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# taz.de -- Aus der zeozwei: „Wir können Glück ermöglichen“
> Eine Co2-Steuer kann Menschen glücklich machen, sagt der Weltklimaökonom
> Ottmar Edenhofer. Die Ökosteuer habe Unglück verhindert. Bitte?
Bild: Das beste politische Mittel gegen den Klimawandel ist ein CO2-Preis, sagt…
zeozwei: Ottmar Edenhofer, welcher Satz eines Politikers war für Sie ein
Signal: Da will jemand dem Klimawandel etwas entgegensetzen?
Ottmar Edenhofer: Nur wenige Politiker haben das Problem in seiner ganzen
Wucht verstanden. Das ist beim Wall Street Journal oder der Frankfurter
Allgemeine Zeitung anders.
Klimapolitik ist Sache der konservativen Wirtschaftspresse?
Dieser Teil Wirtschaftspresse sagt doch im Klartext: Leute, ihr seid ja
verrückt. Wir wollen keine Klimapolitik, wenn das heißt: Bis zu 90 Prozent
der Kohle und zwei Drittel des Gases und des Öls müssen im Boden bleiben.
Davon ist die Welt aber weit entfernt.
Das ist ja das Problem. Wir dürfen insgesamt nur noch 1.000 Milliarden
Tonnen CO2 in die Atmosphäre blasen, wenn sich die Erde nicht um mehr als
um die gerade noch für verträglich gehaltenen zwei Grad Celsius aufheizen
soll. Machen wir weiter wie bisher, ist unser CO2-Budget bei heutigem
CO2-Ausstoß in dreißig Jahren verbraucht. Zurzeit blasen wir jedes Jahr 35
Milliarden Tonnen in die Atmosphäre. Und die fossilen Energie träger, die
noch in der Erde lagern, machen 15.000 Milliarden Tonnen CO2 aus.
Der Bürgerkrieg in Syrien, Tausende auf der Flucht, Instabilität im Nahen
Osten – Regierungen setzen andere Prioritäten.
Mag sein, aber Klimawandel ist eine langfristige, globale Herausforderung.
Wir wissen zwar nicht genau, wo Dürren, Hungersnöte oder Fluten auftauchen
werden. Wir wissen auch nicht, wann die gefährlichen Kipppunkte aktiviert
werden, die zu unaufhaltsamen und dramatischen Veränderungen führen.
Was wissen wir denn?
Genug, um zu handeln. Die Unsicherheiten über die Klimafolgen sind kein
Grund zum Warten. Denn wir können die globale Mitteltemperatur nicht
einfach mal probeweise erhöhen, und wenn uns die Veränderungen nicht
passen, wieder zurückdrehen.
Seit wann ist Ihnen das klar?
In der vollen Schärfe kennen wir das Problem seit etwa zehn Jahren. Seither
beschreiben es meine Kollegen und ich in Büchern und wir halten darüber
eine Vielzahl von Vorträgen. Aber der breiten Öffentlichkeit wird das jetzt
erst so langsam bewusst. Das grüne Spektrum der Bevölkerung lebte lange
Zeit in der Welt des Club of Rome ...
… der warnte die Industrienationen vor gut vier Jahrzehnten mit „Den
Grenzen des Wachstums“, dass der Welt die Rohstoffe ausgehen.
Die Leute hatten das Gefühl, um mit „Peak Oil“, dem knappem Öl und dem
knappen Gas, zurechtzukommen, müssen wir Energie sparen. Das war es.
Peak Oil war kontraproduktiv?
Ja. Peak Oil sagt, es gibt beim konventionellen Öl einen Höhepunkt der
Förderung, danach ist die Zeit des billigen, leicht zu fördernden Öls
vorbei. Das spielt aber keine Rolle. Denn steigt der Ölpreis, rentiert sich
auch die schwierigere Ausbeutung etwa von ölhaltigen Teersanden. Shell
bohrt jetzt sogar zur Probe in der Arktis, wo die Bedingungen extrem sind.
Im Sommer ist die Region mittlerweile eisfrei.
Die Bohrung zeigt doch, dass Firmen den Klimawandel für real halten. Sonst
würde dort niemand investieren. Gemessen an der knappen
CO2-Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre haben wir ein Überangebot an fossilen
Ressourcen.
Lässt sich der Klimawandel überhaupt noch stoppen?
