# taz.de -- Aus der zeozwei: „Wir können Glück ermöglichen“ | |
> Eine Co2-Steuer kann Menschen glücklich machen, sagt der Weltklimaökonom | |
> Ottmar Edenhofer. Die Ökosteuer habe Unglück verhindert. Bitte? | |
Bild: Das beste politische Mittel gegen den Klimawandel ist ein CO2-Preis, sagt… | |
zeozwei: Ottmar Edenhofer, welcher Satz eines Politikers war für Sie ein | |
Signal: Da will jemand dem Klimawandel etwas entgegensetzen? | |
Ottmar Edenhofer: Nur wenige Politiker haben das Problem in seiner ganzen | |
Wucht verstanden. Das ist beim Wall Street Journal oder der Frankfurter | |
Allgemeine Zeitung anders. | |
Klimapolitik ist Sache der konservativen Wirtschaftspresse? | |
Dieser Teil Wirtschaftspresse sagt doch im Klartext: Leute, ihr seid ja | |
verrückt. Wir wollen keine Klimapolitik, wenn das heißt: Bis zu 90 Prozent | |
der Kohle und zwei Drittel des Gases und des Öls müssen im Boden bleiben. | |
Davon ist die Welt aber weit entfernt. | |
Das ist ja das Problem. Wir dürfen insgesamt nur noch 1.000 Milliarden | |
Tonnen CO2 in die Atmosphäre blasen, wenn sich die Erde nicht um mehr als | |
um die gerade noch für verträglich gehaltenen zwei Grad Celsius aufheizen | |
soll. Machen wir weiter wie bisher, ist unser CO2-Budget bei heutigem | |
CO2-Ausstoß in dreißig Jahren verbraucht. Zurzeit blasen wir jedes Jahr 35 | |
Milliarden Tonnen in die Atmosphäre. Und die fossilen Energie träger, die | |
noch in der Erde lagern, machen 15.000 Milliarden Tonnen CO2 aus. | |
Der Bürgerkrieg in Syrien, Tausende auf der Flucht, Instabilität im Nahen | |
Osten – Regierungen setzen andere Prioritäten. | |
Mag sein, aber Klimawandel ist eine langfristige, globale Herausforderung. | |
Wir wissen zwar nicht genau, wo Dürren, Hungersnöte oder Fluten auftauchen | |
werden. Wir wissen auch nicht, wann die gefährlichen Kipppunkte aktiviert | |
werden, die zu unaufhaltsamen und dramatischen Veränderungen führen. | |
Was wissen wir denn? | |
Genug, um zu handeln. Die Unsicherheiten über die Klimafolgen sind kein | |
Grund zum Warten. Denn wir können die globale Mitteltemperatur nicht | |
einfach mal probeweise erhöhen, und wenn uns die Veränderungen nicht | |
passen, wieder zurückdrehen. | |
Seit wann ist Ihnen das klar? | |
In der vollen Schärfe kennen wir das Problem seit etwa zehn Jahren. Seither | |
beschreiben es meine Kollegen und ich in Büchern und wir halten darüber | |
eine Vielzahl von Vorträgen. Aber der breiten Öffentlichkeit wird das jetzt | |
erst so langsam bewusst. Das grüne Spektrum der Bevölkerung lebte lange | |
Zeit in der Welt des Club of Rome ... | |
… der warnte die Industrienationen vor gut vier Jahrzehnten mit „Den | |
Grenzen des Wachstums“, dass der Welt die Rohstoffe ausgehen. | |
Die Leute hatten das Gefühl, um mit „Peak Oil“, dem knappem Öl und dem | |
knappen Gas, zurechtzukommen, müssen wir Energie sparen. Das war es. | |
Peak Oil war kontraproduktiv? | |
Ja. Peak Oil sagt, es gibt beim konventionellen Öl einen Höhepunkt der | |
Förderung, danach ist die Zeit des billigen, leicht zu fördernden Öls | |
vorbei. Das spielt aber keine Rolle. Denn steigt der Ölpreis, rentiert sich | |
auch die schwierigere Ausbeutung etwa von ölhaltigen Teersanden. Shell | |
