| # taz.de -- Debatte Bundestagswahl 2017: Wer kann Angela Merkel? | |
| > Es gibt eine Alternative zur Kanzlerin, man muss sie nur suchen. Ein | |
| > radikal-pragmatisches Gedankenspiel zur kommenden Bundestagswahl. | |
| Bild: Die K-Frage, oder: Wer kann Angela Merkel bei der Bundestagswahl 2017 etw… | |
| Anton Hofreiter? Cem Özdemir? Oder doch Robert Habeck? Die Frage, wer neben | |
| Katrin Göring-Eckardt die Grünen als Spitzenkandidat in den | |
| Bundestagswahlkampf 2017 führen soll, ist äußerst spannend. In einer Urwahl | |
| werden alle rund 61.000 Parteimitglieder festlegen, welches Gesicht das | |
| politische Profil der vielfach geflügelten Partei prägen darf: der links | |
| denkende Bayer, der bürgerliche Schwabe oder der ökopragmatische | |
| Norddeutsche. Für die Grünen ist das entscheidend. Aber außerhalb der | |
| Partei? | |
| Für den Ausgang der Bundestagswahl ist es gehupft wie gesprungen, ob | |
| Hofreiter, Özdemir oder Habeck antritt. Sie werden anschließend | |
| Oppositionsführer sein oder, wenn es besonders gut läuft, Minister in einer | |
| Dreiparteienkoalition. Aber die Kanzlerin wird in jedem Fall weiter Angela | |
| Merkel heißen. | |
| Alle, die damit gut leben können, weil sie Merkel erträglich oder sogar | |
| super finden, dürfen jetzt aufhören zu lesen. Für diejenigen aber, die sich | |
| nach einem Wechsel sehnen – sei es, weil es nach zwölf Jahren Merkel auch | |
| mal gut ist, sei es, weil sie glauben, dass es eine Demokratie lebendig | |
| hält, ja sogar existenziell für sie ist, wenn bei Wahlen ein Wechsel | |
| zumindest theoretisch denkbar ist –, für all die folgt nun ein | |
| Gedankenspiel. Ein radikal-pragmatisches, denn es geht zunächst einmal | |
| nicht um politische Inhalte, sondern einzig um die Frage: Wer kann Angela | |
| Merkel überhaupt schlagen? | |
| Antwort 1: | |
| Die SPD ist es nicht. Jedenfalls nicht mit dem Kanzlerkandidaten Sigmar | |
| Gabriel. Jeder weiß das, wahrscheinlich sogar Gabriel selbst. Er hätte nur | |
| eine Chance, wenn Merkel über sich selbst stolpert, ihre politische Basis – | |
| zu der aktuell selbst die SPD gehört – ihr anschließend die Macht entzieht | |
| und sie genau demjenigen zuspielt, der gerade zur richtigen Zeit am | |
| richtigen Ort steht. So wie es Helmut Kohl 1982 passierte. Oder Angela | |
| Merkel 2005. Aber danach sieht es bis auf weiteres nicht aus, auch weil die | |
| SPD sich nicht traut. Letzteres verdeutlicht nur noch einmal das Problem: | |
| Sigmar Gabriel müsste sich im Bundestagswahlkampf 2017 selbst schlagen. Das | |
| kann nicht gelingen. | |
| Eigentlich wäre die SPD längst reif für das Modell Großbritannien. Dort hat | |
| sich das SPD-Pendant Labour so sehr selbst im Weg gestanden, dass die Basis | |
| mit Jeremy Corbyn mal eben einen gestandenen Altlinken an die Spitze | |
| putschte. Doch der SPD fehlt dafür nicht nur die umsturzwillige Basis. Vor | |
| allem ist weit und breit kein Typ wie Corbyn oder wie der US-Demokrat | |
| Bernie Sanders in Sicht, die beide nie zum Establishment ihrer Partei | |
| gehörten, stets eine grundsolide linke Haltung bewahrten und daher als | |
| Garanten für einen politischen Schwenk stehen können. | |
| Nach längerem Nachdenken fallen einem hierzulande höchstens Oskar | |
| Lafontaine oder Hans-Christian Ströbele ein. Die zählen immerhin zur | |
| gleichen Generation wie Corbyn und Sanders. Doch ganz egal, was man von den | |