Aufhalten lässt er sich nicht, aber er lässt sich noch begrenzen. Sonst
wird das Ausmaß des Klimawandels in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts
gewaltig. Den Leuten ist bislang nicht klar, wie tiefgreifend der
gesellschaftliche Transformationsprozess zur Begrenzung des Klimawandels
ist.
Ist es doch, weil es immer heißt: Esst kein Fleisch, lasst das Auto stehen,
fliegt nicht.
Diese Änderung des Konsumverhaltens ist gut – der traditionelle
Tugendkatalog hat sich heute erweitert. Aber es wäre irreführend, wenn wir
glaubten, das würde ausreichen.
Was braucht es vor allem?
Wir brauchen Innovationen und technische Durchbrüche. Umweltschützer gelten
als Behinderer und Miesmacher des technischen Fortschritts. Es geht heute
darum, dass wir dem technischen Fortschritt eine andere Richtung geben. Das
hat es während der Industrialisierung schon einmal gegeben. Im 19.
Jahrhundert traten auf Arbeitsmärkten plötzlich machtvolle Gewerkschaften
auf, die die Löhne neu verhandelten und Lohnerhöhungen durchsetzten. In der
Folge steigen diese jedes Jahr bis in die 70er-Jahre des 20. Jahrhundert im
Schnitt um mehrere Prozent.
Unternehmer warnen heute noch, dass sie auswandern, wenn die löhne steigen.
Aber die neue Macht der Arbeitnehmer hat vor allem zu einem geführt:
technischem Fortschritt. Die Unternehmen waren gezwungen, die
Arbeitsproduktivität zu erhöhen. Güter wurden so billiger, Massenwohlstand
wurde möglich.
Das hat Grenzen. Mit der Industrie 4.0, mit einer neuen Digitalisierung,
werden in der industriellen Produktion Tausende Jobs vernichtet.
Schon, aber es werden an anderer Stelle neue Jobs entstehen. Es ist für
mich wenig plausibel, dass Menschen durch Maschinen und Computer völlig
überflüssig werden. Die Menschen werden weiter die wichtigste Rolle
spielen, etwa wenn der Gesundheitssektor expandiert, weil wir lernen
müssen, mit einem höheren Anteil alter Menschen zu leben. Wir werden jedoch
mit der wachsenden Ungleichheit fertigwerden müssen. Die Reallöhne sind
seit den 1990er-Jahren kaum noch gestiegen, hingegen sind die Einkommen aus
dem Besitz von städtischem Boden sehr viel stärker gestiegen.
Das heißt für den Klimaschutz?
Klimapolitik und Lohnpolitik ähneln sich. Auch jetzt muss ein Preis über
lange Zeit hinweg steigen, und zwar der Preis für den Ausstoß von CO2. Er
wird die Wirtschaft nicht ruinieren, sondern Anreiz geben, Technik zu
entwickeln, die weniger Treibhausgase ausstößt.
Unrealistisch, kein Mensch redet derzeit über eine neue Ökosteuer.
Aber Umweltpolitik ist nicht primär Verhinderungspolitik, sondern bedeutet
Ermöglichung, und zwar von technischem Fortschritt. Wir könnten so die
Materialintensität, die Energie- und Kohlenstoffintensität verringern sowie
Kreislaufwirtschaft ermöglichen. Und Glück.
Herr Edenhofer, wir reden von CO2-Preisen und Sie von Glück?
Auf jeden Fall ist ein bisschen Unglück verhindert worden, seit Deutschland
1999 die Ökosteuer eingeführt hat. Denn der Ertrag ist an die gesetzliche
Rentenkasse überwiesen worden. Die Lohnnebenkosten wären ohne Ökosteuer
sehr viel stärker gestiegen. Das müssen wir weiterdenken. Ein CO2-Preis
kann bessere Bedingungen für das Glück schaffen.
Sie sind einer, der sich die Welt schönredet?
Da irren Sie sich gewaltig. Wir könnten jetzt den Blick mal kurz abwenden
von Europa ...
... bitte.
Afrika spielt im Augenblick in der Weltwirtschaft und bei den Emissionen
noch keine große Rolle. Aber das ist ein Kontinent mit enormem Potenzial.
Nicht nur in China werden Kohlekraftwerke gebaut. Es gibt Leute, die sagen,
Afrika wird das neue China.
