# taz.de -- Vor der Abstimmung über den Brexit: Viel Angst ums eigene Land | |
> Im Speckgürtel Londons ist die Haltung zum EU-Referendum zwiespältig. Die | |
> Gutsituierten sind für Europa, andere sind sich nicht sicher. | |
Bild: UK- und Europa-Fahnen: Wie lange noch flattern sie gemeinsam? | |
LONDON taz | In Englands reichster Grafschaft Surrey, rund 50 Kilometer | |
südlich von London, liegt Woking mit rund 100.000 Einwohnern. Im | |
Einkaufszentrum und den Straßen neben dem Bahnhof finden sich ungewöhnlich | |
viele Ladenketten. Bereits der Name der Stadt ist am Bahnhof mit den Worten | |
„Heimat der Wang Mustang Gruppe“ untermalt. | |
Das Bahnhofscafé ist ein Starbucks. Die Einwohner sind wohlhabend, die | |
Parks und Spielplätze modern und gepflegt. Die Stadt leistet es sich | |
gerade, ein fünf Millionen Euro teures Solardach am Bahnhof wieder | |
abzureißen. Der Grund: Es sei nicht schön und ziehe „Asoziale“ an. | |
Seit 1950 regieren die Konservativen unangefochten in Woking. Dennoch ist | |
die Stadt in Londons Speckgürtel durchaus eine Stadt der Vielfalt. Die | |
Moschee Shah Jahan ist sogar die älteste in Großbritannien. Wie denkt | |
jemand, der einst aus einem anderen Land nach Großbritannien kam, hier über | |
das EU-Referendum? | |
Ein indischer Mann, dessen Familie vor 45 Jahren aus Idi Amins Uganda | |
flüchtete, ist unentschieden. „Deutschland und Belgien haben Großbritannien | |
zu sehr bedrängt“, findet er, aber was den Handel betreffe, „ist nichts | |
verkehrt an der EU“. Er ist nicht der einzige Unentschlossene. Um die 40 | |
Prozent der Befragten wissen nicht, wie sie beim EU-Referendum stimmen | |
sollen. | |
## Für oder gegen den Brexit? | |
Noch weniger sind sich die Bewohner Wokings bewusst, dass es hier am 5. Mai | |
eine Kommunalwahl gibt. „Es ist eh egal, die Konservativen werden wie immer | |
gewinnen“, meint eine ältere Dame, die sich als Labour-Wählerin outet. Ein | |
Ehepaar, Nicola und Danielle Mastri, der eine, 52, aus Italien, die andere, | |
45, aus Malta, beide seit Jahrzehnten hier, sind unterschiedlicher Meinung. | |
Er mag die Konservativen, „weil sie die Geschäftswelt in Woking | |
unterstützen“. Sie wird für die Liberaldemokraten stimmen, „weil denen | |
Menschen wichtiger sind als den Tories“. Einig sind sich die beiden jedoch | |
in Sachen EU: Ein Brexit würde dem Land schaden. | |
Der Rentner Harry, 85, will keinen Nachnamen angeben, ist für das „Out!“. | |
„Labour hat unter Blair und Brown drei Millionen tuberkulosekranke | |
Immigranten ins Land gelassen“, behauptet er. „Es ist an der Zeit, die | |
Kontrolle über unser eigenes Land wieder zu erlangen.“ Ein anderer Mann | |
ähnlichen Alters ist gleicher Meinung, aber wegen der Bürokratie in | |
Brüssel. | |
## Furcht vor UK-Zerfall | |
Oliver Marsh, 18, Mitarbeiter eines Import-Export-Unternehmens, bedauert | |
solche Meinungen. „Auch mein Vater denkt so“, gesteht er. „Ich finde | |
hingegen, es würde unser Image als Briten stärken, wenn wir in der EU | |
bleiben und auch mehr Immigranten aufnehmen würden“. Catherina McLean, 37, | |
arbeitet für eine Umweltschutzorganisation und ist für den Verbleib. Brexit | |
würde zum Zerfall des Vereinigten Königreiches führen, da es ein zweites | |
schottisches Referendum auslösen würde, glaubt sie. Sie muss es wissen, sie | |
kommt selbst aus Schottland. | |
Eisenbahnarbeiter Timi Akinyanju, 47, ein in Nigeria geborener Brite, will | |
in den Medien gehört haben, dass es Osteuropäer gebe, die hierherkommen, um | |
von der Sozialhilfe zu leben. Aber er selbst sehe eigentlich nur Engländer, | |
die nicht arbeiten, weil sie sich auf das Sozialnetz stützten. Er könne | |
verstehen, dass man die Kontrolle über sein eigenes Land wolle. Aber viele | |
Brexit-Befürworter litten noch immer an einer imperialistischen Mentalität. | |
Vielleicht sind das Menschen wie Chris, ein Automechaniker mit tätowierte | |
Unterarm. Viele glauben „Out of the EU!“ sei rassistisch, sagt er, aber | |
„wir verlieren das Land, für das mein Großvater starb“. Die EU hätte vie… | |
Neulinge ins Land gebracht, die lebten oft in billigen Unterkünften und | |
könnten deshalb für Billiglöhne arbeiten. | |
5 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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