bohrt jetzt sogar zur Probe in der Arktis, wo die Bedingungen extrem sind. | |
Im Sommer ist die Region mittlerweile eisfrei. | |
Die Bohrung zeigt doch, dass Firmen den Klimawandel für real halten. Sonst | |
würde dort niemand investieren. Gemessen an der knappen | |
CO2-Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre haben wir ein Überangebot an fossilen | |
Ressourcen. | |
Lässt sich der Klimawandel überhaupt noch stoppen? | |
Aufhalten lässt er sich nicht, aber er lässt sich noch begrenzen. Sonst | |
wird das Ausmaß des Klimawandels in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts | |
gewaltig. Den Leuten ist bislang nicht klar, wie tiefgreifend der | |
gesellschaftliche Transformationsprozess zur Begrenzung des Klimawandels | |
ist. | |
Ist es doch, weil es immer heißt: Esst kein Fleisch, lasst das Auto stehen, | |
fliegt nicht. | |
Diese Änderung des Konsumverhaltens ist gut – der traditionelle | |
Tugendkatalog hat sich heute erweitert. Aber es wäre irreführend, wenn wir | |
glaubten, das würde ausreichen. | |
Was braucht es vor allem? | |
Wir brauchen Innovationen und technische Durchbrüche. Umweltschützer gelten | |
als Behinderer und Miesmacher des technischen Fortschritts. Es geht heute | |
darum, dass wir dem technischen Fortschritt eine andere Richtung geben. Das | |
hat es während der Industrialisierung schon einmal gegeben. Im 19. | |
Jahrhundert traten auf Arbeitsmärkten plötzlich machtvolle Gewerkschaften | |
auf, die die Löhne neu verhandelten und Lohnerhöhungen durchsetzten. In der | |
Folge steigen diese jedes Jahr bis in die 70er-Jahre des 20. Jahrhundert im | |
Schnitt um mehrere Prozent. | |
Unternehmer warnen heute noch, dass sie auswandern, wenn die löhne steigen. | |
Aber die neue Macht der Arbeitnehmer hat vor allem zu einem geführt: | |
technischem Fortschritt. Die Unternehmen waren gezwungen, die | |
Arbeitsproduktivität zu erhöhen. Güter wurden so billiger, Massenwohlstand | |
wurde möglich. | |
Das hat Grenzen. Mit der Industrie 4.0, mit einer neuen Digitalisierung, | |
werden in der industriellen Produktion Tausende Jobs vernichtet. | |
Schon, aber es werden an anderer Stelle neue Jobs entstehen. Es ist für | |
mich wenig plausibel, dass Menschen durch Maschinen und Computer völlig | |
überflüssig werden. Die Menschen werden weiter die wichtigste Rolle | |
spielen, etwa wenn der Gesundheitssektor expandiert, weil wir lernen | |
müssen, mit einem höheren Anteil alter Menschen zu leben. Wir werden jedoch | |
mit der wachsenden Ungleichheit fertigwerden müssen. Die Reallöhne sind | |
seit den 1990er-Jahren kaum noch gestiegen, hingegen sind die Einkommen aus | |
dem Besitz von städtischem Boden sehr viel stärker gestiegen. | |
Das heißt für den Klimaschutz? | |
Klimapolitik und Lohnpolitik ähneln sich. Auch jetzt muss ein Preis über | |
lange Zeit hinweg steigen, und zwar der Preis für den Ausstoß von CO2. Er | |
wird die Wirtschaft nicht ruinieren, sondern Anreiz geben, Technik zu | |
entwickeln, die weniger Treibhausgase ausstößt. | |
Unrealistisch, kein Mensch redet derzeit über eine neue Ökosteuer. | |
Aber Umweltpolitik ist nicht primär Verhinderungspolitik, sondern bedeutet | |
Ermöglichung, und zwar von technischem Fortschritt. Wir könnten so die | |