In China nehmen die Emissionen gerade ab.
Wir sollten abwarten, ob diese ersten Daten Bestand haben. Die
Kohlerenaissance macht aber nicht in China Halt, sondern setzt in den armen
und zugleich schnell wachsenden Entwicklungsländern Asiens und Afrikas ein.
Dort werden neue Kraftwerke entstehen.
Das heißt?
Zugleich haben dort zu viele Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser,
Sanitäranlagen oder Bildung. Sauberes Wasser macht sicher nicht per se
glücklich, aber dreckiges Wasser bringt einen Haufen Unglück. Um dem
entgegenzuwirken, fehlt den dortigen Regierungen das Geld. Eine Erhöhung
der Verschuldung würde durch die Kapitalmärkte bestraft. Auch die
Besteuerung von Arbeit würde schwierig, weil es zu sozialen Verwerfungen
käme. Hier würde sich eine Bepreisung von CO2 als Lösung anbieten.
Der Ökonom Thomas Piketty, Autor des Buches „Das Kapital im 21.
Jahrhundert“, schlägt eine Vermögenssteuer vor.
Das erscheint mir eher schwierig, denn Kapital ist mobil. Die Bürger lagern
ihr Geld dann im Ausland. Und einen gemeinsamen Entschluss aller Länder zur
Steuerharmonisierung gibt es nicht. In so einer Welt ist eine
CO2-Bepreisung der bessere Weg, um finanzpolitische Handlungsfähigkeit
wiederzugewinnen.
Darauf werden sich die Staaten der Welt niemals einigen.
Zunächst reicht es, wenn das einzelne Staaten machen. In großen Teilen
Afrikas ließe sich mit zehn Euro für eine Tonne CO2 schon viel machen. Dann
wäre Geld da für den Zugang zu sauberem Wasser, zu sauberem Strom, zu
Straßen und zu Mobilfunkdienstleistungen. Das alles würde wirtschaftliche
Entwicklung ermöglichen.
Sie machen beim CO2-Preis Unterschiede – 10 Euro in Afrika, 50 Euro in
Deutschland?
Selbst für einzelne Staaten sind CO2-Steuern interessant, weil sie damit
Handlungsspielraum erhalten, auch wenn ihnen der Klimawandel gar nicht so
stark am Herzen liegt. Wenn die CO2-Steuern harmonisiert werden, sind
Transfers an die ärmeren Länder unausweichlich. Wir werden sonst keine
internationale Vereinbarung bekommen.
Das hört sich schön an, aber Sie dringen damit nicht durch.
Ich werbe dafür. Und so schlecht stehen meine Aktien nicht. China wird
nächstes Jahr einen Emissionshandel einführen und die Finanzminister der
OECD werden über CO2-Steuern beraten; mit meinen Vorschlägen bin ich dort
jedenfalls auf großes Interesse gestoßen. Aber bislang war das kein Thema
für die Finanzminister. Wir planen am MCC ...
Dem Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change.
… einen größeren Bericht, in dem wir analysieren, wie Finanzminister
Steuerreformen umsetzen können, die das Klima schützen und zugleich die
Armut bekämpfen.
Europa hat zwar versucht, CO2 einen Preis zu geben, aber das gilt nicht
einmal für die Hälfte der Emissionen, denn Verkehr, Immobiliensektor,
Landwirtschaft sind raus. Auch sonst hat er noch nie richtig funktioniert.
Der Preis stand schon einmal bei läppischen drei Euro, derzeit liegt er bei
acht Euro.
Der Emissionshandel ließe sich reparieren, die EU müsste dafür einen
Mindestpreis einführen und den Transport- sowie den Gebäude- und den
Landwirtschaftssektor mit einbeziehen.
Macht aber keiner.
Darum müssen Sie doch die Frage stellen, woher die Blockade kommt.
Woher?
Für eine Regierung ist es eben bequemer, wenn bei einer Energiewende alle
subventioniert werden: die Erneuerbare-Energien-Branche und am Schluss auch
noch die Betreiber von Kohlekraftwerken.
Wieso versteht die Politik die Glückstheorie nicht?
Vielleicht versteht sie das Argument, aber der Widerstand ist groß, weil
sie mit einem CO2-Preis, ökonomisch gesprochen, sofort Renten abschöpfen.
