-Nationalismus. Fixer
Fluchtpunkt ist das rituelle Opfergehabe eines seiner Größe beraubten
Österreichs.
## Südtirol statt Europa
Zur FPÖ-Feindlichkeit gegenüber dem „Goliath“ EU gehört von daher auch
immer die Anrufung des Zwergenkampfes um das zu Italien gehörende Südtirol.
„Ich will die bestehende Wunde heilen und Tirol die Möglichkeit geben, sich
wieder mit Österreich zu vereinen“, provozierte FPÖ-Chef Strache mitten im
Präsidentenwahlkampf. Das bringt Aufmerksamkeit, ungeachtet dessen, dass
die meisten Südtiroler gar nicht heim ins Österreich möchten, mit EU und
ihrem Autonomiestatus in Italien sehr zufrieden sind.
Bei all dem wundert kaum, dass Kandidat Hofer, der wie viele FPÖler
Ehrenmitglied einer deutsch-nationalen Burschenschaft ist, im Wahlkampf
einen gewissen Odin Wiesinger als seinem Lieblingsmaler hervorhob. Dieser
Odin Wiesinger, geboren 1961 in Andorf im oberösterreichischen Innviertel,
ist in der braunen Subkultur für seine deutschtümelnden Heroen- und
Soldatenbilder bekannt, „völkischer Retro-Stil“ wie die Tageszeitung Die
Presse urteilte. Bei der FPÖ sitzt der Runenkünstler ganz vorne mit dabei.
Dies und alle anderen Dokumente und Entgleisungen, die man in Deutschland
von NPD oder Pegida her kennt, halten viele Österreicher nicht ab, der FPÖ
und ihrem Kandidaten die Stimme zu geben.
Bliebe jedoch festzuhalten, dass Rot-Grün und ein standhafter Bürgermeister
Michael Häupl trotz Flüchtlingskrise im Oktober die Gemeinde und
Landtagswahlen in Wien für sich entscheiden konnte. Der Sonntag wird nun
zeigen, ob der Wechsel an der Regierungsspitze von Faymann zu Christian
Kern (SPÖ) noch rechtzeitig kam. Kern unterstützt die Wahl Van der Bellens.
Und, bürgerlich genug sollte der grüne Wirtschaftsprofessor Van der Bellen
aus dem Tiroler Kaunertal für das demokratische Österreich doch wohl sein.
20 May 2016
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
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