Materialintensität, die Energie- und Kohlenstoffintensität verringern sowie | |
Kreislaufwirtschaft ermöglichen. Und Glück. | |
Herr Edenhofer, wir reden von CO2-Preisen und Sie von Glück? | |
Auf jeden Fall ist ein bisschen Unglück verhindert worden, seit Deutschland | |
1999 die Ökosteuer eingeführt hat. Denn der Ertrag ist an die gesetzliche | |
Rentenkasse überwiesen worden. Die Lohnnebenkosten wären ohne Ökosteuer | |
sehr viel stärker gestiegen. Das müssen wir weiterdenken. Ein CO2-Preis | |
kann bessere Bedingungen für das Glück schaffen. | |
Sie sind einer, der sich die Welt schönredet? | |
Da irren Sie sich gewaltig. Wir könnten jetzt den Blick mal kurz abwenden | |
von Europa ... | |
... bitte. | |
Afrika spielt im Augenblick in der Weltwirtschaft und bei den Emissionen | |
noch keine große Rolle. Aber das ist ein Kontinent mit enormem Potenzial. | |
Nicht nur in China werden Kohlekraftwerke gebaut. Es gibt Leute, die sagen, | |
Afrika wird das neue China. | |
In China nehmen die Emissionen gerade ab. | |
Wir sollten abwarten, ob diese ersten Daten Bestand haben. Die | |
Kohlerenaissance macht aber nicht in China Halt, sondern setzt in den armen | |
und zugleich schnell wachsenden Entwicklungsländern Asiens und Afrikas ein. | |
Dort werden neue Kraftwerke entstehen. | |
Das heißt? | |
Zugleich haben dort zu viele Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser, | |
Sanitäranlagen oder Bildung. Sauberes Wasser macht sicher nicht per se | |
glücklich, aber dreckiges Wasser bringt einen Haufen Unglück. Um dem | |
entgegenzuwirken, fehlt den dortigen Regierungen das Geld. Eine Erhöhung | |
der Verschuldung würde durch die Kapitalmärkte bestraft. Auch die | |
Besteuerung von Arbeit würde schwierig, weil es zu sozialen Verwerfungen | |
käme. Hier würde sich eine Bepreisung von CO2 als Lösung anbieten. | |
Der Ökonom Thomas Piketty, Autor des Buches „Das Kapital im 21. | |
Jahrhundert“, schlägt eine Vermögenssteuer vor. | |
Das erscheint mir eher schwierig, denn Kapital ist mobil. Die Bürger lagern | |
ihr Geld dann im Ausland. Und einen gemeinsamen Entschluss aller Länder zur | |
Steuerharmonisierung gibt es nicht. In so einer Welt ist eine | |
CO2-Bepreisung der bessere Weg, um finanzpolitische Handlungsfähigkeit | |
wiederzugewinnen. | |
Darauf werden sich die Staaten der Welt niemals einigen. | |
Zunächst reicht es, wenn das einzelne Staaten machen. In großen Teilen | |
Afrikas ließe sich mit zehn Euro für eine Tonne CO2 schon viel machen. Dann | |
wäre Geld da für den Zugang zu sauberem Wasser, zu sauberem Strom, zu | |
Straßen und zu Mobilfunkdienstleistungen. Das alles würde wirtschaftliche | |
Entwicklung ermöglichen. | |
Sie machen beim CO2-Preis Unterschiede – 10 Euro in Afrika, 50 Euro in | |
Deutschland? | |
Selbst für einzelne Staaten sind CO2-Steuern interessant, weil sie damit | |
Handlungsspielraum erhalten, auch wenn ihnen der Klimawandel gar nicht so | |
stark am Herzen liegt. Wenn die CO2-Steuern harmonisiert werden, sind | |
Transfers an die ärmeren Länder unausweichlich. Wir werden sonst keine | |
internationale Vereinbarung bekommen. | |
Das hört sich schön an, aber Sie dringen damit nicht durch. | |
Ich werbe dafür. Und so schlecht stehen meine Aktien nicht. China wird | |