Sie entwerten jedes Kohlekraftwerk und jedes Auto. Sie bewerten Vermögen
neu und haben unangenehme Verteilungseffekte. Es ist einfacher zu sagen:
Pass mal auf, ich lass dich in Ruhe, aber ich subventioniere ein paar neue
Technologien wie die Windkraft und die Photovoltaik. Das war richtig,
solange die Erneuerbaren eine Nischentechnologie waren. Aber jetzt muss man
umsteuern. Nur kann ein Umweltminister keine Steuern erheben und ein
Finanzminister zeigt bislang an der CO2-Steuer noch kein großes Interesse,
obwohl er eigentlich welches haben sollte.
Einnahmen freuen einen Wolfgang Schäuble immer.
Die CO2-Steuer ist in vielen Finanzministerien noch nicht auf dem
Radarschirm. Für die energieintensiven Sektoren ist eine CO2-Steuer
abschreckend und diese Industrien sind gut organisiert. Aber in der Öl- und
Gasindustrie wächst die Bereitschaft, eine CO2-Steuer zu akzeptieren. Viele
befürchten, eine CO2-Steuer belaste vor allem die ärmeren Haushalte. Dabei
könnte man 19 diese Einnahmen sogar wieder an die einkommensschwachen
Haushalte verteilen. Derzeit aber belastet die Energiewende die unteren
Einkommensbezieher überproportional.
Sie machen damit Konsumgüter teurer. Die Reichen zahlen locker etwas mehr,
aber die ärmeren Leute trifft das.
Aus dem Dilemma kommt man nur raus, wenn man Umweltpolitik und die
Besteuerung von Einkommen gleichermaßen in den Blick nimmt. Die Akzeptanz
von Umweltsteuern wird sich nur dann erhöhen, wenn diese progressiv wirken.
Die Ungleichheit darf durch Umweltsteuern nicht zunehmen. Am Ende wird man
die Besteuerung des Umweltverbrauchs im Rahmen einer Steuerreform
diskutieren müssen.
Damit machen Sie jetzt ein großes Fass auf.
Aber ohne ein großes Reformpaket wird es nicht gehen ...
... das für Politiker kaum zu vermitteln ist. Das haben wir gerade gesehen.
Die Regierung hat versprochen, die Treibhausgase um 40 Prozent zu senken,
das wird durch den Kohlekraftboom konterkariert. SPD-Wirtschaftsminister
Sigmar Gabriel schlägt eine Abgabe vor. Tausende Kohlearbeiter
demonstrieren in Berlin, der Plan wird gestrichen.
Jeder Strukturwandel führt zu Arbeitsplatzverlusten. Wir haben auch
hingenommen, dass in den Städten Droschkenkutscher arbeitslos wurden, weil
es Taxis gab. Wer glaubt denn allen Ernstes, dass für Deutschland die
Zukunft in der Kohle liegt.
Kohlearbeiter?
Das hört sich jetzt so an, als würde ich einfach herzlos über die
Bedürfnisse der Kohleleute hinweggehen. So ist es aber nicht. Man wird den
Strukturwandel sozial abfedern müssen. Aber der Strukturwandel darf nicht
verhindert werden. Wir müssen die gesellschaftliche Debatte führen, wo wir
eigentlich hinwollen.
Herr Edenhofer, selbst der Papst kritisiert in seiner Enzyklika „Über die
Sorge über das gemeinsame Haus“ den Emissionshandel, weil er nicht dazu
beitrage, „den Gesamtausstoß der schädlichen Gase zu verringern“.
Der Papst äußert Bedenken gegen ein umweltpolitisches Instrument, aber er
maßt sich keine Kompetenz an, hier ein Urteil zu fällen. Aber es ist wahr,
er ist skeptisch gegenüber Marktinstrumenten.
Er wurde beraten, auch von Ihnen.
Sie können sich sicherlich vorstellen, dass ich den von Ihnen zitierten
Satz so nicht geschrieben hätte. Lateinamerikaner haben aber die große und
ernst zu nehmende Befürchtung, dass mit solchen marktbasierten Instrumenten
Leute über den Tisch gezogen werden. Der Papst hat sicher nicht den
Anspruch, einen umweltökonomischen Fachaufsatz zu schreiben. Wichtiger sind
seine ethischen Prinzipien. Er sagt: Leute, ihr habt die verdammte Pflicht
und Schuldigkeit, einen Transformationsprozess einzuleiten. Wie der am
besten zu gestalten ist, da habt ihr eure Experten. Fragt die.
