# taz.de -- Pressefreiheit in der Türkei: „Mehr Repression, mehr Satire“ | |
> Serkan Altuniğne zeichnet für das Satiremagazin „Penguen“. Ein Gespräch | |
> über politische Kunst, eine kluge Jugend und den Humor der Mächtigen. | |
Bild: Ausschnitt aus einer aktuellen Zeichnung: „Dass es in der Türkei keine… | |
[1][Yazının Türkçesi için lütfen buraya tıklayın.] | |
In der Redaktion der Zeitschrift „Penguen“ in Istanbul ist es ruhig und | |
ordentlich. Vielleicht weil wir kurz nach Feierabend eintreffen. | |
Verwunderlich ist es trotzdem. Denn wenn man ein Exemplar des wöchentlich | |
erscheinenden Magazins durchblättert, das zu den letzten Vertretern der | |
Satiretradition in der Türkei gehört, bekommt man einen ganz anderen | |
Eindruck von der Redaktion: aufmüpfig, fies und oppositionell. Das ist ihr | |
wahrer Geist. Satiremagazine in der Türkei vermehren sich üblicherweise | |
durch Spaltung. Eine Handvoll Autoren und Karikaturisten verabschiedet sich | |
irgendwann von ihrem Magazin und gründet ein neues. | |
So wurde „Penguen“ 2002 von Karikaturisten und Autoren ins Leben gerufen, | |
die sich von der Zeitschrift „Leman“ getrennt hatten. Das Blatt erscheint | |
mit rund 25.000 Exemplaren pro Woche. Jeder Zeichner und Texter hat seine | |
Kolumne, aber für das Cover und die ersten beiden Seiten mit der aktuellen | |
türkischen Tagesordnung setzen sich alle zusammen. Mit diesen Seiten machen | |
sich Satiremagazine wie „Penguen“, „Uykusuz“ oder „Gırgır“ mitunt… | |
schärfste Feinde. Deshalb ist ihnen jede Art von Repression zur Gewohnheit | |
geworden, so wie eine treue Leserschaft. | |
taz.die günlük gazete: Serkan, als du anfingst, für „Penguen“ zu zeichne… | |
hast du dich kaum um Politik gekümmert. Später wurdest du politischer. Wie | |
kam das? | |
Serkan Altuniğne: Eigentlich beschäftige ich mich nach wie vor nicht gern | |
mit Politik. Aber die Umstände zwingen mich dazu. Du wirst politisiert, ob | |
du es willst oder nicht. Ein politisches Bewusstsein hatte ich schon immer. | |
Den Ausschlag gab der Gezi-Aufstand. Da dachte ich, [2][ich muss auch | |
endlich etwas sagen]. | |
Über den [3][Humor von Gezi] wurde viel geredet. Hat es dich überrascht, | |
dass Humor und Satire so verbreitet waren? | |
Nein. In diesem Land liegt Humor den Menschen in den Genen. Je mehr | |
Repression es gibt, desto mehr Satire. Andererseits: Wenn die Leute die | |
Hoffnung verlieren, sinkt auch die Auflage der Satiremagazine. Wenn ich | |
heute Studenten oder Gymnasiasten treffe, kriege ich die Krätze. Als wir so | |
alt waren wie sie, waren wir Rotzbubis. Ich kann mir zum Beispiel keinen | |
kreativeren Mauerspruch ausdenken als „Ich hab keinen Slogan gefunden“. | |
Aber die Kids heute sind so schlau. Sie haben einen so klugen Humor! Die | |
Satire rund um Gezi ging nicht nur gegen die Regierung, sie ging gegen | |
alle. Alle Einrichtungen wurden zur Zielscheibe, linke und rechte. Diese | |
schlauen Kids haben eine klügere Regierung und eine klügere Opposition | |
verdient. Dieses System haben sie wirklich nicht verdient. Ich denke, kein | |
einziger Politiker in diesem Land hat kapiert, wie klug diese Leute sind. | |
Deshalb sind wir mit dummen Dialogen konfrontiert und finden uns in | |
blödsinnigen Rangeleien wieder. | |
Neben juristischen Repressalien wie Prozessen oder Ermittlungen gegen | |
Journalisten erhöht sich auch der gesellschaftliche Druck auf sie. Spürst | |
du das bei „Penguen“ auch? | |
2012 wurde bei uns im Haus Feuer gelegt. Den letzten Prozess gab es 2014, | |
als Erdoğan Staatspräsident wurde. Auf einer Titelkarikatur von uns knöpfte | |
eine Figur dem Staatspräsidenten das Jackett zu. Es folgte eine Anklage | |
wegen Beleidigung des Staatspräsidenten. Die Zeichner mussten sich vor | |
Gericht mit der Aussage verteidigen: So knöpft man nun mal ein Jackett zu. | |
So was ist ärgerlich. Die Stimmung führt dazu, dass Karikaturisten, | |
Journalisten und Autoren eine Schere im Kopf spüren. Es sagt uns ja niemand | |
direkt: „Tu dies nicht und das nicht.“ Aber du weißt selbst, dass du es | |
nicht tun solltest. | |
Wie wirkt sich das auf dein Schaffen aus? | |
Ich versuche aufzupassen. Logischerweise will ich nicht in den Knast. Du | |
musst schon ein paarmal überlegen, bevor du etwas sagst. Vor allem muss ich | |
