# taz.de -- Österreichische Schriftstellerin zur SPÖ: „Das ist eine Mobbing… | |
> Österreich bekommt einen neuen sozialdemokratischen Kanzler. Die Umstände | |
> des Wechsels beschreibt Autorin Marlene Streeruwitz mit einem Wort: | |
> unheimlich. | |
Bild: „Faymann war wie ein altmodisches Mädchen […], dazu erzogen, zu gefa… | |
taz: Frau Streeruwitz, Österreich bekommt am Dienstag einen neuen | |
Bundeskanzler. Was erwarten Sie von Christian Kern? | |
Marlene Streeruwitz: Ich bin sehr neugierig, wie dieser Mann medial wirken | |
wird. Wirkt er zuverlässig und wahrheitsgetreu oder nicht? Sein Vorgänger | |
Werner Faymann hat immer nett gewirkt, aber bemüht. Er hat im Bemühen, es | |
richtig zu machen, nie wahrheitsgetreu auftreten können. Das aber ist ja | |
dann auch die Wahrheit gewesen, die er uns in der Flüchtlingspolitik | |
vorführte, nämlich dass er eben jeden Tag einer anderen Wahrheit folgte, | |
die er dann Sachzwang nannte. Die Trumps dieser Welt glauben zuallererst | |
sich selbst und das stellt sich dann in den Medien als Wahrheit dar. | |
Faymann ist also zu nett, zu sehr bedacht, nicht anzuecken? | |
Faymann war da wie ein altmodisches Mädchen. Wir wurden ja dazu erzogen, zu | |
gefallen. Unsere Identität war erst hergestellt, wenn uns alle mochten. | |
Dabei geht das Ich verloren. Wenn ein Mann so agiert, ist das genau | |
dasselbe. Man hatte bei Faymann nie den Eindruck, dass er etwas Bestimmtes | |
wollte. Gemocht werden – das ist das Marketing von Medienstars. Dafür hätte | |
er singen oder schauspielen müssen, also eine der Techniken der | |
Repräsentation vortäuschen. | |
Also brauchen wir einen Macho im Kanzleramt? | |
Nein. Wir brauchen eine Person, die verbindlich und wahrhaftig ist und von | |
sich selbst absehen kann. Das könnte natürlich auch eine Frau sein. Es ist | |
ja in der ganzen Debatte nie auch nur ein Frauenname aufgetaucht. Das | |
erzählt uns, dass es hierzulande diese patriarchale Selbstverständlichkeit | |
von Repräsentation als reine Männlichkeit gibt. Davon profitieren die | |
rechten Männer, die zwar lügen, aber diese Lügen authentisch vortragen | |
können, weil sie die Lüge als Etappe zum Erringen der Macht ansehen können. | |
Von einem Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Österreichs würde | |
ich mir eine andere Identität wünschen: weltläufig, offen, eine, die | |
Vielfalt akzeptiert und nicht fürchtet. | |
Faymann trat zurück, weil er am 1. Mai ausgepfiffen wurde und ihm dann die | |
Bundesländer die Gefolgschaft verweigert haben. | |
Wenn es stimmt, dass dieser Machtwechsel ein Jahr lang vorbereitet wurde, | |
ist mir das unheimlich. Ich mag solche Palastrevolutionen nicht. Hat man | |
Faymann nur wegbringen können, indem man ihn auspfeift und fertigmacht? | |
Ohne diese für alle Welt sichtbaren Unmutsäußerungen wäre das vielleicht | |
nie passiert. | |
Das ist ja wie in „House of Cards“. Ich find’s scheußlich. Das ist eine | |
Mobbinggeschichte. Ich habe kein gutes Gefühl, wenn eine Partei einen | |
Wechsel nicht über eine Verständigung, sondern durch Mobbing zustande | |
bringt. Das kennen wir ja von der Österreichischen Volkspartei. Da trägt | |
eine Mobbingkampagne nach der anderen zur Unterhaltung bei. Aber es ist | |
immer Mobbing. Wollten wir nicht achtungsvolleren Umgang miteinander? Und | |
ist das nicht das, was diese altmodische Vorstellung vom „Abenteuer | |
Geschichte“ bedient, bei dem am Ende immer Krieg herauskommt? Alle erwarten | |
von der Politik ein Abenteuer. Aber das ist es nicht. Das hat mit Männern | |
zu tun, die das Abenteuer brauchen. | |
Unter Kanzler Bruno Kreisky in den siebziger Jahren gab es historische | |
Aufgaben wie die Reform des Familienrechts, die rechtliche Gleichstellung | |
der Frau etc. Sind die Themen der Sozialdemokratie abgehakt? | |
Überhaupt nicht. Das Projekt der sozialen Demokratie ist in den 80er Jahren | |
aufgegeben worden. Die Folgen treten heute zutage. Eine verfehlte | |
Geschlechterpolitik, in der ein Mann immer noch glauben kann, der | |