Sie machen es sich zu einfach?
Keineswegs, ich nehme den Papst sehr ernst. Aber selbst wenn man mit dem
Papst die Ehe für einen heiligen Bund hält, kann man doch mit guten Gründen
darüber streiten, welche Methoden der Familienplanung erlaubt sein sollen.
Macht die Kirche Ernst, müsste sie ihr Vermögen durchforsten und ihr Geld
aus Beteiligungen an Öl-, Gas- oder Kohlefirmen abziehen. Ließe sich das
globale Klimaproblem auch so lösen?
Das wäre eine gute Sache, wenn die Kirche als ein ethischer Investor
kraftvoller und überzeugender auftreten würde. Die Kirchen sind kluge, aber
sehr vorsichtige Investoren. Wenn wir sie vom ethischen Investment
überzeugen können, dann würden auch andere mitziehen. Aber wir sollten uns
keine Illusionen machen. Ohne eine Bepreisung von CO2 wird das ethische
Investment keine große Kraft entfalten können.
Selbstkorrektur ist schwierig. Die große Transformation kann sich
vielleicht ein Land wie Deutschland leisten und Verlierer bezahlen. Aber
was sagen Sie einem Land wie Venezuela, dessen Ökonomie vom Export fossiler
Energie abhängt?
Das Argument, die Schwellenländer müssten die fossilen Energieträger
subventionieren, um den Armen zu helfen, ist nur bedingt zutreffend. So
zeigen Untersuchungen in Indonesien, dass die Abschaffung der Subventionen
für Mineralöl die Armen kaum belastet hat, sondern die Mittelschicht. Die
ärmsten Haushalte haben keine Autos, daher waren sie gar nicht betroffen.
Bisher schafft es aber keine Regierung, die wahren Kosten des
Wirtschaftswachstums zulasten des Naturvermögens anzurechnen. Naomi Klein,
linke kanadische Bestsellerautorin, sagt, ohne einen radikalen Umbau des
Kapitalismus geht es nicht. Für Sie ist der Kapitalismus die Lösung?
Was ich vorschlage, ist eine radikale Transformation, eine Reform des
Kapitalismus. Machen wir mit der Klimapolitik Ernst, beschränken wir die
Nutzung fossiler Energieträger, weil wir die Übernutzung globaler
Gemeinschaftsgüter wie der Atmosphäre verhindern wollen. Ob das gelingt,
das ist eine andere Frage.
Der Niederländer Yvo de Boer trat 2010 als UN-Klimachef zurück, weil er den
Glauben an die Klimadiplomatie verloren hatte. Er sagte: „Der einzige Weg,
wie ein Abkommen im Jahr 2015 zum Zwei-Grad-Ziel führen könnte, wäre, die
gesamte Weltwirtschaft stillzulegen.“
Ach ja. Das sind solche Sätze. Die Welt ohne uns, die Welt ohne den
Menschen, das wäre das Beste. Dann gäbe es keine Emissionen, dann hätten
wir keine Probleme. Das ist doch Unsinn. So kann man keine Politik machen.
Alles, was produziert wird, frisst nun einmal auch Ressourcen. Da kommen
Sie mit einem CO2-Preis nicht raus.
Das sehe ich überhaupt nicht, warum jedes Wachstum im gleichen Umfang
Ressourcen frisst.
Nicht in jedem Umfang, aber es frisst.
Es geht um einen Transformationspfad. Das heißt nicht, dass wir morgen
schon mit null Emissionen hinkommen müssen. Wir haben noch Zeit bis über
das Jahr 2050 hinaus, um komplett auf saubere Technologien umzusteigen.
Aber wir müssen mit der Transformation beginnen. Die derzeitige Debatte ist
aberwitzig. Wir wollen also, dass die Lebenserwartung nicht mehr zunimmt,
das Gesundheitssystem nicht besser wird, das Bildungssystem auch nicht. Wir
wollen kein Leid mehr lindern? Habe ich das richtig verstanden?
Nein – und das wissen Sie auch.