vorsichtig sein, wenn ich für das Magazin arbeite. Denn das könnte ja nicht | |
nur für mich, sondern auch für das Magazin Folgen haben. Der Druck ist | |
heftig. In diesem Land hatten wir nie wirklich freie Hand, aber vor zehn | |
Jahren war es einfacher. | |
Womit hängt es deiner Meinung nach zusammen, dass Humor und Satire in der | |
Türkei so leicht ihren Platz finden und sich Satirezeitschriften so gut | |
verkaufen? | |
Nicht nur in der Türkei, [4][in der ganzen Region hat Humor Tradition]. Die | |
Menschen hier waren schon immer darauf angewiesen, ihre Probleme indirekt | |
anzusprechen. Das erzeugt einen Reflex für Humor und Satire. Das betrifft | |
nicht nur die Regierung, auch in der Familie ist es so. Willst du deinem | |
Vater von einem Problem erzählen, musst du dich drum herumwinden. Deshalb | |
blicken wir wendiger und pfiffiger auf die Ereignisse als jemand aus | |
Europa. Der hat es ja meist gar nicht nötig, indirekt vorzugehen. | |
Anspielungen, Andeutungen, Verzerren und Verfremden und so weiter sind | |
typisch für uns. Weil wir unser Problem nicht direkt vortragen können. | |
Gibt es deiner Meinung nach eine Grenze für Satire? Darf sie beleidigen? | |
Beleidigung und Satire sind zwei verschiedene Dinge. Für Satire gibt es | |
meiner Meinung nach keine Grenze. Wenn du beleidigt bist, dann liegt das an | |
deiner Empfindlichkeit. Damit musst du klarkommen. Aber wenn ich beleidige | |
und es gibt eine juristische Entsprechung dafür, dann bringst du die ins | |
Spiel. Ich muss über alles scherzen dürfen. Ich zeichnete zum Beispiel | |
einmal eine Karikatur von Himmel und Hölle, und ein Leser schrieb mir eine | |
Mail: „Wieso nehmt ihr heilige Werte auf die Schippe?“ Da denke ich mir | |
doch: Ich habe kein Problem mit dem, was dir heilig ist, tu, was du willst. | |
Ich mache nur einen Scherz. Doch wenn man in der Türkei sagt, alles solle | |
erlaubt sein, kann das üble Folgen haben. Mir ist es einmal in den sozialen | |
Netzwerken passiert, dass jemand sagte: „Dann f… ich deine Mutter. Das ist | |
mein Recht auf freie Meinungsäußerung.“ Das ist aber natürlich keine freie | |
Meinungsäußerung, das ist eine Beschimpfung. Und im Übrigen ist es auch | |
keine Meinung – höchstens eine Wunschvorstellung. | |
Was meinst du, warum erträgt die Regierung Satire nicht? | |
Herrschende mochten Scherze noch nie. Sie auszuhalten hat etwas mit dem | |
Charakter und Selbstvertrauen der Machthaber zu tun. Unsere Regierung denkt | |
offenbar: „Wenn ich mich einmal entblößen lasse, kommt mehr nach.“ Deshalb | |
üben sie null Toleranz. In der aktuellen Situation ist das aus ihrer Sicht | |
nicht ganz falsch. Denn sie verlieren überhaupt keine Stimmen. Ließen sie | |
aber mehr Satire gegen sich zu, könnte mehr daraus werden und sich das auch | |
auf die Stimmen auswirken. | |
In Europa, speziell in Deutschland, wird derzeit viel über das Verhältnis | |
zwischen Satire und Meinungsfreiheit in der Türkei diskutiert. Es geht | |
dabei häufig um das Lied „Erdowie, Erdowo, Erdoğan“ oder die Anzeige gegen | |
Jan Böhmermann wegen seines Gedichts. Andererseits ist ein | |
[5][Rückführungsabkommen zwischen der EU und der Türkei] in Kraft getreten, | |
auch darüber wird diskutiert. Was meinst du, warum sich Europa plötzlich so | |
sehr für die Repressionen in der Türkei interessiert? | |
Um ehrlich zu sein, finde ich das gestiegene Interesse ein bisschen | |
geheuchelt. Denn die Migrationskrise ist die Folge einer jahrelangen | |
imperialistischen Politik. Menschen flüchten aus ihren Ländern, um ihr | |
Leben zu retten – und Europa sagt: „Um Gottes willen, die sollen nicht | |
herkommen.“ Schön, sollen sie nicht kommen, aber Europa sorgt ja auch nicht | |
dafür, dass diese Menschen ein menschenwürdiges Leben führen können. Um das | |
Leben von Menschen zu feilschen ist beschämend – um es nett auszudrücken. | |
Auch dieses Interesse kommt mir falsch vor. Gäbe es diese Politik nicht, | |
wäre auch das Interesse nicht da. Erdoğan ist ja nicht erst seit gestern an | |
der Macht. Er steht seit vierzehn Jahren an der Spitze dieses Landes. | |
[6][Gözde Kazaz] ist Redakteurin der türkisch-armenischen Zeitung „Agos“ | |
2 May 2016 | |
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