nächstes Jahr einen Emissionshandel einführen und die Finanzminister der | |
OECD werden über CO2-Steuern beraten; mit meinen Vorschlägen bin ich dort | |
jedenfalls auf großes Interesse gestoßen. Aber bislang war das kein Thema | |
für die Finanzminister. Wir planen am MCC ... | |
Dem Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change. | |
… einen größeren Bericht, in dem wir analysieren, wie Finanzminister | |
Steuerreformen umsetzen können, die das Klima schützen und zugleich die | |
Armut bekämpfen. | |
Europa hat zwar versucht, CO2 einen Preis zu geben, aber das gilt nicht | |
einmal für die Hälfte der Emissionen, denn Verkehr, Immobiliensektor, | |
Landwirtschaft sind raus. Auch sonst hat er noch nie richtig funktioniert. | |
Der Preis stand schon einmal bei läppischen drei Euro, derzeit liegt er bei | |
acht Euro. | |
Der Emissionshandel ließe sich reparieren, die EU müsste dafür einen | |
Mindestpreis einführen und den Transport- sowie den Gebäude- und den | |
Landwirtschaftssektor mit einbeziehen. | |
Macht aber keiner. | |
Darum müssen Sie doch die Frage stellen, woher die Blockade kommt. | |
Woher? | |
Für eine Regierung ist es eben bequemer, wenn bei einer Energiewende alle | |
subventioniert werden: die Erneuerbare-Energien-Branche und am Schluss auch | |
noch die Betreiber von Kohlekraftwerken. | |
Wieso versteht die Politik die Glückstheorie nicht? | |
Vielleicht versteht sie das Argument, aber der Widerstand ist groß, weil | |
sie mit einem CO2-Preis, ökonomisch gesprochen, sofort Renten abschöpfen. | |
Sie entwerten jedes Kohlekraftwerk und jedes Auto. Sie bewerten Vermögen | |
neu und haben unangenehme Verteilungseffekte. Es ist einfacher zu sagen: | |
Pass mal auf, ich lass dich in Ruhe, aber ich subventioniere ein paar neue | |
Technologien wie die Windkraft und die Photovoltaik. Das war richtig, | |
solange die Erneuerbaren eine Nischentechnologie waren. Aber jetzt muss man | |
umsteuern. Nur kann ein Umweltminister keine Steuern erheben und ein | |
Finanzminister zeigt bislang an der CO2-Steuer noch kein großes Interesse, | |
obwohl er eigentlich welches haben sollte. | |
Einnahmen freuen einen Wolfgang Schäuble immer. | |
Die CO2-Steuer ist in vielen Finanzministerien noch nicht auf dem | |
Radarschirm. Für die energieintensiven Sektoren ist eine CO2-Steuer | |
abschreckend und diese Industrien sind gut organisiert. Aber in der Öl- und | |
Gasindustrie wächst die Bereitschaft, eine CO2-Steuer zu akzeptieren. Viele | |
befürchten, eine CO2-Steuer belaste vor allem die ärmeren Haushalte. Dabei | |
könnte man 19 diese Einnahmen sogar wieder an die einkommensschwachen | |
Haushalte verteilen. Derzeit aber belastet die Energiewende die unteren | |
Einkommensbezieher überproportional. | |
Sie machen damit Konsumgüter teurer. Die Reichen zahlen locker etwas mehr, | |
aber die ärmeren Leute trifft das. | |
Aus dem Dilemma kommt man nur raus, wenn man Umweltpolitik und die | |
Besteuerung von Einkommen gleichermaßen in den Blick nimmt. Die Akzeptanz | |
von Umweltsteuern wird sich nur dann erhöhen, wenn diese progressiv wirken. | |
Die Ungleichheit darf durch Umweltsteuern nicht zunehmen. Am Ende wird man | |
die Besteuerung des Umweltverbrauchs im Rahmen einer Steuerreform | |