Mich nervt dieser Fatalismus, diese heimliche Lust am Untergang. Es geht
aus meiner Sicht nicht um Wachstumsverzicht. Das ist die völlig falsche
Perspektive. Wir müssen begreifen, dass wir heute zu viel Naturkapital
verbrauchen und zu wenig in die kommenden Generationen investieren. Denn
dann wird klar: Wir müssen mehr in Bildung, mehr in das Gesundheitswesen,
mehr in Forschung und Entwicklung, mehr in die Armutsbekämpfung
investieren. Das setzt Strukturwandel voraus, Innovationen bei der Arbeits-
und der Ressourcenproduktivität, dafür muss es Anreize geben. Ein CO2-Preis
kann das leisten.
Haben wir dafür überhaupt eine Partei in Deutschland?
Haben wir nicht.
Die Grünen würden das für sich in Anspruch nehmen.
Aber wir brauchen dafür auch keine eigene Partei, sondern einen
gesellschaftlichen Konsens. Ein solcher Transformationsprozess kann nur
erfolgreich bestanden werden, wenn er eine breite demokratische Basis hat.
Wer soll das politisch umsetzen?
Neue Allianzen und Koalitionen. Die Enzyklika des Papstes könnte ein
Katalysator für solche Koalitionen sein.
Sie sagen selbst, dass der CO2-Preis allein nicht reicht, und reden auch
von sogenannten negativen Emissionen.
Jetzt haben wir alle Schreckgespenster ausgepackt.
Sie wollen Treibhausgasemissionen im Abgas von Kraftwerken, egal ob sie mit
Kohle oder Pflanzen gefüttert werden, wieder einfangen und dann deponieren.
Der Anbau von Mais zur Energiegewinnung frisst aber Acker und
Artenvielfalt. Die Kohlendioxid-Deponien, die CCS-Technik, fürchten auch
viele.
Die negativen Emissionen sind schon allein deshalb zum Erreichen des
Zwei-Grad-Ziels wichtig, weil wir eine Kohlerenaissance erleben. Wir
befinden uns mitnichten im Erneuerbare-Energien-Zeitalter. Das verstehen
aber viele Leute nicht. Die fragen dann: Seid ihr jetzt völlig verrückt
geworden mit euren negativen Emissionen? Das wiederum finde ich leicht
absurd: Ein ambitioniertes Klimaziel zu fordern – aber nicht zu sehen, was
das heißt.
Sie würden auch Atomkraft akzeptieren?
Nein, die Kernenergiefrage ist leicht vom Tisch zu wischen, weil sie
relativ leicht durch Erneuerbare zu ersetzen ist. Die Frage von Kohle, von
Bioenergie und von CCS aber nicht. Noch hat niemand einen anderen Weg
gefunden. Wir müssen aber sehen, ob wir die Nebenwirkungen wie etwa den
großen Landbedarf und die Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion in
den Griff bekommen.
Glauben Sie daran?
Das ist keine Glaubensfrage, sondern eine Frage eines Lernprozesses. Ich
bin kein blinder CCS-Befürworter. Aber es ist die Aufgabe der
Wissenschaftler aufzuzeigen, unter welchen Bedingungen das Zwei-Grad-Ziel
noch zu erreichen ist. 2008 hat es Leute gegeben, die meinten, das Ziel
müsse aufgegeben werden.
Das sagt Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik heute noch.
Aber damals waren es wissenschaftliche Schwergewichte, die das forderten.
Sie haben aber eingesehen, dass wir als Wissenschaftler die Aufgabe hatten,
zu untersuchen, unter welchen Bedingungen das Ziel erreicht werden kann.
Das haben wir getan – werden aber dafür jetzt angegriffen.
Wie wehrt man das als Wissenschaftler ab?
Ich habe immer gesagt, dass wir irrtumsfähige Wissenschaftler sind, die
vorläufiges Wissen produzieren. Was mich vielmehr stört ist, dass Politiker
gerne Ziele formulieren und vor sich hertragen, aber nicht bereit sind, die
Verantwortung für die Mittel zu übernehmen.
Gibt es keine Alternative?
Der CO2-Preis macht Klimaschutz berechenbar. Ich weiß, dass das
Nichtökonomen nicht gerne hören, es lässt das Herz nicht höher schlagen.
Aber dann müssen diejenigen, die Politikinstrumente wollen, die die Herzen
höher schlagen lassen, diese auf den Tisch legen. Die Emissionen steigen
und steigen und steigen.
13 Sep 2015
## AUTOREN
Hanna Gersmann
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