Familienerhalter zu sein, erhält Ungleichheit und Rollennostalgie. | |
Das ist er in der Praxis ja auch meistens. | |
Nein. Das ist ein Glaube. Die Rahmenbedingungen lassen das nicht mehr zu. | |
Aber die Sozialdemokratie hat das koalitionär zugelassen. Johanna Dohnal … | |
… die langjährige Frauenministerin der SPÖ … | |
… war ja am Ende wütend. Ihr Projekt wurde nicht zu Ende geführt. „Man“… | |
sich dem Neoliberalen ergeben. Leichten Herzens übrigens. In Österreich | |
herrscht ja Sexismus durch Auslassung. Es wird nicht einmal geredet | |
darüber, dass es diese fürchterliche Frauenarmut im Alter gibt oder dass | |
Frauen unversorgt ihre Kinder großziehen müssen. Das sind Schicksale, wie | |
sie in Texten des Schriftstellers Arthur Schnitzler … | |
… im letzten und vorletzten Jahrhundert … | |
… vorkommen, die aber heute gelebt werden müssen. Die Logik ist also die: | |
Ein Mann bekommt mehr bezahlt, weil er ja doch der Familienerhalter ist. | |
Wenn er diese Aufgabe aber nicht erfüllen will, dann bekommt er immer noch | |
mehr bezahlt und seine Frau und seine Kinder fallen unter die Armutsgrenze. | |
Ein schönes selbsterfüllendes Unrechtsregime ist das. Und die SPÖ hat das | |
immer mitgetragen. Demokratie kann nur über Geschlechtergerechtigkeit | |
hergestellt werden. Das ist nicht gelungen. Dafür haben wir wieder | |
Parteien, die patriarchale Männermodelle anbieten. Mit Erfolg. Es wurde in | |
Österreich ja immer suggeriert, dass ein Mann ein Mann ist. Hätte die | |
Sozialdemokratie vor zehn Jahren die bedingungslose Grundsicherung | |
eingeführt, hätten wir alle diese Probleme nicht. Aber da ließ man sich von | |
der Finanzkrise verwirren und musste – ach! huch! – die Finanzwirtschaft | |
retten. | |
Wenn von der Krise der Sozialdemokratie die Rede ist, wird meist beklagt, | |
dass die große Erzählung fehlt. | |
Eine politische Partei ist kein Roman. Eine politische Partei ist das | |
Medium einer Weltsicht. Wenn aber nun, wie in Österreich, von der | |
Freiheitlichen Partei Österreichs das vertragstheoretische Modell der | |
Demokratie der Gleichen verlassen wird und ein hierarchisches Modell | |
vorgelegt wird, in dem über Geburtszugehörigkeit Ausschlüsse vorgesehen | |
sind, dann ist dieser Staat an einer Grundfrage angelangt. Eigentlich | |
müssten SPÖ und ÖVP fusionieren, um – ähnlich wie die Demokratische Partei | |
in den USA – einen Block gegen das Aufkündigen des Modells zu bilden. | |
Werner Faymann ist nicht zuletzt über die sogenannte Flüchtlingskrise | |
gestürzt. | |
Da geht es auch um das in der Frauenbewegung begonnene Aufbrechen des | |
Blicks. An den Flüchtlingen kann man das sehr schön sehen. Die | |
Frauenbewegung hat ja begonnen, den Blick zu kritisieren, der auch der | |
Griff ist, der Zugriff, die Inbesitznahme. Der „Rechte“, der immer ein Mann | |
ist, obwohl er auch von einer Frau dargestellt werden kann. Der „Rechte“ | |
nimmt die Flüchtlinge und enteignet sie von der Krise. Plötzlich ist die | |
Mehrheitsbevölkerung in Not geraten, ein erstaunlicher Prozess. Das ist | |
Enteignung der Not. | |
Wir haben die Flüchtlinge des Notfaktors enteignet, nackt gemacht und uns | |
die Not angezogen. Das ist ein Vorgang der Kolonialisierung. Europa muss | |
also nun gar nicht mehr ausziehen, um sich kolonialisierend zu verhalten. | |
Die Kolonialisierung ist wieder in die Mitte eingezogen und wird die | |
Mehrheitsbevölkerung in unvorstellbarem Ausmaß brutalisieren, wenn nicht | |
sehr schnell und entschlossen ein demokratischer Weg eingeschlagen wird. | |
So gesehen: Brauchen wir die SPÖ überhaupt noch? | |
Es geht absolut darum, eine Partei mit einem linken Programm zu haben, das | |
längst nicht umgesetzt ist. Es geht um demokratischen Sozialismus. Da | |
gibt’s niemanden, der das ersetzen kann. Wir haben kein Podemos wie in | |
Spanien. Ich fände, es wäre eine Katastrophe, wenn sich die SPÖ auflösen | |
würde. | |
17 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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