diskutieren müssen. | |
Damit machen Sie jetzt ein großes Fass auf. | |
Aber ohne ein großes Reformpaket wird es nicht gehen ... | |
... das für Politiker kaum zu vermitteln ist. Das haben wir gerade gesehen. | |
Die Regierung hat versprochen, die Treibhausgase um 40 Prozent zu senken, | |
das wird durch den Kohlekraftboom konterkariert. SPD-Wirtschaftsminister | |
Sigmar Gabriel schlägt eine Abgabe vor. Tausende Kohlearbeiter | |
demonstrieren in Berlin, der Plan wird gestrichen. | |
Jeder Strukturwandel führt zu Arbeitsplatzverlusten. Wir haben auch | |
hingenommen, dass in den Städten Droschkenkutscher arbeitslos wurden, weil | |
es Taxis gab. Wer glaubt denn allen Ernstes, dass für Deutschland die | |
Zukunft in der Kohle liegt. | |
Kohlearbeiter? | |
Das hört sich jetzt so an, als würde ich einfach herzlos über die | |
Bedürfnisse der Kohleleute hinweggehen. So ist es aber nicht. Man wird den | |
Strukturwandel sozial abfedern müssen. Aber der Strukturwandel darf nicht | |
verhindert werden. Wir müssen die gesellschaftliche Debatte führen, wo wir | |
eigentlich hinwollen. | |
Herr Edenhofer, selbst der Papst kritisiert in seiner Enzyklika „Über die | |
Sorge über das gemeinsame Haus“ den Emissionshandel, weil er nicht dazu | |
beitrage, „den Gesamtausstoß der schädlichen Gase zu verringern“. | |
Der Papst äußert Bedenken gegen ein umweltpolitisches Instrument, aber er | |
maßt sich keine Kompetenz an, hier ein Urteil zu fällen. Aber es ist wahr, | |
er ist skeptisch gegenüber Marktinstrumenten. | |
Er wurde beraten, auch von Ihnen. | |
Sie können sich sicherlich vorstellen, dass ich den von Ihnen zitierten | |
Satz so nicht geschrieben hätte. Lateinamerikaner haben aber die große und | |
ernst zu nehmende Befürchtung, dass mit solchen marktbasierten Instrumenten | |
Leute über den Tisch gezogen werden. Der Papst hat sicher nicht den | |
Anspruch, einen umweltökonomischen Fachaufsatz zu schreiben. Wichtiger sind | |
seine ethischen Prinzipien. Er sagt: Leute, ihr habt die verdammte Pflicht | |
und Schuldigkeit, einen Transformationsprozess einzuleiten. Wie der am | |
besten zu gestalten ist, da habt ihr eure Experten. Fragt die. | |
Sie machen es sich zu einfach? | |
Keineswegs, ich nehme den Papst sehr ernst. Aber selbst wenn man mit dem | |
Papst die Ehe für einen heiligen Bund hält, kann man doch mit guten Gründen | |
darüber streiten, welche Methoden der Familienplanung erlaubt sein sollen. | |
Macht die Kirche Ernst, müsste sie ihr Vermögen durchforsten und ihr Geld | |
aus Beteiligungen an Öl-, Gas- oder Kohlefirmen abziehen. Ließe sich das | |
globale Klimaproblem auch so lösen? | |
Das wäre eine gute Sache, wenn die Kirche als ein ethischer Investor | |
kraftvoller und überzeugender auftreten würde. Die Kirchen sind kluge, aber | |
sehr vorsichtige Investoren. Wenn wir sie vom ethischen Investment | |
überzeugen können, dann würden auch andere mitziehen. Aber wir sollten uns | |
keine Illusionen machen. Ohne eine Bepreisung von CO2 wird das ethische | |
Investment keine große Kraft entfalten können. | |
Selbstkorrektur ist schwierig. Die große Transformation kann sich | |
vielleicht ein Land wie Deutschland leisten und Verlierer bezahlen. Aber | |
