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# taz.de -- Aus der zeozwei: Der Idealbürger
> Alexander Van der Bellen war elf Jahre lang Chef der Grünen in
> Österreich. Jetzt will er Bundespräsident werden. Wer ist der Mann?
Bild: Alexander van der Bellen bei der Verkündung seiner Kandidatur für das A…
Wien zeozwei | Die anstehende Bundespräsidentenwahl in Österreich am
Sonntag, 24. April ist etwas für wahre Gourmets. Wie diese noch die
feinsten Unterschiede schmecken, so erlebt jetzt das Publikum noch die
feinsten Schattierungen des Begriffs „Mitte“. Da gibt es die konservative
Mitte, die liberale Mitte, die gewerkschaftliche Mitte. Und dann gibt es
Alexander Van der Bellen, 72, der elf Jahre lang Bundessprecher der Grünen
war. Er tritt als unabhängiger Kandidat zu dieser Wahl an, die in
Österreich anders als in Deutschland eine Direktwahl ist.
Wer ist dieser Van der Bellen? Oder wie die einer Personenwahl adäquatere
Frage lautet: Was für eine Person ist dieser „VdB“? Da sind zum einen
Eigenschaften wie: moralisch, integer, anständig.
Nun muss ein Präsidentschaftskandidat mehr als nur die jeweiligen
Stammwähler ansprechen. VdB löst dieses Dilemma durch einen Spagat: Er
richtet seine Kampagne an zwei Themen aus: dem Thema Menschenrechte – mit
der Absage an Flüchtlingsobergrenzen und dem Bekenntnis zur
Hilfsverpflichtung; und dem erstaunlichen Thema Heimat. Die Erklärung liegt
in seiner Biografie. Österreich hatte ihn, das Flüchtlingskind,
aufgenommen. In dieser Verknüpfung bekommt „Heimat“ eine ganz andere
Konnotation.
## Karriere jenseits der Politik
Da sind zum anderen Eigenschaften wie: vernünftig, bedacht, ruhig,
nachdenklich, überlegt, respektvoll und respekterweckend. Das sind die
Charakteristika des Universitätsprofessors. Denn VdB ist der mittlerweile
seltene Fall eines Politikers, der nicht nur Wissen hat – jenseits der
Politik. Der nicht nur einen Beruf hat – jenseits der Politik. Sondern der
auch noch eine Karriere hat – jenseits der Politik. VdB ist
Universitätsprofessor für Volkswirtschaft. Er war sogar Dekan seiner
Fakultät. Ein Politiker, der zur „axiomatischen Präferenztheorie“
publizierte.
Spannend aber wird es, wenn man sieht, was der Professor daraus macht. Er
erfüllt alle bürgerlichen Kriterien: Bildung, Respektabilität, Anerkennung,
gute Umgangsformen bis hin zur Kleiderordnung. Und doch ist da noch etwas
anderes. Ein Überschuss über diese Vorgaben. Ein Mehr, das hinzukommt – und
alles verändert. Da sind Eigenschaften wie: authentisch, unarrogant,
entspannt, sehr entspannt. Manchmal langsam. Etwa beim Sprechen. Auch im
Fernsehen. Er erlaubt sich Pausen. Nachdenkpausen. Er sagt ungeheuerliche
Sätze wie: „Das weiß ich nicht.“ Gelassen. Unkonventionell. Was heißt das
bei jemandem, der alle Konventionen erfüllt?
Als Beleg fürs Unkonventionelle verweisen die Kommentatoren auf seine
Vorliebe für schwarze Rollkragenpullover. Oder auf seinen Hang zum
Dreitagebart. Aber das erfüllt die Kategorie des Unkonventionellen schon
lange nicht mehr. Selbst bei Politikern.
## Distanz zu den Codes bürgerlicher Kultur
Es gab da vor ein paar Jahren einen eigentümlichen Kinowerbespot. Man sah
darin die unterschiedlichsten Leute – Junge, Alte, Frauen, Kinder –, auf
die ein unerklärlicher Schatten fiel, wonach ihnen ein Dreitagebart wuchs
und sie zu strahlen begannen. Erst zum Schluss sah man das Gesicht, zu dem
der Bart eigentlich gehörte. Diese unerklärliche Freude ist vielleicht
tatsächlich symptomatisch für das Phänomen VdB. Denn der Professor hat
stets etwas von einem großen Buben. Einen Charme, der von seiner
Verschmitztheit herrührt. Seiner Selbstironie.
Man könnte das auch als Distanz zu den Codes der bürgerlichen Kultur
bezeichnen. Als spielerischen Umgang mit eben diesen. VdB zeigt: Wahre
Souveränität, also das wahre autonome, das wahre bürgerliche Subjekt ist
nicht jenes, welches die Normen erfüllt – sondern jenes, das auch noch das
Spiel mit den Codes beherrscht.
Es bedeutet, ernsthaft zu sein – also etwa wirklich gebildet zu sein – und
gleichzeitig selbstironisch. Es bedeutet, das Spiel des Öffentlichen, der
Demokratie ernst zu nehmen – aber mit einem Augenzwinkern. Es bedeutet, die
Vorgaben zugleich zu erfüllen und zu überschreiten. Oder anders gesagt: Das
bürgerliche Ideal ist erst dann erfüllt, wenn es auch überschritten wird.
Vielleicht ist ja das der Kern der grünen Kultur. Vielleicht ist das ja die
grüne Mitte.
23 Apr 2016
## AUTOREN
Isolde Charim
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