| beiden heute halten mag, es spielt eh keine Rolle: Sie haben die SPD schon | |
| vor vielen Jahren verlassen. | |
| Das Beste für die SPD wäre daher, sie würde bei der Bundestagswahl deutlich | |
| unter 20 Prozent stürzen. Dann hätte sie anschließend wenigstens die | |
| Chance, sich als nächste Protestpartei wieder aufzubauen – im Jahr 2020. | |
| Für die K-Frage bei der Wahl 2017 aber spielt sie keine Rolle. Leider. | |
| Antwort 2: | |
| Die Linkspartei? Nein. Weder wäre die Partei selbst dafür bereit noch die | |
| Bundesrepublik. | |
| Antwort 3: | |
| Die Grünen. Die Grünen, die in Umfragen bei etwa 12 Prozent stehen? Ja, die | |
| Grünen. Natürlich nicht mit einem aus dem Spitzenkandidatenquartett. Würde | |
| einer der vier sagen: „Ich will Kanzler anstelle der Kanzlerin werden“, | |
| dann würde die Republik wahrscheinlich laut über sie lachen, so wie sie | |
| damals über Guido Westerwelle gelacht hat. Zu Recht, denn niemand würde | |
| glauben, dass sie es schaffen können. Und ein Kandidat, an den niemand | |
| glaubt, gewinnt nicht. | |
| Einen aber hätten die Grünen. Einen, dem man es zutrauen würde. Der als | |
| Einziger genau deshalb eine Chance hätte: Winfried Kretschmann. | |
| ## Das Denken ändern | |
| Kretschmann ist in etwa so alt wie Jeremy Corbyn. Aber das ist egal. | |
| Wichtiger ist: Er hat schon zwei Wahlen gewonnen. Beide auf eine Art, wie | |
| sie vorher undenkbar schien. Und Kretschmann ist laut Umfrage der derzeit | |
| beliebteste Politiker bundesweit. Vor Frank-Walter Steinmeier. Weit vor | |
| Angela Merkel. Welten vor Sigmar Gabriel. Ein Kanzlerkandidat Winfried | |
| Kretschmann würde zunächst nicht die Politik ändern, aber das Denken. Weil | |
| er denkbar ist. Und das ist entscheidend für Wahlen. | |
| Die Grünen haben so etwas schon einmal versucht. Vor fünf Jahren bei der | |
| Abgeordnetenhauswahl in Berlin schickten sie Renate Künast ins Rennen gegen | |
| den damals Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit. Weil die Berliner ihr | |
| den Wahlsieg zutrauten, schossen die Grünen in Umfragen auf über 30 | |
| Prozent, lagen weit vor der SPD. Aber dann stürzten sie wieder ab. Zuerst, | |
| weil Künast im Wahlkampf Fehler machte. Und dann erst recht, als niemand | |
| mehr an ihren Sieg glaubte. Aber Kretschmann kann es besser. Das hat er | |
| bereits zweimal gezeigt. Mit ihm würden die Grünen auch bundesweit vor der | |
| strauchelnden Gabriel-SPD landen. | |
| Und dann? Was wäre denn politisch gewonnen? Glaubt tatsächlich jemand, dass | |
| Kretschmann der geborene Kanzler einer grün-rot-roten Koalition wäre? | |
| Ausgerechnet dieser Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der doch nur | |
| eine Angela Merkel in Grün ist? Für links-undogmatisch denkende Wähler ist | |
| das alles andere als eine Traumvorstellung. Aber was ist die Alternative? | |
| Kampflos klein beigeben, das hieße vier weitere Jahre Große Koalition, wenn | |
| es gut geht. Und wenn nicht, säße auch noch die FDP wieder am | |
| Kabinettstisch. | |
| Daher muss Kretschmann Kanzler werden – oder es zumindest versuchen. | |
| Ansonsten bleibt Merkel so lange im Amt, bis sie von der heraufdräuenden | |
| national-konservativen Wende am rechten Rand beiseitegedrängt wird. Und | |
| schon für diesen Fall wäre es gut, wenigstens eine Ersatzmerkel zur Hand zu | |
| haben. | |
| 25 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Gereon Asmuth | |
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