was sagen Sie einem Land wie Venezuela, dessen Ökonomie vom Export fossiler | |
Energie abhängt? | |
Das Argument, die Schwellenländer müssten die fossilen Energieträger | |
subventionieren, um den Armen zu helfen, ist nur bedingt zutreffend. So | |
zeigen Untersuchungen in Indonesien, dass die Abschaffung der Subventionen | |
für Mineralöl die Armen kaum belastet hat, sondern die Mittelschicht. Die | |
ärmsten Haushalte haben keine Autos, daher waren sie gar nicht betroffen. | |
Bisher schafft es aber keine Regierung, die wahren Kosten des | |
Wirtschaftswachstums zulasten des Naturvermögens anzurechnen. Naomi Klein, | |
linke kanadische Bestsellerautorin, sagt, ohne einen radikalen Umbau des | |
Kapitalismus geht es nicht. Für Sie ist der Kapitalismus die Lösung? | |
Was ich vorschlage, ist eine radikale Transformation, eine Reform des | |
Kapitalismus. Machen wir mit der Klimapolitik Ernst, beschränken wir die | |
Nutzung fossiler Energieträger, weil wir die Übernutzung globaler | |
Gemeinschaftsgüter wie der Atmosphäre verhindern wollen. Ob das gelingt, | |
das ist eine andere Frage. | |
Der Niederländer Yvo de Boer trat 2010 als UN-Klimachef zurück, weil er den | |
Glauben an die Klimadiplomatie verloren hatte. Er sagte: „Der einzige Weg, | |
wie ein Abkommen im Jahr 2015 zum Zwei-Grad-Ziel führen könnte, wäre, die | |
gesamte Weltwirtschaft stillzulegen.“ | |
Ach ja. Das sind solche Sätze. Die Welt ohne uns, die Welt ohne den | |
Menschen, das wäre das Beste. Dann gäbe es keine Emissionen, dann hätten | |
wir keine Probleme. Das ist doch Unsinn. So kann man keine Politik machen. | |
Alles, was produziert wird, frisst nun einmal auch Ressourcen. Da kommen | |
Sie mit einem CO2-Preis nicht raus. | |
Das sehe ich überhaupt nicht, warum jedes Wachstum im gleichen Umfang | |
Ressourcen frisst. | |
Nicht in jedem Umfang, aber es frisst. | |
Es geht um einen Transformationspfad. Das heißt nicht, dass wir morgen | |
schon mit null Emissionen hinkommen müssen. Wir haben noch Zeit bis über | |
das Jahr 2050 hinaus, um komplett auf saubere Technologien umzusteigen. | |
Aber wir müssen mit der Transformation beginnen. Die derzeitige Debatte ist | |
aberwitzig. Wir wollen also, dass die Lebenserwartung nicht mehr zunimmt, | |
das Gesundheitssystem nicht besser wird, das Bildungssystem auch nicht. Wir | |
wollen kein Leid mehr lindern? Habe ich das richtig verstanden? | |
Nein – und das wissen Sie auch. | |
Mich nervt dieser Fatalismus, diese heimliche Lust am Untergang. Es geht | |
aus meiner Sicht nicht um Wachstumsverzicht. Das ist die völlig falsche | |
Perspektive. Wir müssen begreifen, dass wir heute zu viel Naturkapital | |
verbrauchen und zu wenig in die kommenden Generationen investieren. Denn | |
dann wird klar: Wir müssen mehr in Bildung, mehr in das Gesundheitswesen, | |
mehr in Forschung und Entwicklung, mehr in die Armutsbekämpfung | |
investieren. Das setzt Strukturwandel voraus, Innovationen bei der Arbeits- | |
und der Ressourcenproduktivität, dafür muss es Anreize geben. Ein CO2-Preis | |
kann das leisten. | |
Haben wir dafür überhaupt eine Partei in Deutschland? | |
Haben wir nicht. | |
Die Grünen würden das für sich in Anspruch nehmen. | |
Aber wir brauchen dafür auch keine eigene Partei, sondern einen | |
gesellschaftlichen Konsens. Ein solcher Transformationsprozess kann nur | |
erfolgreich bestanden werden, wenn er eine breite demokratische Basis hat. | |
Wer soll das politisch umsetzen? | |
Neue Allianzen und Koalitionen. Die Enzyklika des Papstes könnte ein | |
Katalysator für solche Koalitionen sein. | |
Sie sagen selbst, dass der CO2-Preis allein nicht reicht, und reden auch | |
von sogenannten negativen Emissionen. | |
Jetzt haben wir alle Schreckgespenster ausgepackt. | |
Sie wollen Treibhausgasemissionen im Abgas von Kraftwerken, egal ob sie mit | |
Kohle oder Pflanzen gefüttert werden, wieder einfangen und dann deponieren. | |
Der Anbau von Mais zur Energiegewinnung frisst aber Acker und | |
Artenvielfalt. Die Kohlendioxid-Deponien, die CCS-Technik, fürchten auch | |
viele. | |
Die negativen Emissionen sind schon allein deshalb zum Erreichen des | |
Zwei-Grad-Ziels wichtig, weil wir eine Kohlerenaissance erleben. Wir | |
befinden uns mitnichten im Erneuerbare-Energien-Zeitalter. Das verstehen | |
aber viele Leute nicht. Die fragen dann: Seid ihr jetzt völlig verrückt | |
geworden mit euren negativen Emissionen? Das wiederum finde ich leicht | |
absurd: Ein ambitioniertes Klimaziel zu fordern – aber nicht zu sehen, was | |
das heißt. | |
Sie würden auch Atomkraft akzeptieren? | |
Nein, die Kernenergiefrage ist leicht vom Tisch zu wischen, weil sie | |
relativ leicht durch Erneuerbare zu ersetzen ist. Die Frage von Kohle, von | |
Bioenergie und von CCS aber nicht. Noch hat niemand einen anderen Weg | |
gefunden. Wir müssen aber sehen, ob wir die Nebenwirkungen wie etwa den | |
großen Landbedarf und die Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion in | |
den Griff bekommen. | |
Glauben Sie daran? | |
Das ist keine Glaubensfrage, sondern eine Frage eines Lernprozesses. Ich | |
bin kein blinder CCS-Befürworter. Aber es ist die Aufgabe der | |
Wissenschaftler aufzuzeigen, unter welchen Bedingungen das Zwei-Grad-Ziel | |
noch zu erreichen ist. 2008 hat es Leute gegeben, die meinten, das Ziel | |
müsse aufgegeben werden. | |
Das sagt Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik heute noch. | |
Aber damals waren es wissenschaftliche Schwergewichte, die das forderten. | |
Sie haben aber eingesehen, dass wir als Wissenschaftler die Aufgabe hatten, | |
zu untersuchen, unter welchen Bedingungen das Ziel erreicht werden kann. | |
Das haben wir getan – werden aber dafür jetzt angegriffen. | |
Wie wehrt man das als Wissenschaftler ab? | |
Ich habe immer gesagt, dass wir irrtumsfähige Wissenschaftler sind, die | |
vorläufiges Wissen produzieren. Was mich vielmehr stört ist, dass Politiker | |
gerne Ziele formulieren und vor sich hertragen, aber nicht bereit sind, die | |
Verantwortung für die Mittel zu übernehmen. | |
Gibt es keine Alternative? | |
Der CO2-Preis macht Klimaschutz berechenbar. Ich weiß, dass das | |
Nichtökonomen nicht gerne hören, es lässt das Herz nicht höher schlagen. | |
Aber dann müssen diejenigen, die Politikinstrumente wollen, die die Herzen | |
höher schlagen lassen, diese auf den Tisch legen. Die Emissionen steigen | |
und steigen und steigen. | |
13 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Hanna Gersmann | |
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